Speech · 09.10.2002 Wegweiserecht bei häuslicher Gewalt

Lange Zeit hat sich der Gesetzgeber ganz der Verantwortung entzogen, wenn es um Gewalt in der „Privatsphäre" ging. Glücklicherweise ist in den letzten Jahren die Einsicht gewachsen, dass wir nicht die Opfer allein lassen können, nur weil die Gewalt innerhalb der Familie bleibt und häufig verschwie­gen wird. Der Landtag hat deshalb im September 2000 auf Initiative des SSW und der Landesregierung einmütig die Durch­führung eines Modellversuchs zur Wegweisung bei häuslicher Gewalt beschlossen. Heute liegt der erste Erfahrungsbericht vor, und wir können feststellen: Es war richtig, diesen Schritt zu tun.

Der Bericht der Landesregierung zeigt, dass dieses Instrument zur polizeilichen Gefahrenabwehr nach nicht einmal einem Jahr gut angenommen worden ist. Das verdanken wir nicht zuletzt der soliden Vorarbeit der Landesregierung und die sehr gute Vorbereitung auf diesen Modellversuch durch die Landespolizei und die anderen Beteiligten. Das Eingreifen in häusliche Konflikte gehört sicherlich zu den häufigsten aber auch schwierigsten Aufgaben im polizeilichen Alltag. Deshalb ist es ein sehr gutes Zeichen, dass das Weg­weiserecht von den Praktikerinnen und Praktikern der Polizei auch wirklich genutzt wird. Immer mehr Polizeiinspektionen schließen sich dem Modellversuch an, was uns natürlich sehr freut.

Die Statistik im Bericht verdeutlicht, dass mit den neuen Recht noch sehr vorsichtig umgegangen wird. Trotz der hohen Zahl von Fällen häuslicher Gewalt, bei der die Polizei eingreift, wurden nur in wenigen Fällen Wegweisungen ausgesprochen. Dies kann unter anderem daran liegen, dass man in Schleswig-Holstein bislang häufig davon absieht, die Wegweisungen gegen den Willen der Opfer durchzusetzen. Dieses steht im Gegensatz zur Praxis in Österreich, unserem Vorbild in dieser Angelegenheit, wo schon viel länger erfolgreich mit diesem Instrument gearbeitet wird. Allerdings läuft der Versuch hierzulande ja auch weniger als ein Jahr. Es müssen mehr Erfahrungen gewonnen werden, bevor die Praxis sich festigt. Immerhin zeigt sich mit fortschreitender Dauer des Modellversuchs auch, dass immer längere Wegweisungen ausgesprochen werden, damit sie auch etwas bringen.

Zudem legt der Bericht nahe, dass im Einzelfall schon die Androhung der Maßnahme bei Tätern zu einem Nachdenken über ihr eigenes Verhalten geführt hat. Und genau das wollen wir ja erreichen, dass die Täter dauerhaft von der Gewalt ablassen. Die Bestrafung von Gewalttaten allein führt beim Täter meist nicht zu einer grundlegende und dauerhafte Verhaltens­änderung. Wer häus­liche Gewalt ver­hindern will, muss die Gewalttäter ändern. Deshalb stellt gerade die Vernetzung mit Hilfe von KIK und wei­teren Akteuren einen unerlässlichen Baustein dar, der von allen Beteiligten viel fordert. Das gilt nicht zuletzt für die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten. Sie sprechen nicht nur die Wegweisung aus und überwachen deren Einhaltung. Häufig hilft die Polizei den Opfern noch weit mehr, als durch die Weitergabe der Nothilfekarte mit Adressen und Tele­fonnummern von Hilfsorganisationen. Auch dafür haben sie Anerkennung verdient.

Gerade die Erfahrungen in diesem Bereich jenseits der eigentlichen Wegweisungen müssen genau verfolgt werden, damit wir sehen können, wo Verbesserungen notwendig sind. Es ist aber insgesamt wünschenswert, dass die Landesregierung nach zwei Jahren eine Evaluation vornimmt. Wir brauchen noch mehr Informationen darüber, wie dieses Instrument für die Betroffenen und auf die Täter und deren Veränderungsbereitschaft wirkt. Was die Rahmenbedingungen für die Polizei und die anderen professionell Beteiligten betrifft, möchten wir jetzt schon anregen, den vorliegende Bericht im Ausschuss durch eine Anhörung der Beteiligten in der ersten Modell­region zu ergänzen. Dabei könnte man unter anderem erörtern, ob die Ordnungsbehörden und die Polizei eine bessere rechtliche Grundlage für den Aus­spruch der Wegweisungen benötigen. Nach meiner Kenntnis ist bereits ein Verfahren gegen die ordnungsrechtliche Maßnahme der Polizei anhängig gewesen und das Verfahren durch die Polizei durch die Generalklausel gedeckt. Aber es wäre erwägenswert, ob abweichend von der polizeilichen General­klausel eine Sonderregelung im Landesverwaltungsgesetz aufgenommen wird.

Der Landtag hat den ersten Schritt zu einem Modellversuch mit dem Wegweiserecht gemeinsam gemacht. Ich hoffe, dass wir diesen Weg auch weiter gemeinsam gehen werden.

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