Speech · 29.09.2000 Wegweiserecht bei häuslicher Gewalt

Wir haben in unserer Gesellschaft mittlerweile ausgeklügelte rechtliche Regelungen, um mit Gewalt umzugehen - das ist ja heute schon angesprochen worden. Trotzdem tun wir uns immer noch schwer damit, wenn Gewalt in Partnerschaften und Familien vorkommt. Lange Zeit hat sich der Gesetzgeber ganz der Verantwortung entzogen, wenn es um Gewalt in der Privatsphäre" ging. Glücklicherweise ist in den letzten Jahren die Einsicht gewachsen, dass wir nicht die Opfer allein lassen können, nur weil die Gewalt innerhalb der Familie bleibt und häufig verschwiegen wird. Mit dem heute vorliegenden Antrag soll noch ein wichtiger Schritt in diese Richtung getan werden. Es soll ein Weg versucht werden, mit dem Problem umzugehen, dass Täter und Opfer unter einem Dach wohnen. Es kann nicht sein, dass Frauen mit ihren Kindern die Flucht ins Frauenhaus ergreifen müssen, wenn der Mann das Prügeln anfängt. Wer prügelt, geht. Das muss ganz klar sein.
In Österreich hat man gute Erfahrungen damit gemacht, Gewalttätern im Falle häuslicher Gewalt durch einen polizeilichen Platzverweis die rote Karte" zu zeigen. Wer Frau, Lebensgefährtin, Kinder oder andere Angehörige schlägt, wird aus der gemeinsamen Wohnung gewiesen, und darf sich da für einen bestimmten Zeitraum nicht mehr blicken lassen. Das hat mehrere Vorteile: Den Tätern wird deutlich gemacht, dass ihre Gewalt Konsequenzen hat. Den Opfern wird gezeigt, dass sie mit ihren Problemen nicht allein gelassen werden. Die bisherigen Erfahrungen in Österreich haben gezeigt, dass das wirkt: Die Opfer werden geschützt und bekommen die Möglichkeit, neue Lebensperspektiven zu entwickeln. Die Täter werden verwarnt und bekommen die Möglichkeit, sich mit ihren Gewaltproblemen auseinander zu setzen. Der Platzverweis wird so zum Einstieg in eine dauerhafte Konfliktlösung.
Dass dieses ein nachahmenswerter Ansatz ist hat als erstes in Deutschland das Bundesland Baden-Württemberg erkannt. Dort läuft seit dem Frühjahr ein Modellversuch mit einem Wegweiserecht, das unter Berücksichtigung des bestehenden Länderrechts durchgeführt wird. Die Maßnahmen umfassen in Anlehnung an das österreichische Modell einen Dreiklang aus polizeilichem Platzverweis, Beratungs- und Betreuungsangeboten sowie der zivilrechtlichen Ermöglichung eines längerfristigen Verweises der Täter aus der Wohnung. Erste Fallbeispiele zeigen, dass dieses funktioniert.
Es steht Schleswig-Holstein gut zu Gesicht, wenn wir das zweite Bundesland werden, dass den Betroffenen häuslicher Gewalt auf diese Weise helfen. Deshalb hat der SSW den ursprünglichen Antrag eingereicht. Wir freuen uns sehr, dass diese Initiative bei allen Fraktionen auf Gegenliebe gestoßen ist. Durch den Abstimmungsprozess konnten auch noch einige Verbesserungen in den Antrag eingebracht werden. Dafür danke ich allen beteiligten Kolleginnen. Vor allem die Einbettung in das Kooperations- und Interventionskonzept (KIK) ist sinnvoll, um eine Integration der vielen Hilfen für Gewaltopfer zu erreichen. Hier können die Opfer auch während und nach der Wegweisung beraten, betreut und begleitet werden.
Der Umgang mit der Gewalt hat aber zwei Seiten. Natürlich können wir Gewalt dadurch verhindern, dass wir potentielle Opfer und Täter räumlich trennen. Das kann aber staatlicherseits immer nur zeitlich befristet geschehen. Eine wirksame Prävention von Gewalt muss dafür sorgen, dass die Täter nicht mehr ihre Aggressionen in Gewalt ausleben. Deshalb gehört zu einem Konzept zur Vermeidung häuslicher Gewalt auch, dass man den Tätern die Möglichkeit eröffnet, an sich zu arbeiten. Gerade dieses soziale Training für gewalttätige Männer ist ein Bestandteil des KIK.
Das Wegweiserecht im Falle von Gewalt in sozialen Nahraum soll auch eine Unterstützung für die Polizistinnen und Polizisten sein, die täglich in häusliche Konflikte eingreifen müssen. Es gehört sicherlich zu den häufigsten aber auch schwierigsten Aufgaben im polizeilichen Alltag, Vor Ort in häusliche Konflikte eingreifen zu müssen. Sie haben mit dem Wegweiserecht ein Instrument, um diese Aufgaben zu bewältigen. Gerade deshalb gibt der Antrag auch vor, dass die Maßnahmen in Zusammenarbeit mit der Landespolizei zu entwickeln sind.
Der gesamte Landtag sendet heute ein deutliches Signal: Gewalttäter sollen in Zukunft wissen, dass Gewalt gegen ihre Nächsten deutliche Konsequenzen haben wird: Sie müssen gehen. Die Opfer sollen in Zukunft wissen, dass sie nicht alleine sind und es sich lohnt, den Polizei um Hilfe zu bitten. Wir erwarten, dass die Landesregierung dafür sorgt, dass das schnell Wirklichkeit in unserem Land wird. Und wir hoffen, dass viele Städte und Kommunen mitarbeiten werden.

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