Rääde · Lars Harms · 19.03.2014 Wie soll das Erinnern funktionieren

„Der demokratische Staat sollte keine Angst vor der Nazi-Ideologie haben, sondern sich mit ihr auseinandersetzen“

Erinnerungsarbeit war lange Jahre in Schleswig-Holstein Aufgabe der Bürgerinnen und Bürger vor Ort. Wir haben es engagierten Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteinern zu verdanken, dass Nachgeborene an authentischen Stätten Angebote der Erinnerungsarbeit gemacht haben.
Im Großreinemachen nach dem Krieg wäre sonst noch viel mehr verschwunden. Dreißig lange Jahre gab es überhaupt kein Interesse der politischen Führung an einer Förderung von Gedenkstätten, wie im Gedenkstättenkonzept der Bürgerstiftung nachzulesen ist. Diese Ignoranz der Politik ist mittlerweile einem demokratischen Verständnis gewichen, der sich zur historischen Verpflichtung der Nachgeborenen bekennt. Wir brauchen auch weiterhin diese verunsichernden Orte, die die Gedenkstätten nun mal sind.
Wir haben im Koalitionsvertrag die Erarbeitung eines Gedenkstättenkonzepts verabredet. Das ist eine längst überfällige Aufgabe, und nicht nur aus dem Grund, dass Schleswig-Holstein als einziges Bundesland keine Bundesmittel einwerben konnte. Das war der Zustand zumindest bis zum Februar. Dann traf die Zusage aus Berlin für die Modernisierung der Ladelunder Dauerausstellung ein. Ich möchte die Förderzusage ausdrücklich als Aufbruchssignal verstanden wissen, denn gerade in Ladelund ist die Erinnerungsarbeit von engagierten Bürgerinnen und Bürger in Zusammenarbeit mit der Kirchengemeinde angestoßen und betrieben worden. Das Erinnern ist dort gewachsen und darum ausgesprochen nachhaltig. Ladelund steht auf einem guten Fundament, gerade weil durch die Kontakte ins niederländische Putten ein authentischer Kern des Engagements besteht.
Wenn so etwas fehlt, wenn die Scham überwiegt, was dann passiert, kann man nur wenige Kilometer weiter am Standort des KZ-Außenlager Schwesing nacherleben. Am Husumer Flughafen sollten im Herbst 1944 Zwangsarbeiter aus dem KZ-Neuengamme einen allerletzten Verteidigungswall bauen. Gesunde Männer arbeiteten und hungerten sich in diesem Lager innerhalb weniger Monate zu Tode. 70 Jahre später kann man die unmenschlichen Haftbedingungen nicht mehr nachspüren. Zumindest ist das Gelände durch Stadt und Kreis Nordfriesland gesichert worden und auf Stelen sind die Namen von 297 Opfern aufgeführt. Was in Schwesing zu sehen ist, sind Mahnmal, Infotafeln und Barackenreste, die ermahnen und erinnern sollen. Doch die Frage bleibt: Wie soll das Erinnern funktionieren? Es geht nicht mehr länger um die Dokumentation, um Leugner von Massenmord und Rassenideologie Lügen zu strafen. Der Impuls „Guckt hin, so ist es gewesen“, funktioniert nicht mehr in einer Gesellschaft, die die Schuld längst anerkannt hat. Und, das möchte ich hinzufügen, dieser Impuls wird von den visuell geprägten jüngeren Generationen auch gar nicht mehr verstanden. Wie ist es denn gewesen? So wie in den alten schwarz-weiß Bildern der Wochenschauen? Wohl kaum. Orte und Dinge sollen in den Gedenkstätten Wahrhaftigkeit verbürgen. Aber, was kann mir ein Hydrant sagen? In Schwesing war er ein gefürchtetes Folterinstrument, auf dem die Gefangenen so lange stehen oder hocken mussten, bis sie entkräftet zu Boden gingen, um dann erschossen zu werden. Dieser Hydrant erzählt nichts. Er ist ein Stück Metall. Es ist an uns, die Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes neu zu erzählen, mit allen technischen Mitteln, die uns derzeit zur Verfügung stehen.
Ansonsten droht das Nazi-Regime in der historischen Tiefsee zu verschwinden. Die Historiker haben erkannt, dass die Menschen dazu neigen, alles das, was vor der Großeltern-Generation passiert ist, wie eine pittoreske Tiefsee zu verstehen; egal ob es sich um die Napoleonischen Kriege, das Mittelalter oder eben das III. Reich handelt. Eine farbige Welt, in der alles gleich weit weg ist und die keine konkreten Identifikationsangebote bietet. Bevor es soweit kommt mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts, brauchen wir historische Erzählungen: spannend, echt und auch voller Widersprüche.
Darum ist auch von oben verordnete Gedenkstättenarbeit zum Scheitern verurteilt. Die Kulturministerin hat darum folgerichtig die Debatte um das Gedenkstättenkonzept frei gegeben, damit wir in einem breiten gesellschaftlichen Diskurs über genau das sprechen: eine lebendige historische Erzählung. Das öffentliche Gedenkwesen ist oftmals erstarrt; ich möchte sagen: verstaubt. Das Erinnern ist dermaßen überladen, dass sich viele Besucherinnen und Besucher der Gedenkstätten nur noch in Rituale retten können. Wir müssen die damaligen Bilder und Sichtweise nicht übernehmen, aber wir müssen darüber sprechen; über Formen, Darstellungsweise und eben auch Rezeptionen. Gut gemeinte Denkverbote verführen nur zu Trotz; gerade bei den jüngeren. Darum ist die Ablehnung der Neuland-Halle als Teil der Gedenkstättenarbeit umso bedauerlicher.
Die Kirche hatte es übernommen, den Nazis ihr Terrain wieder abzunehmen. Die Halle wurde gebaut als Anti-Kirche, in dem sich die Rassenideologie der Nazis manifestieren sollte. Die Dithmarscher Kirchenkreise haben im demokratischen Deutschland die Halle in ihre Jugendarbeit integriert und auf diese Weise lebendig gestaltet. Sie haben aber zu wenig in die Substanz des Gebäudes investiert und nun haben wir einen enormen Renovierungsstau.
Ich bin davon überzeugt, dass die Neulandhalle sinnvoll in ein landesweites Gedenkstättenkonzept eingefügt werden kann – gerade, weil es ein Teil der nationalsozialistischen Populärkultur war. Sie ist eben keine Opfergedenkstätte, sondern ein Propagandainstrument der Nazis. Sie stellt darum besondere Anforderungen an die inhaltliche Aufarbeitung. Aber gerade das ist lohnenswert. Der demokratische Staat sollte keine Angst vor der Nazi-Ideologie haben, sondern sich mit ihr auseinandersetzen und sie im bewussten Tun als das darstellen, was sie war: menschenverachtend und menschenvernichtend.
Zunächst sollten wir aber vor irgendeiner Entscheidung bezüglich der Neulandhalle die Gedenkstättenkonzeption abwarten. Ich bin zuversichtlich, dass dann auch eine Gedenkstätte Neulandhalle möglich werden wird.

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