Rääde · Lars Harms · 19.06.2014 Zur Abschaffung von Anhalte- und Sichtkontrollen in Grenz- und „Gefahrengebieten“

„Vor dem Hintergrund der Abwägung von Grundrechten schließen wir uns der Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes an - nicht der der Piraten“

 


 

Der Gesetzentwurf der Piraten enthält viele Buchstaben, aber dann doch erstaunlich wenig Inhalt. Und manchmal sogar Dinge, die sich wechselseitig widersprechen. Da ist in der Begründung davon die Rede, dass der Begriff „erhebliche Straftaten“ überhaupt nicht definiert sei und somit dieser Begriff für den § 180 Absatz 3 Landesverwaltungsgesetz dann auch nicht herangezogen dürfe. Zitat aus der Begründung der Piraten: „Das Gesetz bestimmt nicht, was unter Straftaten von erheblicher Bedeutung zu verstehen sei.“ Aber gleichzeitig fordern die Piraten die Aufnahme genau dieses Begriffes der erheblichen Straftat im § 181 Landesverwaltungsgesetz, um hier die ortsbezogenen Kontrollrechte einzuschränken. Zitat hier aus der Begründung der Piraten: „Die Änderung bewirkt eine Einschränkung der ortsbezogenen Kontrollrechte auf jene Fälle, in denen Tatsachen den Schluss auf die Verabredung, Vorbereitung oder Verübung von Straftaten von erheblicher Bedeutung zulassen (ebenso etwa § 12 des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen).“ Da fragt man sich dann schon, was das Ganze soll. Entweder schränkt die Bestimmung Maßnahmen ein - wovon ich ausgehe - dann gilt der § 180 Absatz 3 derzeit nur unter starken Einschränkungen, was ja gut ist. Oder aber er tut es nicht, dann macht der zweite Vorschlag der Piraten keinen Sinn.

 


 

Das Bundesverfassungsgericht hat im Übrigen am 14.12.2000 eine Definition vorgenommen. Hiernach sind Straftaten von erheblicher Bedeutung insbesondere Verbrechen sowie schwerwiegende Vergehen, für die allgemein folgende drei Kriterien herangezogen werden:

 

- die Tat muss mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein, also mit einem Strafrahmen von ab 3 Jahren versehen sein,

 

- sie muss den Rechtsfrieden empfindlich stören und

 

- dazu geeignet sein, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.

 

Maßgebend ist nicht eine abstrakte, sondern eine konkrete Betrachtung nach Art und Schwere der Tat im Einzelfall. (BVerfGE 103, 21)

 


 

Das sind erhebliche Einschränkungen für die Durchführung von Sichtkontrollen von Fahrzeugen. Vor dem Hintergrund der Abwägung von Grundrechten schließen wir uns der Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes an und damit hat der SSW hier auch eine andere Auffassung als die Piraten, die diese Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichtes anscheinend nicht teilen. Im Übrigen will ich auch darauf hinweisen, dass diese Rechtsauffassung schon mehrfach in die Gesetzgebung des Bundes eingeflossen ist, so dass man auch hier sagen kann, dass die Rechtsetzung schon lange dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nachvollzogen hat – nur eben die Piraten nicht.

 


 

Den § 180 Absatz 3 ersatzlos zu streichen, ist somit auch aus Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht, keine Option. Allerdings stellt sich schon die Frage, ob die breite Bevölkerung noch besser über staatliche Maßnahmen in diesem Bereich informiert werden sollte. Grundsätzlich könnte man darüber diskutieren, ob es angebracht wäre, nach Beendigung der Maßnahme die Bevölkerung über die Maßnahme zu informieren. So könnte man gewährleisten, dass auch landesweit über die Einrichtung und den zeitlichen Umfang von solchen Maßnahmen informiert werden würde. Dies könnte zumindest eine Einschätzung darüber ermöglichen, wie intensiv und mit welchen Begründungen solche Maßnahmen durchgeführt werden. Ich könnte mir vorstellen, dass eine nachträgliche Information zu einer erhöhten Transparenz beitragen könnte.

 


 

Noch ein letztes Wort zum Vorschlag der Piraten zum § 181. Dort geht es um die Identitätsfeststellung von Personen an verdächtigen Orten. Dieser Paragraf bezieht sich nicht nur auf den § 180 Absatz 3, also die Kontrollen aufgrund von Gefahrengebieten, sondern auch auf alle anderen Bestimmungen. Dabei geht es allgemein um Gefahrenabwehr. Wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür sprechen, dass eine Straftat geplant wird, dann sollen Personen laut Piraten die Angabe der Identität verweigern können, mit dem Hinweis, dass die mögliche Straftat keine erhebliche Straftat sei. Denn das ist die Einschränkung, die die Piraten neu für die Zulassung einer Identitätsfeststellung an verdächtigen Orten einführen wollen. Ich habe meine Bedenken, ob diese Beschränkung a) für die Polizei praktikabel ist und b) ob dann die Rechte potentieller Opfer noch geschützt sind. Bei dieser Frage zwischen einzelnen Straftaten unterscheiden zu wollen, ist - glaube ich - sehr schwierig. Deshalb sehen wir diesen Vorschlag auch kritisch, da es ja gerade darum geht, mit solchen Maßnahmen Straftaten zu verhindern.

 


 

Alles in Allem sehen wir den Gesetzesvorschlag der Piraten - milde formuliert - als nicht zielführend an.

 


 


 


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