Rede · Flemming Meyer (2009–2020) · 02.04.2003 Abfallwirtschaft in Schleswig-Holstein

Wenn wir die Antworten auf die Fragen lesen, können wir vor allem eines feststellen: Schleswig-Holstein kann seinen Müll nicht alleine entsorgen. Das ist das wichtigste Ergebnis der Großen Anfrage, die wir gestellt haben. In der Antwort auf die Große Anfrage wird von der Landesregierung deutlich gemacht, dass rund 990.000 Tonnen jährlich beseitigt werden müssen, aber nur 490.000 Tonnen in hiesigen Anlagen beseitigt werden können. Landesweit fehlen somit Kapazitäten in Höhe von rund 500.000 Tonnen jährlich. Denken wir uns noch ein paar Jahre zurück. Sie können sich vielleicht alle noch an die politischen Zielsetzungen der Landesregierung in der Abfallwirtschaft erinnern, die Anfang und Mitte der neunziger Jahre formuliert wurden. Ziel war es, keine Müllexporte zuzulassen und eigenverantwortlich für die Entsorgung unseres Mülls zu sorgen.
So wie es jetzt aussieht, können wir das Ziel, eigenverantwortlich für die Beseitigung unseres Mülls im Lande zu sorgen, nicht erreichen. Die Kreise und Kommunen haben bisher nicht für entsprechende Kapazitäten gesorgt, sondern lieber die Beseitigung des Mülls ausgeschrieben – was aus deren Sicht durchaus verständlich ist, da die Kreise und Kommunen ihr eigenes Risiko dadurch minimieren. Die Landesregierung hätte hier regelnd einschreiten müssen, damit das Ziel, keinen Müll exportieren zu müssen, auch erreicht werden kann. Leider hat das Land zwar politisch korrekt das Ziel formuliert, ist aber dann aber bei der Umsetzung konkreter Maßnahmen doch lieber in der Versenkung verschwunden und bisher auch nicht wieder aufgetaucht.
Landesweit sind fünf Projekte in der Diskussion gewesen, von denen bisher nur die Mechanisch-Biologische Anlage in Lübeck so weit fortgeschritten ist, dass man von einer Realisierung ausgehen kann. Das bringt dann noch einmal rund 120.000 Tonnen Mehrkapazität. Aber laut Antwort auf die Große Anfrage ist das Müllverbrennungsprojekt in Nordfriesland aufgegeben, der Genehmigungsantrag für eine Anlage in Tornesch liegt noch nicht vor und die Realisierung der geplanten Anlage in Flensburg sei eher unwahrscheinlich. Und in Neumünster hagelt es in Zusammenhang mit der dort geplanten Mechanisch-Biologischen Abfallbehandlungsanlage reihenweise Bürgerproteste. Damit sind die im Abfallwirtschaftsbericht im letzten Jahr genannten Zahlen, die eine weitgehend eigenverantwortliche Abfallentsorgung nachweisen sollten, schon wieder Makulatur, was ja in der Antwort auch zugegeben wird.
Wenn man keine Müllexporte will, muss man die entsprechenden Kapazitäten im Land schaffen. Das haben wir hier versäumt. Und dieses Versäumnis liegt hauptsächlich darin begründet, dass die Landesregierung zwar politische Ziele aufgestellt hat, aber diese dann nicht weiter verfolgt hat. Was in der Vergangenheit fehlte, war ein landesweit gemeinsames Vorgehen von Landesregierung und Kreisen und Kommunen. Leider glaube ich, dass das Kind jetzt schon in den Brunnen gefallen ist und wir in Zukunft mit Müllexporten rechnen müssen.
Ganz eng im Zusammenhang mit den möglichen Kapazitäten von Abfallentsorgungsanlagen steht auch die Frage, wie die Abfallentsorgung vonstatten zu gehen hat? Wir haben ab Juni 2005 nur noch die Wahl zwischen einer Thermischen Behandlungsanlage oder einer Mechanisch-Biologischen Anlage, die immer auch einen hohen Anteil an Müllverbrennung beinhaltet. Welche dieser Anlagenarten die gesundheitlich unbedenklichste und die wirtschaftlich tragfähigste ist, hat sich zu einer echten Glaubensfrage in Schleswig-Holstein entwickelt. Überall, wo solche Anlagen entstehen sollen, entwickeln sich Bürgerproteste, Einwendungen und Bedenken. Oft entstehen diese Bedenken aufgrund der Tatsache, dass die Informationen hierzu ziemlich diffus sind. Liest man nun die Antworten auf die Große Anfrage zu diesem Themenkomplex, so stellt man fest, dass beide Anlagentypen, durchaus ihre Vorteile haben und dass die eine Behandlungsform nicht der anderen grundsätzlich vorzuziehen ist. Daraus können wir den Schluss ziehen, dass sowohl die Thermischen Behandlungsanlagen als auch die MBA’s gleichwertige Entsorgungsmöglichkeiten darstellen, von denen weder die eine noch die andere zu verteufeln ist. Dies müssen wir dann aber auch in der Öffentlichkeit entsprechend transportieren.
Das gilt auch für die Frage der Umweltverträglichkeit der derzeitigen Anlagen. Es ist klar, dass alle Anlagen in irgend einer Weise Einfluss auf die sie umgebende Umwelt haben. Wenn man so will, ist es unser aller Schuld, weil wir alle den entsprechenden Müll produzieren. Wichtig ist aber die Erkenntnis der Landesregierung unter Frage 6.4.4., in der darauf hingewiesen wird, dass keine zusätzlichen Anordnungen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen erlassen werden müssen. Dies soll die Menschen nicht beruhigen oder mundtot machen, aber die Diskussion auf eine sachliche und rationale Basis stellen. Und möglicherweise sollten wir in Zukunft die MVA’s und MBA’s mit anderen Industrieanlagen und deren Immissionen vergleichen. Ich kann mir vorstellen, dass man dann ein anderes Bild bekommen könnte.
Ein Feld, wo die Landesregierung in Zukunft aufmerksam sein sollte, ist die Verbringung von Abfällen zur Sortierung und Verwertung ins Ausland oder in andere Bundesländer. Müll wird gehandelt wie eine Ware und überschreitet Grenzen. Selbst der – ich nenne ihn einmal: harmlose – Müll, der wiederverwertet werden kann, bedarf besonderer Beachtung. Was geschieht eigentlich wirklich mit diesem Müll? Wird der Abfall wirklich wiederverwendet oder einfach nur verbrannt? In Deutschland gibt es inzwischen einige Beispiele, dass der wiederverwertbare Abfall eben nicht wiederverwertet wurde, sondern in Verbrennungsanlagen oder auf großen Deponien landete. Unter Frage drei wird dieser Komplex lapidar mit einem Dreizeiler beantwortet (ich zitiere): „Zur Sortierung wurden keine Abfälle zur Verwertung ins Ausland verbracht. Über die Verbringung zur Sortierung in andere Bundesländer liegen keine Daten vor.“ Somit ist klar, die Verbringung ins Ausland wird kontrolliert und keine verwertbaren Abfälle gehen aus Schleswig-Holstein ins Ausland. Aber die Verbringung in andere Bundesländer wird nicht kontrolliert und daher weiß man im Umweltministerium auch nicht, was gegebenenfalls mit dem Müll passiert. Auch hier stellen wir wieder fest: Das Umweltministerium handelt nach der Devise Augen zu und durch, solange es keiner merkt, brauchen wir ja vielleicht auch keine Verantwortung übernehmen. Auch hier hat die Landesregierung ihr politisches Ziel schlichtweg nicht mehr weiterverfolgt. Sie sollte dies aber in Zukunft tun und die entsprechenden Kontrollen durchführen.
Einen großen Teil der Großen Anfrage nimmt der Themenkomplex Privatisierung und Entlohnung ein. Wir können zweierlei feststellen: Erstens, die Privatisierung wird weiter fortschreiten. Schon jetzt sind weite Bereiche der Abfallwirtschaft an Private vergeben bzw. komplett an Private übertragen. Bisher geschah dies im Rahmen von freien Vergaben und Umwandelungen der Rechtsform von Eigenbetrieben oder kommunalen Abteilungen. Europaweite Ausschreibungen sind aber sozusagen im Kommen. Die ersten dieser Ausschreibungen sind gelaufen und zumindest für die derzeit schon privatisierten Bereiche besteht die Pflicht, diese Leistungen in Zukunft europaweit auszuschreiben. Aber auch die noch in kommunaler Hand befindlichen Bereiche werden irgendwann einmal ausgeschrieben werden. Der Preisdruck, der in den vergangenen Jahren entstanden ist, wird sich weiter verstärken und auch den letzten Kreis und die letzte Kommunen dazu bewegen auszuschreiben.
Zweitens, aufgrund der Ausschreibungen werden negative Auswirkungen auf die Lohntarifstruktur, die Anzahl der Arbeitsplätze, die Qualität der Leistung, den Standard der Ausbildung der Beschäftigten und auf die Ökologie durch die Kreise und Kommunen erwartet.
Hier galt es zu handeln und in der Antwort auf die Große Anfrage wird ja noch einmal deutlich gemacht, dass der Landtag hier gehandelt hat, indem er kürzlich ein Tariftreuegesetz verabschiedet hat. Hat man ordentlich bezahlte Leute mit einer vernünftigen Ausbildung, so kann man die zitierten negativen Auswirkungen von Ausschreibungen minimieren.
Erstaunlich ist allerdings, dass die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger oft überhaupt nicht wissen, welche Tarife gezahlt werden. Hier müssen unsere Kommunalpolitiker sensibler werden und nacharbeiten. Hier gibt es eine Menge Spielraum zugunsten der Beschäftigten und der Bürgerinnen und Bürger, der durch die Kommunalpolitik ausgefüllt werden muss. Zudem wird deutlich, dass die Tarifstrukturen auch heute schon nicht immer den in der Branche üblichen entsprechen. Neben BMTG, BAT und BDE-Tarif wird nicht nur nach Haustarif oder Tarifen aus anderen Branchen entlohnt, sondern manchmal gibt es auch überhaupt keinen Tarif. Die Kommunalpolitik hat hier eine besondere Verantwortung gegenüber den Beschäftigten. Deshalb kann es nur einen Weg geben, das Tariftreuegesetz muss in den Kreisen und Kommunen angewandt werden und wir müssen unsere Kommunalpolitiker von diesen Möglichkeiten in Kenntnis setzen.
Zuletzt noch einige Anmerkungen zu den strahlenden Altlasten. Was den Rückbau der Atomkraftwerke angeht, müssen wir mit Kosten pro Kraftwerk von einer bis drei Milliarden Euro rechnen. Für diese riesigen Summen dürfen die Betreiber Rückstellungen bilden, die an sich schon eine riesige Subventionierung dieser Energieform darstellen. Gleichwohl liegen Rückbau- und Entsorgungskonzepte seitens der Betreiber noch gar nicht vor. Da stellt sich dann schon die Frage, auf welchen genauen Annahmen diese milliardenschweren Rückstellungen beruhen. Erst einmal bleibt aber festzustellen, dass die Rückstellungen unversteuert bei den Betreibern verbleiben.
Außerdem ist die Frage der Endlagerung des Atommülls immer noch nicht gelöst. Auch hier kommen noch Kosten auf uns zu, die derzeit noch in keinster Weise planbar sind. Was wir aber jetzt schon politisch feststellen sollten ist, dass die Verursacher der strahlenden Altlasten genauso für die Kostenbewältigung herangezogen werden, wie die Verursacher von normalen Altlasten.
Ich beantrage die Überweisung in den Umweltausschuss zur abschließenden Beratung.

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