Rede · Flemming Meyer (2009–2020) · 13.12.2006 Änderung des Schleswig-Holsteinischen Ausführungsgesetz zum Sozialgerichtsgesetz

Dass sich die Zahl der Klagen bezüglich Hartz IV immer noch auf einem sehr hohen Niveau bewegen, ist sehr bedauerlich. In der Computerbranche kennt man das schon lange: unausgereifte Computerprogramme werden frühzeitig ausgeliefert und im Zuge vieler Kundenrückmeldungen und Kundenbeschwerden optimiert. Die Branche hat sogar einen eigenen Namen für ein derartiges Vorgehen: Bananenprodukt: Das Programm reift beim Kunden.
Mit so etwas haben wir es auch bei Hartz IV zu tun. Viele Prozesse vor Gericht hätten sich durch einen sorgfältigeren gesetzgeberischen Prozess vermeiden lassen können. Stattdessen müssen gerade die Schwächsten der Gesellschaft in langwierigen Verfahren ihr Recht vor Gericht erstreiten.
 
Ich möchte nicht missverstanden werden: nicht alle Klagen bezüglich Hartz IV sind gerechtfertigt. Trotzdem haben wir es nicht mit notorischen Klägern zu tun. Etwas anderes verbirgt sich hinter den Zahlen: Unsicherheit und fehlendes Zutrauen in die Verfahren. Viele Kläger klagen bereits aus reinem Misstrauen, weil sie nicht wissen, woran sie sind. Die Entscheidungsverfahren sind teilweise intransparent und die Bescheide auch für einen Muttersprachler nur schwer zu begreifen. Da wundert es niemanden, wenn lieber einmal mehr geklagt wird als zu wenig. Die Angst, durch die Maschen des Systems zu fallen, ist einfach riesig. Das kann ich niemandem verdenken, denn unter Hartz IV ist kein Netz mehr gespannt.

Selbsthilfegruppen wirken angesichts dieser Verunsicherung Wunder. Dort finden Betroffene nämlich solide und engagierte Hilfe rund um die Antragstellung. Selbst mancher Fall-Manager wirft regelmäßig einen Blick auf die entsprechenden Internetseiten, da dort Fristen und Vorschriften stets aktuell und leicht verständlich erklärt sind. Dass die Landesregierung gerade in diesem Bereich 150.000 Euro einsparen will, ist daher besonders unverständlich. Ich greife hier den morgigen Haushaltsberatungen etwas vor. Das tue ich, weil ich davon überzeugt bin, dass ohne über die Konsequenzen nachzudenken, Maßnahmen parallelisiert werden: ein Ressort stöhnt über eine Belastung durch steigende Klagezahlen und ein anderes Ressort streicht Mittel, um diese Zahlen zu begrenzen, indem es Mittel für die Arbeitsloseninitiativen streicht. Ein  Schelm, der Böses dabei denkt.

Bereits bei der ersten Lesung war klar: ausschließlich justizinterne Gründe dürfen für Standortentscheidungen nicht herangezogen werden: Raumausstattung und Richterwillen interessieren einen Kläger herzlich wenig, wenn er mehrere Stunden durch das Land fahren muss. Ich habe einmal nachgeschaut, wie lange es dauert, mit dem öffentlichen Nahverkehr beispielsweise von Brunsbüttel nach Schleswig zu kommen. Mit drei Stunden ist man dabei; für eine einfache Fahrt. Das ist kein guter Zustand. Von den Fahrtkosten ganz zu schweigen. Diese sind gerade für Hartz-IV-Empfänger ein wichtiges Argument für die dezentrale Behandlung ihrer Anliegen.

Abgesehen von der großen Entfernung ist es ausschlaggebend, dass die Bürgerinnen und Bürger schnell zu ihrem Recht kommen. Die Konzentration der Hartz IV-Klagen in Schleswig hat aber nicht zum gewünschten Ergebnis geführt: Stellungnahmen gehen sogar davon aus, dass wir nicht einmal zur einheitlichen Rechtsprechung gekommen sind.
Für den Justizminister war der Anlass der Änderung, dass Schleswig aus allen Nähten platzt. Er hat darum einen entsprechenden Änderungsvorschlag vorgelegt, der diesen Zustand ändern soll. Statt nur noch Schleswig sollen auch andere Standorte vorgesehen werden.
Ich habe mich gewundert, welche Bedeutung dieser an sich geringen Änderung in der Öffentlichkeit beigemessen wird. Selten hat dem SSW so viel Post erreicht zu einem an sich trockenen Thema. Aber Hartz IV ist eben nicht trocken, sondern ein Thema in vielen Familien. An der Westküste haben sich viele für den Standort Itzehoe stark gemacht, um die Wege für die Hartz-IV-Bezieher zu verkürzen. Ich denke, es ist richtig, dass zukünftig entsprechende Verfahren auch in Itzehoe beschieden werden können.

Hartz IV-Entscheidungen müssen sehr schnell getroffen werden, denn es liegt in der Natur der Sache, dass die Arbeitslosen über kein finanzielles Polster verfügen. Aber auch Eilentscheidungen sind aufgrund der hohen Fallzahlen kaum machbar. Der SSW hofft sehr, dass die neue Zuständigkeitsregelung an diesem Missstand entscheidendes ändern wird und die Betroffenen durch diese Regelungen – wahrsten Sinne des Wortes – leichter zu ihrem Recht kommen.
 

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