Rede · Flemming Meyer (2009–2020) · 21.01.2004 Arbeitsmarktpolitik in Schleswig-Holstein

Vorweg möchte ich klarstellen, dass man es sich zu leicht macht, wenn man den Erfolg der Arbeitsmarktpolitik des Landes nur nach den „nackten“ Arbeitslosenzahlen Schleswig-Holsteins misst. Diese Zahlen sind in der Tat niederschlagend, weil wir von 1996 bis heute einen Anstieg in der Arbeitslosigkeit um über 20.000 Personen zu verzeichnen haben. Ende 2003 haben wir damit leider die höchste Arbeitslosigkeit seit über 50 Jahren in Schleswig-Holstein erreicht. Vor diesem Hintergrund ist es leicht zu dem Schluss zu kommen, dass die Arbeitsmarktpolitik der Landesregierung völlig fehlgeschlagen ist. So einfach macht es sich der SSW aber nicht, denn wir beurteilen die Entwicklung differenzierter.

Der SSW begrüßt die Große Anfrage der FDP zur Arbeitsmarktpolitik in Schleswig-Holstein. Seit 1996 sind über 200 Millionen Euro für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen in Schleswig-Holstein – in den Programmen ASH III und ASH 2000 - ausgegeben worden. Deshalb ist es richtig, dass der Landtag sich im Detail mit den Ergebnissen der Arbeitsmarktpolitik der Landesregierung beschäftigt. Die Antwort der Landesregierung zur Arbeitsmarktpolitik gibt denn auch einen guten Überblick über die vielfältigen arbeitsmarktpolitische Maßnahmen der letzten Jahre in Schleswig-Holstein. Allerdings sind die beigefügten Statistiken etwas unübersichtlich strukturiert.

Zum einen nützt die beste Arbeitsmarktpolitik im Lande nichts, wenn sie nicht von einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung begleitet wird. Es ist sehr simpel: Wo keine neuen Arbeitsplätze geschaffen werden oder die alten nicht erhalten bleiben, kann man auch nicht mit Qualifizierung, Weiterbildung oder Umschulung Arbeitslose in Arbeit bringen.

Wir wissen alle, dass die letzten Jahre von wirtschaftlicher Stagnation geprägt waren. Auch die schleswig-holsteinischen Unternehmen waren von dieser Konjunkturflaute betroffen und haben Arbeitsplätze abgebaut. Wir brauchen also eine Wirtschafts- und Finanzpolitik, die endlich einen wirtschaftlichen Aufschwung und zukunftsgerichteten Strukturwandel in Gang bringt. Deshalb ist es auch richtig - wie in Schleswig-Holstein und auf Bundesebene geschehen – die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik in eine Hand zu legen, damit die verschiedene Maßnahmen ineinander greifen und nicht zuwider laufen. Allerdings darf dabei die Arbeitsmarktpolitik nicht herunterfallen und der Wirtschaftspolitik völlig untergeordnet werden. Das wäre aus unserer Sicht der falsche Weg.

Zum anderen haben wir bei der Arbeitsmarktpolitik der Länder – wie im deutschen Föderalismus üblich – eine unübersichtliche Gemengelage von verschiedenen Zuständigkeiten und Beteiligten auf allen Ebenen. Ein großer Teil der Gelder für die Arbeitsmarktpolitik sowohl bei ASH III als auch bei ASH 2000 kommt aus den europäischen Förderprogrammen. Natürlich hat Brüssel deshalb eigene Ziele und Forderungen, die erfüllt werden müssen, wenn man die Zuschüsse zum Beispiel aus dem Europäischen Sozialfond bekommen möchte. Hierzu gibt es auch noch die Beschäftigungspolitische Leitlinien der EU nach denen sich die geförderten Maßnahmen richten müssen.

Die Hauptverantwortung für die Vermittlung von Arbeitslosen liegt bei der Bundesregierung und damit bei der Bundesanstalt für Arbeit. Die Bundesagentur für Arbeit (BA), hat das entscheidende Wort bei der Förderung und Unterstützung von Arbeitslosen. Das gilt insbesondere bei der Umsetzung der Hartz-Gesetze oder des JOB-AQTIV-Gesetzes. Zu guter letzt haben wir die Kreise, Städte und Kommunen, die verantwortlich sind für die arbeitslosen Sozialhilfeempfänger. Also: Alles dies zusammengenommen macht es für die Landesregierung nicht ganz einfach eine klar strukturierte und zielgenaue Arbeitsmarktpolitik für Schleswig-Holstein zu entwickeln.

Der SSW ist aber der Auffassung, dass die Landesregierung mit ihren Programmen ASH III und ASH 2000 unter den gegebenen schwierigen Umständen eine vernünftige Arbeitsmarktpolitik geführt hat. Ohne die Mittel und Maßnahmen aus diesen Programmen sähe die Situation am schleswig-holsteinischen Arbeitsmarkt noch viel düsterer aus als heute.



ASH III ist ein sozialpolitisch ausgerichtetes arbeitsmarktpolitisches Ergänzungsprogramm zu den Möglichkeiten der Bundesanstalt für Arbeit. Die qualitativen Ziele von ASH III richten sich daher hauptsächlich auf Schwerpunkte wie „Qualifizierung statt Arbeitslosigkeit“, „Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit“ oder „Erleichterung der Eingliederung der Jugendlichen“ und auf einige andere Maßnahmen.

Die Ziele von ASH 2000 sind etwas breiter gefasst, weil sie sowohl „Arbeit schaffen“ und „Menschen für die Zukunft qualifizieren“ will als auch den „Wirtschaftsstandort stärken“ soll. Dennoch gibt es auch in diesem Bereich viele Unterziele, die sich mit der Förderung von Langzeitarbeitslosen und gering qualifizierten oder Sozialhilfeempfängern beschäftigen. Sicherlich kann man kritisch anmerken, dass die Landesregierung mit den beiden Programmen sehr viele Zielsetzungen verfolgt und als Zielgruppe alle arbeitslos gemeldeten Personen angibt. Dennoch muss wiederum berücksichtigt werden, dass sich diese Zielsetzungen zum großen Teil aus den Förderrichtlinien der EU-Programme ergeben und, dass eine weitere Konzentration auf einzelne Zielgruppen dadurch erschwert wird.


Darüber hinaus fällt es mir sehr schwer, die von der FDP geforderte, Konzentration der Arbeitsmarktförderung nur auf Langzeitarbeitslose und Behinderte zu akzeptieren. Denn dadurch würden viele andere Gruppen – zum Beispiel die Frauen, die nach der Geburt ihrer Kinder wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt wieder integriert werden müssen oder Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz erhalten haben – von einer aktiven Förderung seitens des Landes ausgegrenzt werden.

Das ist nicht unser Ziel. Der SSW unterstützt zwar eine Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik in Schleswig-Holstein - in etwa in die Richtung die der Wirtschaftsminister angegeben hat. Aber diese Neuausrichtung ist ja vor allem notwendig, weil die vielen Hartz-Gesetze der Bundesregierung und die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, die Rahmenbedingungen für die bisherige Politik stark verändert haben. Darauf muss die Landesregierung richtigerweise reagieren.


Die Forderung nach quantitativen Zielvorgaben auf der Ebene der Gesamtprogramme von ASH III und ASH 2000 lehnen wir weiterhin ab. Für einzelne Programmpunkte mögen solche messbare Ziele sinnvoll sein, aber übergeordnete Zielvorgaben bringen uns nicht wirklich weiter, da der Erfolg von so vielen nicht beeinflussbaren äußeren Faktoren abhängt. Eine Konzentration der Mittel und der Fördermaßnahmen mag also in einigen Bereichen sinnvoll sein. Aber wir wollen weiterhin eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die für jeden einzelnen Arbeitslosen eine Zukunftsperspektive bietet.


Deshalb hatten wir auch das am 1.1.2002 in Kraft getretene JOB-AQTIV-Gesetz der Bundesregierung begrüßt. Wir hatten die Hoffnung, dass man mit diesem Gesetz sich verstärkt auf die Situation und die Perspektiven des einzelnen Arbeitslosen konzentrieren konnte. Insbesondere sahen wir die gemeinsame Ausarbeitung von Bewerberprofilen des Arbeitssuchenden mit seinem Vermittler als einen viel versprechenden Ansatz, der zumindest in Dänemark die Vermittlungsquote stark verbessert hat. Auch bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sollte das Gesetz ein Schritt nach vorne sein.


Die Antworten der Landesregierung zur Großen Anfrage zum Thema JOB-AQTIV-Gesetz sind allerdings ernüchternd. Im Grunde kann die Bundesagentur nicht nachweisen, dass die Einführung des Gesetzes irgendwelche positiven Einflusse auf dem Arbeitsmarkt in Schleswig-Holstein gehabt hat. Das mag zum einen an der schlechten Datenlage der BA in diesem Bereich liegen. Zum anderen erscheint es uns aber so, dass das JOB-AQTIV-Gesetz von der Diskussion und den Beschlüssen zum Hartz-Konzept völlig überholt worden ist. Noch bevor die Ziele und Maßnahmen des JOB-AQTIV-Gesetzes ihre Wirkung entfalten konnten, hatte die Bundesregierung bereits mit den Hartz-Gesetzen einen andere und schnellere Gangart eingelegt.


Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht ist das eigentlich eine sehr kontraproduktive Politik. Leider ergibt sich aus der Antwort zur Großen Anfrage im Bereich der Umsetzung des sog. „Hartz-Konzeptes“, dass auch hier noch keine großen arbeitsmarktpolitischen Erfolge zu verzeichnen sind. So läuft die Einführung der Personal-Service-Agenturen – der PSA´s – auch in Schleswig-Holstein äußerst schleppend an. Nur knapp über 500 Arbeitslose sind in Schleswig-Holstein bisher bei einer PSA beschäftigt und verdienen sich als Leiharbeiter ihr Geld.


Auch bundesweit sind die bisherigen Zahlen der Personal-Service-Agenturen nicht berauschend. Natürlich liegt das an der schwachen konjunkturellen Entwicklung, aber auch an den vielen bürokratischen und praktischen Hindernissen, die sich bei der Umsetzung der PSA vor Ort ergeben haben. Auch scheint die Wirtschaft dieses Instrument noch nicht so anzunehmen, wie man es sich vorgestellt hatte. Das gleiche gilt insbesondere für das Programm „Kapital für Arbeit“. Der SSW warnte schon bei der Vorstellung des Programms davor zu glauben, dass Unternehmen mehr Beschäftigte anstellen, wenn sie dadurch zusätzliche Kredite bekommen können. Die Beschäftigungszahlen richten sich natürlich hauptsächlich nach der Auftragslage in den Betrieben. Deshalb kann es keinen überraschen, dass das Programm „Kapital für Arbeit“ kaum von der Wirtschaft angenommen wird.


Dagegen wären direkte Lohnkostenzuschüsse für Arbeitslose, die in Unternehmen angestellt werden, ein besserer Ansatz. Erfahrungen - beispielsweise aus Dänemark - zeigen, dass Lohnkostenzuschüsse für die Integration von Arbeitslosen auf den ersten Arbeitsmarkt sehr effektiv sind, weil die Hemmschwelle für die Neustellung von Arbeitslosen auf diese Weise gesenkt wird. In vielen Fällen bekommen die Arbeitslosen einen langfristige Vollzeitarbeitsplatz im Betrieb, denn sie können ihre Qualifikation in den Betrieben selbst unter Beweis stellen. Der SSW unterstützt daher die Forderung der FDP in dieser Frage.


Die im Rahmen des Hartz-Konzeptes eingeführten Bildungsgutscheine für Arbeitslose haben bisher sehr negative Auswirkungen auf die Bildungsträger im Lande gehabt. Die Zielsetzung, dass der einzelne Arbeitslose am besten selbst weiß, wie er mit Weiterbildungsmaßnahmen wieder in Arbeit kommt, ist sicherlich nicht falsch. Aber wenn diese Umstrukturierung mit einer Mittelkürzung für Weiterbildungsmaßnahmen insgesamt verbunden wird, dann darf man sich über die negativen Folgen auf die Weiterbildungslandschaft nicht wundern. Dazu kommt, dass es nicht sehr viele Weiterbildungskurse gibt, die die geforderte 70%-Verbleibsquote einhalten können. Deshalb unterstützt der SSW auch die Forderung der Landesregierung, dass die 70% Verbleibsquote flexibel gehandhabt wird, um auch in strukturschwachen Regionen Bildungsangebote vorzuhalten und um benachteiligten Personengruppen die Chance zu geben, an beruflichen Fortbildungen teilnehmen zu können.


Die erfolgreichsten Instrumente des Hartz-Konzeptes sind bisher die sogenannten ICH-AG´s und die Wiedereinführung der MINI-Job´s, die auch in Schleswig-Holstein sehr positive Zahlen zur verzeichnen haben. Allerdings muss man auch hier einige Abstriche machen. Denn bei den ICH-AG´s gibt es sicherlich in einigen Branchen die Gefahr der Wettbewerbsverzerrung mit bestehenden Betrieben und der Erfolg lässt sich zur Zeit noch nicht messen. Bei den MINI-JOBs besteht die Gefahr, dass in einigen Branchen bestehende Arbeitsplätze in MINI-Jobs umgewandelt werden. Deshalb sind die Einnahmenausfälle für die Sozialversicherungen und die mangelnde soziale Absicherung der MINI-Jobber weiterhin ein großes Problem.


Aus Sicht des SSW ist der wichtigste Teil des Hartz-Konzeptes der Umbau der bisherigen Bundesanstalt für Arbeit. Diese soll endlich die Vermittlung und nicht die Verwaltung der Arbeitslosen in den Mittelpunkt stellen. Leider erscheint die Umwandlung in eine effiziente Arbeitslosenvermittlung äußerst schwierig zu sein. So sind Beispielsweise die geplanten Job-Center für Arbeitslose erst im Aufbau. Auch das Ziel, dass jeder Arbeitsvermittler nur noch 70 anstatt wie heute über 400 Arbeitslose zu betreuen muss endlich schneller umgesetzt werden. Auch wenn man der Bundesagentur für Arbeit noch etwas Zeit zugestehen muss, so fällt das bisherige Ergebnis der Umsetzung des Hartz-Konzeptes eher negativ aus.


Es bleibt daher wichtig, dass sich die Landesregierung auf Bundesebene für eine vernünftige und berechenbare Politik der Bundesagentur der Arbeit stark machen will. Insbesondere können wir nicht damit Leben, dass die BA gleichzeitig mit diesen massiven Veränderung der Arbeitsmarktpolitik, die bisher erfolgreichen beschäftigungspolitischen Maßnahmen der Kommunen und kommunaler Träger unterläuft indem sie die ABM-Maßnahmen massiv kürzt. Gerade vor dem Hintergrund der AGENDA 2010, die ja für Langzeitarbeitslose starke Leistungskürzungen vorsieht, ist das im höchsten Maße eine unsoziale Politik. Die Kürzungen im zweiten Arbeitsmarkt können höchstens am Ende einer erfolgreichen Umsetzung des Hartz-Konzeptes stehen und nicht am Anfang. Der SSW ist daher der Meinung, dass der sogenannte Zweite Arbeitsmarkt auch in naher Zukunft aufrechterhalten bleiben muss, weil er für viele, die einzige Perspektive ist um einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen.


Die Landesregierung muss dies bei der Neustrukturierung der Arbeitsmarktpolitik in Schleswig-Holstein im Hinterkopf behalten und zu berücksichtigen. Natürlich wollen wir am liebsten alle Arbeitslosen wieder in den Ersten Arbeitsmarkt integrieren Angesichts der wirtschaftlichen Prognosen erscheint uns dieses Ziel aber in naher Zukunft utopisch. Der SSW wird sich deshalb weiterhin für eine aktive Arbeitsmarktpolitik nach skandinavischen Vorbild einsetzen, die keinen Arbeitslosen durchs soziale Netz fallen lässt und Berufsperspektiven auf dem Ersten oder Zweiten Arbeitsmarkt für alle sichert.

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