Rede · Flemming Meyer (2009–2020) · 28.01.2000 Bericht zur Situation der Familien

Ich finde, wir haben Anlass, die Landesregierung zu loben. Der Familienbericht ist nicht nur umfangreich geworden, auch die Qualität stimmt. Er bietet kommenden Landtagen und Landesregierungen solides Material für eine solide Familienpolitik. Dafür sei allen Beteiligten gedankt.
Einen Nachteil hat diese Fülle an Material allerdings. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit in der Kürze einer Landtagsrede dem Gesamtwerk gerecht zu werden. Daher werde ich mich auf eine Reihe einzelner Punkte beschränken müssen, die mir von besonderer Wichtigkeit zu sein scheinen - ohne dass damit alles Wichtige erwähnt sei.
Positiv fällt schon zu Eingang des Berichts auf, dass man sich auf ein Familienbild festgelegt hat, das der heutigen Wirklichkeit entspricht. Familie ist dort, wo Erwachsene mit Kindern leben. Damit wird der gesellschaftlichen Realität Rechnung getragen, dass die gleichzeitige Einheit von Elternschaft und Partnerschaft, heute nicht mehr selbstverständlich ist. - In Klammern sei übrigens erwähnt, dass diese Vereinigung von Ehe und Elternschaft in der bürgerlichen Familie keine gottgegebene Sache ist, sondern aus dem 19. Jahrhundert stammt. - Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass die biologischen Eltern eines Kindes auch in einer Partnerschaft zusammenleben. Dass Eltern heute auf die verschiedenste Weise gemeinsame Kinder haben können, ohne eine Intimbeziehung zu unterhalten, das zeigt die Lektüre des Berichts in aller Deutlichkeit. Zwar ist es statistisch nach wie vor das häufigste, dass Eltern in einer Partnerschaft zusammenleben. Daneben haben sich aber in den letzten Jahrzehnten eine Menge anderer Lebensformen entwickelt, die das Monopol der bürgerlichen Familie gebrochen haben. Diese Familien - seien es nun Einelternfamilien, Stieffamilien oder Patchwork-Familien - haben auch einen moralischen Anspruch darauf, von der Politik als Familie wahrgenommen und gefördert zu werden. Das kann aber nur geschehen, wenn die Eltern-Kind-Beziehung in der Politik in den Vordergrund rückt, und nicht von der Eltern-Eltern-Beziehung dominiert wird. Dem ist 1999 schon durch das Erbschaftsrecht und das neue Sorgerecht Rechnung getragen worden, das noch von Frau Nolte auf den Weg gebracht wurde. Auch das lässt sich auf einen ähnlichen Nenner verkürzen: Im Interesse der Kinder muss versucht werden, dass Eltern auch Eltern bleiben (und gemeinsam Eltern bleiben), wenn ihre Partnerschaft zerbricht. Ich verkenne nicht, das dieses Probleme bereiten kann, weil eine zerbrochene Partnerschaft nicht einfach wegzuwischen ist und meist Verletzungen hinterlässt. Erstrebenswert ist dieses Ziel aber trotzdem allemal.
Mit dem Bild von Familie als Lebensgemeinschaft von Erwachsenen und Kindern - wobei diese nebenbei bemerkt nicht immer unbedingt unter einem Dach wohnen müssen - haben wir eine gute Grundlage für die Familienpolitik. Es bleibt viel zu tun, um diesem Bild auch politisch gerecht zu werden.
Ein Bereich der bisher stark unterbelichtet ist, aber lobenswerter Weise vom Familienbericht aufgegriffen wird, ist die Frage von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften mit Kindern. Hier hat Gott sei Dank ein Wandel eingesetzt. Ich möchte ausdrücklich die Bewegung der CDU in dieser Frage loben. Wir werden zukünftig auch homosexuelle Eltern und ihre Kinder stärker berücksichtigen müssen. In Dänemark können schwule und lesbische Paare seit dem letzten Jahr gegenseitig leibliche Kinder adoptieren. So sehr solche Gedanken heute noch in der Bundesrepublik auf Widerstand stoßen, bin ich zuversichtlich, dass wir eine solche Regelung auch in einigen Jahren bekommen werden.
Ein zentrales Problem der Familienpolitik - und auch der Gleichstellungspolitik - ist die nach wie vor eklatante Unvereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie. Vor allem die Kinderbetreuung ist in den meisten Fällen eine Grundvoraussetzung für die wirtschaftliche Existenz von Familien. Besonders bei Einelternfamilien ist es daher unerlässlich, dass ein qualitativ hochwertiges Angebot gewährleistet ist. Wir erkennen an, dass die Landesregierung in diesem Bereich große Anstrengungen unternommen hat, um den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zu erfüllen; und wir sehen auch mit Wohlwollen, dass jetzt jene Bereiche in Angriff genommen worden sind, in denen noch große Defizite bestehen. Es geht nun darum, die Angebote für Kinder unter 3 Jahren und die Freizeitangebote für Schulkinder zu verbessern. Die betreuten Grundschulen und die Ganztagsschule sind bewährte Möglichkeiten um die Kinderbetreuung zu gewährleisten, wenn die Eltern nachmittags arbeiten. Ich rege aber nochmals an, auch einen Blick nach Dänemark zu tun. Dort bestehen mit den Freizeitheimen und Freizeitclubs flächendeckend hochwertige Angebote, die in Schleswig-Holstein - außer in der Einrichtungen der dänischen Minderheit - in dieser Form kaum vorhanden sind. In den Freizeitheimen und -clubs erreicht man eine pädagogische Qualität, die mit der betreuten Grundschule nicht erreicht werden kann. Die Zielsetzung, Eltern - vor allen den Müttern - die Berufstätigkeit zu ermöglichen, ist bei weitem nicht der einzige Grund, weshalb wir Kinderbetreuung anbieten. Diese Angebote stellen auch eine Bereicherung für die Kinder dar. Daher wird zunehmend auf die pädagogische Qualität der Einrichtungen zu achten sein, wenn die Quantitäten stimmen. Schließlich kann es in der Familienpolitik nicht nur darum gehen, die Eltern von den Kindern freizustellen, damit sie ihrem Beruf nachgehen können.
Damit wären wir bei einem weiteren wichtigen Thema in Verbindung mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Die Freistellung der Eltern vom Beruf, damit sie sich mit ihren Kindern beschäftigen oder sie pflegen können. Hier sehen wir noch große Defizite. Auch der Bericht macht deutlich, dass es gute Alternativen zur gegenwärtigen Regelung in der Bundesrepublik gibt. In Sachen Elternurlaub kann der Landtag zwar nicht viel tun, die Landesregierung hätte aber schon die richtigen Beziehungen. Man sollte noch einmal darüber nachdenken, ob bessere Urlaubsregelungen für Eltern neben dem familienpolitischen Effekt nicht auch noch eine erfreuliche arbeitsmarktpolitische Wirkung haben könnten.
Ein Bereich, der dem SSW besonders am Herzen liegt, ist die Beteiligung und Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen. Das Land Schleswig-Holstein nimmt seit Jahren eine Vorreiterrolle ein, wenn es um solche Partizipationsmodelle geht. Nicht zuletzt angesichts der aktuellen Skandale wird von jungen Menschen die Redlichkeit der Politik wieder in Frage gestellt. Um zu verhindern, dass diese Frustrationen irgendwann einmal zum Problem für die parlamentarische Demokratie werden könnte, müssen die bürgernahen Beteiligungs- und Mitbestimmungsformen weiter gefördert werden. Wir haben in dieser Wahlperiode die Regierung dazu aufgefordert, die alltägliche Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen weiter auszubauen. Bisher haben wir davon keine konkreten Ergebnisse gesehen. Wir erwarten von einer kommenden Landesregierung, dass sie diese Politik zielstrebig weiterentwickelt.
Zuletzt noch eines zu den Stellungnahmen, die im Vorfeld der Landtagsdebatte abgegeben wurden. Wenn die CDU schon im Vorwege beklagt, dass in dem Bericht keine Werteaussagen vorhanden sind, dann ist das für mich nicht nachvollziehbar. Es mag ein Mangel an konservativen Wertvorstellungen von Familie und Erziehung vorhanden sein. Das stimmt. Dieses bedeutet aber nicht, dass keine Werte vorhanden sind. Für mich ist eindeutig, dass dem Familienbericht der Landesregierung ein normatives Familienleitbild zugrunde liegt, dem wir eigentlich alle müssten zustimmen können. Das Ziel ist eine symmetrische Familie, eine Familie, in der beide Partner sich gleichermaßen um Beruf und Kinder kümmern. Trotz aller Lippenbekenntnisse - vor allem der Männer - sind wir noch weit von einer partnerschaftlichen familiären Arbeitsteilung entfernt. Ich finde, das ist ein ganz zentraler Wert, für den es sich auch in kommenden Wahlperioden zu kämpfen lohnt.

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