Rede · Lars Harms · 22.09.2023 Das Hauptproblem bleiben mangelnde Kapazitäten

„Ich erwarte, dass die Landesregierung angesichts der historischen Herausforderung Druck auf den Bund ausübt, damit mehr Mittel für die Geflüchteten zur Verfügung gestellt werden. Nur so können wir die Menschen wirklich gut integrieren!“

Lars Harms zu TOP 26 - Bericht zur Unterbringungssituation von Flüchtlingen (Drs. 20/1360)

Fast unbemerkt hat sich über den Sommer hinweg ein Riesenproblem entwickelt: die Unterbringung von geflüchteten Menschen, die nach Schleswig-Holstein kommen, kann in absehbarer Zeit nicht mehr gewährleistet werden. 100 neue Geflüchtete kommen jeden Tag nach Schleswig-Holstein; und diese Zahlen werden beibleiben. 
Dabei ist das Wort Unterbringung selbst ein Problem: es geht nämlich nicht um ein Bett, ausreichende Mahlzeiten und Sanitäranlagen, sondern Unterbringung bedeutet auch, dass die Menschen medizinische und psychologische Unterstützung erhalten, Beratung, Integrationsangebote und Schulunterricht. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass wir es beim Unterbringungsproblem nicht nur mit einem administrativen Akt zu tun haben, dem durch Optimierung oder Beschleunigung der Prozesse beizukommen wäre. Das ist nicht der Fall. Die Landesregierung sollte auch nicht so tun, als ob das Drehen an ein paar Stellschrauben die Probleme aus der Welt schaffen. Die Einhaltung der vierwöchigen Informationszeit für die Kommunen und die Vermeidung doppelter Registrierungen sollten schon längst dauerhafter Standard sein.

Das Hauptproblem bleiben mangelnde Kapazitäten – und das auf vielfältige Weise: Schleswig-Holstein hat keine freien Wohnungen mehr, die Beratungsangebote sind überlaufen und Kita-Plätze sind Mangelware. Keiner dieser Engpässe wird sich im Laufe des laufenden Jahres beheben lassen; Ansätze zur flächendeckenden Lösung erkenne ich allerdings auch nicht. Dabei hatte die Ministerin zu Dienstantritt versprochen, dass das eigenständige Leben mit einem Zugang zu Arbeit und Schule für Geflüchtete an erster Stelle stehen sollte. Tatsächlich steigt die Aufenthaltsdauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen von Tag zu Tag. Ein eigenständiges Leben rückt für Geflüchtete damit in weite Ferne. Und eine Entspannung ist nicht in Sicht. Aber damit nicht genug: Bereits jetzt kommt Schleswig-Holstein sogar bei Bett und Mahlzeit für Geflüchtete an seine Grenzen. Turnhallen sind Notunterkünfte: sie sind keine Lösungen! 

Ohne gemeinsame Anstrengungen werden wir sehr schnell in eine unmenschliche Situation hineinrutschen. Schon jetzt ist es nicht dauerhaft gewährleistet, dass Familien mit kleinen Kindern in geschützten Bereichen Aufnahme finden. Das ist gerade für die traumatisierten Kinder eine weitere Belastung. Ehrenamtliche Unterstützerinnen und Unterstützer, die Sozialverbände und die Kommunalverwaltungen agieren am Limit. Viele Akteure fühlen überfordert, was gerade bei den Ehrenamtlichen dazu führt, dass sich kaum neue finden lassen. Wir dürfen nicht vergessen, dass noch lange nicht alle Geflüchteten, die seit 2015 nach Schleswig-Holstein kamen, ausreichend integriert sind. Der Aufgabenberg wächst dementsprechend unaufhörlich.

Was ist darüber hinaus nötig? Die Landesregierung muss bei Baumaßnahmen in den Kommunen unterstützen, in entsprechenden Fällen konsequent rückführen und gleichzeitig vor allem Angebote zur freiwilligen Rückkehr machen, Freiräume zur Nutzung von Leerstand erlauben, neue Bündnisse vor Ort unterstützen und den Kommunen mehr Mittel für die Betreuung der Menschen zur Verfügung stellen. Darum sind Verhandlungen mit dem Bund zur Bereitstellung zusätzlicher Bundes-Mittel überfällig. Ich hoffe, dass entsprechende Termine schon stehen.
Business as usual ist also der absolut verkehrte Weg. Innovative, breit angelegte Konzepte mit der Einbindung aller Akteure sind jetzt dringend angezeigt; aber auch handfeste Finanzierungszusagen. Ich erwarte, dass die Landesregierung angesichts der historischen Herausforderung Druck auf den Bund ausübt, damit mehr Mittel für die Geflüchteten zur Verfügung gestellt werden. Nur so können wir die Menschen wirklich gut integrieren!

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