Rede · Flemming Meyer (2009–2020) · 24.02.2011 Debatte über politische Führung und die Wahrnehmung schleswig-holsteinischer Interessen

Wir sind mittlerweile einiges von Schwarz-Gelb gewohnt. Dies gilt nicht zuletzt in der Bildungspolitik. Trotzdem werden vielen am 4. Februar die Gesichtszüge entglitten sein. An diesem morgen konnten wir in der Dithmarscher Landeszeitung lesen, dass das Bildungsministerium eilig einen Erlassentwurf zurückgezogen hat, der eine ärztliche Untersuchung für Schulkinder vorsah, die G9 wählen. Sie sollten durch ein ärztliches Attest dokumentieren, „dass der psychische oder physische Gesundheitszustand des Kindes eine längere Lernzeit notwendig macht“.

Man hätte dies als bürokratische Realsatire einstufen können, wenn es nicht so gewesen wäre, dass dieser Erlassentwurf auch über die Schreibtische der Ministeriumsleitung gegangen ist. Das Eingeständnis von Dr. Klug, er habe den umstrittenen Anhörungsentwurf abgezeichnet, wirft natürlich die Frage auf, ob der Minister, sein Staatssekretär und deren Mitarbeiter die erforderlichen Kulturtechniken beherrschen, derer es bedarf, um sich den Inhalt eines Textes zu erschließen. Es ist schon bemerkenswert, dass sie nicht in der Lage waren, einen Erlass korrekt und gewissenhaft zu lesen, der eine der sensibelsten Fragen der Landespolitik betraf. Dies lässt nur den Schluss zu, dass so mancher mit seinem Job überfordert ist.

Zum anderen wird hier aber zu Recht die Frage nach den Führungsqualifikationen gestellt, denn dass ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin dem leidenschaftlichen G9-Fan Klug eine Diskriminierung von G9-Anwärtern in den Erlass schreibt, offenbart auch die Schwäche der Hausspitze. Das hat der Kollege Kubicki bestätigt, indem er dem Ministerium unterstellt, die fünfte Kolonne der SPD zu sein. Einmal davon abgesehen, dass andere diese Bildungsministerialbürokratie anders erleben, hat der FDP-Fraktionsvorsitzende damit vor allem dem Minister und seinem Staatssekretär ein Armutszeugnis ausgestellt.

Es ist wahrlich kein Bild der Führungsstärke, das die Landesregierung in den letzten Wochen geboten hat. Dies gilt nicht nur für Dr. Ekkehard Klug, der sich von eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vorführen lässt und wichtige Papiere abzeichnet, ohne sie zu lesen bzw. zu verstehen. Es gilt ebenso für den Ministerpräsidenten, der zuletzt nicht verhindern konnte, dass die CDU auf FDP-Minister schießt und der Landesvorsitzende der FDP die CDU-Landwirtschaftsministerin aufs Korn nimmt. Die Verfassung der CDU-FDP-Koalition hat mich in den letzten Wochen teilweise an die Agonie der Großen Koalition erinnert. Denn genauso wie damals zeichnet sich das Bild, dass der Ministerpräsident seine Mannschaft einfach gewähren lässt, solange ihm keiner persönlich auf die Füße tritt. Sobald aber ein Sturm aufzieht, duckt sich der Schönwettermensch Carstensen erst einmal weg und stellt sich erst dann den politischen Naturgewalten, wenn das Vakuum ein Machtwort förmlich aus ihm heraussaugt.

Mit Peter Harry Carstensens präsidialem und jovialem Führungsstil kann man sicherlich sehr gut einen Agrarausschuss leiten. An der Spitze eines Bundeslandes ist so ein Führungsstil aber fehl am Platz. In allen großen politischen Krisen der letzten Jahre – von der HSH Nordbank-Affäre bis zum verkorksten Schulgesetz – ist der Ministerpräsident nicht oder allenfalls viel zu spät präsent gewesen. Dies wird nur noch schlimmer werden, jetzt wo er zwar Christian von Boetticher die Kapitänsmütze aufgesetzt hat, aber das Ruder vor der Landtagswahl nicht aus der Hand geben will. Dass die CDU beim aktuellen Zustand der Koalition Angst davor hat, dass Kollege von Boetticher bei einer Abstimmung das Schicksal von Heide Simonis erleidet, ist verständlich. Dass Schleswig-Holstein damit im machtpolitischen Bermudadreieick zwischen Carstensen, von Boetticher und Kubicki strandet, ist aber eine vermeidbare Katastrophe.

So weit, so gut – oder eher: so weit, so schlecht. Wir teilen wenig überraschend die Analyse, dass die Landesregierung Probleme in der politischen Führung hat, dass die Interessen Schleswig-Holsteins besser wahrgenommen werden könnten und dass wir schnelle Neuwahlen brauchen. Allerdings sollte Oppositionspolitik ebenso wenig wie Regierungshandeln von Rückenmarkreflexen gesteuert sein. Deshalb müssen wir unser textanalytisches Verständnis auch auf diesen Antrag anwenden, und da kommt man ohne großen Aufwand zum Schluss, dass diese Initiative für die Politik in Schleswig-Holstein annähernd bedeutungslos ist. Denn er ändert natürlich nichts an den konkreten Problemen, die diese Landesregierung liegen lässt oder auch erst verursacht hat. Der Antrag stellt keine Alternative dar. Es mag sein, dass der eine Minister oder die andere Ministerin überfordert ist oder dass die Führungsqualitäten des Ministerpräsidenten auch nach knapp sechs Jahren im Amt nicht die notwendige Reife haben. Diese Erkenntnis allein hilft aber nicht zum Beispiel den Schülerinnen und Schülern, den Lehrkräften, Eltern und Schulträgern in diesem Land, die mit konkreten Problemen kämpfen. Das zeigt ja schon der Plan Christian von Boettichers, den jetzigen, unausgereiften Zustand des Schulwesens mit all seinen Problemen in Beton zu gießen.

Es gibt sehr viele gute Gründe für eine baldige Neuwahl, die zur Lösung der Probleme beitragen könnte. Nur dazu trägt dieser Debattenantrag nichts bei. Er wird nicht das Ende der CDU-FDP-Koalition einläuten, er bietet keine Lösungsansätze für konkrete Probleme und er wird nicht zu einer schnelleren Neuwahl führen. Die SPD hat im Gegenteil mit ihrem neuerlichen Vorstoß zum Wahlrecht zeitgleich dafür gesorgt, dass eine schnelle Einigung auf ein neues Wahlgesetz weiter in die Ferne gerückt ist. Die Vorschläge, die der Kollege Stegner am Freitag aus dem Hut gezaubert hat, werden die Konsensfindung eher sabotieren denn befördern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Politik in Schleswig-Holstein leidet seit 2005 darunter, dass stark auf Personen fokussiert wurde. Es wäre aber falsch, die Probleme der Politik allein bei diesen Personen zu suchen. Denn auch wenn ein Peter Harry Carstensen mit seiner lautstarken, jovialen Art viel in der Landschaft füllt, wenn ein Ralf Stegner sich beharrlich Geltung verschafft, wenn ein Wolfgang Kubicki wortgewaltig posiert oder wenn ein Christian von Boetticher sich auf die Zehenspitzen reckt, ist das natürlich nicht die Landespolitik. Man muss ehrlicherweise eingestehen, dass es verkürzt wäre, die Probleme einer Koalition allein einzelnen Personen und ihren mehr oder weniger ausgeprägten Führungsqualitäten zuzuschreiben. Wir und vor allem die Koalition müssen einfach auch damit Leben lernen, dass CDU und FDP heute nicht mehr das „Dream-Team“ sind, das sie vielleicht früher noch waren. Damals galt noch Rot-Grün als die konfliktträchtige der zwei möglichen Koalitionsvarianten, weil die Grünen noch ein weniger lustvolles Verhältnis zur Macht hatten als heute. Im 21. Jahrhundert ist auch Schwarz-Gelb keine leidenschaftliche Beziehung von Seelenverwandten, sondern mehr denn je ein Zweckbündnis. Deshalb ist sie auch längst kein Selbstgänger mehr. Das hätten CDU und FDP eigentlich schon wissen müssen, als sie in Sektlaune auf Sylt einen schemenhaften Koalitionsvertrag verhandelten. Viele Konflikte wurden einfach verschoben, indem keine konkreten Maßnahmen zur Umsetzung vereinbart wurden. Das einzige, worauf man sich verständigen kann, ist die Haushaltskonsolidierung. Die ist ohne Zweifel auch wichtig, aber der Landtag besteht aus gutem Grund aus mehr als dem Finanzausschuss und dieser Teil der Politik kommt unter CDU und FDP eindeutig zu kurz. Unter diesem fundamentalen Mangel der schwarz-gelben Koalition wird Schleswig-Holstein bis zur Landtagswahl leiden.

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