Rede · Jette Waldinger-Thiering · 25.02.2021 Das Leid der Opfer ist unermesslich

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 37 - Unterstützungsleistungen für von Leid und Unrecht Betroffene (Drs. 19/2795)

„Das Leid der Opfer von Gewalt und Medikamentenmissbrauch ist unermesslich und belastet auch noch Jahrzehnte nach den taten das Leben dieser Menschen. Die Zeit in den Einrichtungen überschattet alle kommenden Lebensentscheidungen. Der Landtag bekennt sich zu seiner Verantwortung und verneigt sich vor den Opfern in tiefer Scham.“

Der Dank geht an alle demokratischen Fraktionen, die diesen Antrag unterstützen und sich an einer unbürokratischen Lösung beteiligt haben. Dieses Signal aus dem Landtag heraus war überfällig. Das Leid der Opfer von Gewalt und Medikamentenmissbrauch ist unermesslich und belastet auch noch Jahrzehnte nach den Taten das Leben dieser Menschen. Die Zeit in den Einrichtungen überschattet alle kommenden Lebensentscheidungen, die sie getroffen haben. Der Landtag bekennt sich zu seiner Verantwortung und verneigt sich vor den Opfern in tiefer Scham. 

Unsere Gedanken gelten aber auch den Zeuginnen und Zeugen. Viele Erzieher oder Besucher haben Probleme offen angesprochen und versucht, das Leid zumindest zu veröffentlichen und damit zur Beendigung beizutragen. Ich weiß, dass sich viele dieser Zeugen heute schwere Vorwürfe machen, dass ihnen das nicht gelungen ist. Einzelne konnten gegen diese systemische Gewalt nichts ausrichten. Diese Erkenntnis mag das Gewissen erleichtern, sie ist aber auch eine Mahnung an uns, die wir heute Einrichtungen demokratisch zu verantworten haben. Die Opfer haben einen hohen Preis dafür gezahlt, damit wir heute andere Strukturen, andere Verantwortlichkeiten und andere Kontrollen haben. Dessen müssen wir uns immer bewusst sein.

Zurück zu den Inhalten des Antrages. Wir wollen alle Opfer erreichen, die Fristen versäumt haben oder denen erst in den letzten Monaten bewusst wurde, was ihnen widerfahren ist. Die Beratung wird fortgesetzt. Einige Opfer haben bislang keinen Antrag gestellt, weil sie denken, dass ihnen vergleichsweise wenig Leid angetan wurde: das sind Menschen, die als Kind nur manchmal geschlagen wurden. Ich möchte gerade an diese Opfer appellieren, sich zu melden und ihre Ansprüche gelten zu machen. Wir unterscheiden nicht zwischen großen und kleinen Opfern. Die Gewalt hat vielfältige Folgen gehabt: Viele Opfer konnten als Erwachsene nur schwer Fuß fassen.

Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten, dass es sich hier nicht um ein einfaches bürokratisches Antragsverfahren handelt, wo die Zulässigkeit geprüft und danach bewilligt wird. Das ist kein Bauantrag, mit dem wir es zu tun haben. Hier geht es um die Anerkennung von Leid, wo die monetäre Anerkennung nur eine einzelne Facette darstellt.

Darum ist die Antragstellung auch so schwierig. Vor dem Antrag liegen in der Regeln Zeiten der Re-Traumatisierung und der Erinnerung an die Gewalttaten. Ein Antrag zwingt die Opfer, noch einmal in die Hölle ihrer Kindheit einzutauchen. Ich schlage darum vor, dass die versierten Archivkräfte, die wir haben, die Opfer unterstützen. Wer nicht die Kraft aufbringt, in die eigene Akte zu schauen, der sollte einen Experten oder eine Expertin an seiner Seite wissen, die das für ihn oder sie erledigt. Selbstverständlich hat diese Recherche kostenlos zu erfolgen. 

Voraussetzung ist natürlich, dass die entsprechenden Archivalien überhaupt verfügbar sind. Ich rufe alle Einrichtungen und deren Nachfolgeorganisationen zur tatkräftigen Recherchehilfe auf. Das ist nach meiner Vorstellung Teil der Wiedergutmachung und der Anerkennung des Leids. Das gilt natürlich auch für die Pharmaunternehmen, die von den Medikamentenversuchen profitierten. Die Zeit der Vertuschung ist vorbei.

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