Rede · Christian Dirschauer · 16.06.2023 Die Unterschutzstellung von wertvollen Lebensräumen allein reicht nicht aus

„Schutzgebietsausweisungen an sich sind kein Selbstzweck. Es bedarf darüber hinaus unterschiedlichster Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen.“

Christian Dirschauer zu TOP 30 - Konsequenzen aus den Ergebnissen der Biotopkartierung (Drs. 20/1071)

Mit der ersten landesweiten Biotopkartierung wurde vor rund 30 Jahren die Bestandsaufnahme der unterschiedlichsten Lebensräume bei uns im Land durchgeführt. Da sich aber auch die Lebensräume in einem steten Wandel befinden, war es gut und richtig sich einen aktuellen Überblick zu verschaffen, wie es heute um unsere Wertbiotope steht. Soll heißen, die gesetzlich geschützten Biotope und FFH-Lebensräume wurden neu kartiert. Insgesamt wurden über 450.000 Wertbiotope und 1,68 Mio. Pflanzendaten erfasst. Die zweite „Biotop-Inventur“ wurde im Zeitraum von 2014 bis 2020 durchgeführt und das Ergebnis der Kartierung ist in mehrfacher Hinsicht ernüchternd und erschreckend. Demnach ist ein erheblicher Teil der Biotope zurückgegangen, sie haben sich fast halbiert. Darüber hinaus ist auch die Pflanzenvielfalt stark zurück gegangen. 
Das einzig Positive, was mir zur zweiten Kartierung einfällt, ist die Tatsache, dass die aktuellen Daten digital hinterlegt sind und für interessierte Bürgerinnen und Bürger im Biotopportal auf der Seite des Landes öffentlich zugänglich sind. Damit haben natürlich auch unsere UNBs unmittelbaren Zugriff auf die Daten, was ihre Arbeit in dem Bereich entsprechend erleichtern kann. Auch Vorhabenträger, für bspw. Infrastrukturprojekte, können im Rahmen ihrer Planung bereits im Vorfeld auf die Daten zugreifen, was insgesamt zu einer Beschleunigung der Planungsvorhaben führen kann. 
Dies ist aber nur so gut, wie die Daten aktuell sind, die dort hinterlegt sind. In unserem Fall müssen wir feststellen, dass der Zeitraum von 30 Jahren, wo eben nichts aktualisiert wurde, die zweite landesweite Biotopkartierung uns mit Ergebnissen überrascht hat, die uns heute vor große Herausforderungen stellt. Die Wertbiotopkartierungen hätten bereits viel früher durchgeführt werden müssen, um eben auch die dramatischen Verschlechterungen vorher zu erfassen und abzufangen und Maßnahmen zu ergreifen.
Beginnend im Jahr 2014 mit der landesweiten Wertgrünlandkartierung wurde schnell deutlich, dass das Dauergrünland in Schleswig-Holstein einen dramatischen Rückgang zu verzeichnen hatte. Das war seinerzeit auch Anlass für die Küstenkoalition, das Dauergrünlanderhaltungsgesetz und später das arten- und strukturreiche Dauergrünland über §21 des Landesnaturschutzgesetzes, als gesetzlich geschütztes Biotop unter Schutz zu stellen. Dies ging seinerzeit nicht kritiklos über die Bühne. Aber angesichts der damaligen Erkenntnisse bezüglich des Rückgangs beim Wertgrünland war die Unterschutzstellung richtig.
Die Ergebnisse der zweiten Biotopkartierung sind für uns als SSW durchaus erschreckend. Wir haben es hier mit Flächen zu tun, die unter Schutz stehen und trotzdem verschlechtert sich ihr Zustand. Woran liegt das? Dem Bericht der Landesregierung ist hier zu entnehmen, dass die Pflegebiotope eben nicht entsprechend gepflegt wurden und dass dort eine Nutzungsintensivierung stattgefunden hat und die Nährstoffbelastung sich entsprechend negativ auf die Flächen ausgewirkt hat. Und Feuchtbiotope, wie Erlen- oder Sumpfwälder, sind durch Entwässerung seltener geworden. 
Dagegen haben anthropogene Biotoptypen wie Acker- oder Intensivgrünland sowie Siedlungs- und Verkehrsflächen in erheblichem Maß zugenommen – auf Kosten naturnaher Biotopflächen.
Die Konklusion der zweiten landesweiten Biotopkartierung muss sein, dass die bestehenden Daten stetig und dauerhaft aktualisiert werden. Hier ist ein wesentlich größerer Aufwand notwendig, damit wir nicht wieder so überrascht werden. Hier wird bereits entsprechend gehandelt und die Aktualisierungskartierung hat bereits 2022 begonnen. Das ist dann der Stelle dann auch zu loben.
Die Gründe für den Verlust bestimmter Arten, ob trocken- oder feuchtlebend oder nährstoffarmer Standorte sind uns bekannt. Das heißt, wir müssen nun die unterschiedlichen Lebensräume wieder in einen Zustand versetzen, bei dem sich bestenfalls die spezifischen Arten dort wieder ansiedeln. 
Das ist eine enorme Aufgabe. Aber mit der Biodiversitätsstrategie wurde bereits deutlich, dass dies nicht im Handumdrehen machbar ist. Die Unterschutzstellung von wertvollen Lebensräumen allein reicht nicht aus, um diese Biotope zu erhalten. Schutzgebietsausweisungen an sich sind kein Selbstzweck. Es bedarf darüber hinaus unterschiedlichster Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen. Dieser Punkt ist auch und gerade in Bezug auf die internationalen Schutzgebiete relevant, denn NATURA 2000 Gebiete unterliegen dem Verschlechterungsverbot. Das heißt wir müssen weit mehr machen als nur Gebietsausweisungen.

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