Rede · Christian Dirschauer · 22.11.2023 Ein Jahr der Tatenlosigkeit in Sachen Arzneimittelversorgung

„Eine Strategie der Landesregierung ist nicht erkennbar. Kein Wunder also, dass wir im Herbst 2023 vor den gleichen Problemen stehen wie im Herbst 2022“

Christian Dirschauer zu TOP 36 - Arzneimittelversorgung sicherstellen – Apotheken stärken (Drs. 20/1607)

Als Vater dreier Kinder bin ich einfach genervt. Bereits im letzten Jahr war es ein großes Problem, an Arzneimittel für Kinder zu kommen. In diesem Jahr deutet sich genau das gleiche Spiel an: meine Frau und ich werden wohl wieder eine Apotheken-Tournee machen, um einen Fiebersaft oder Antibiotika zu bekommen, wenn eines der Lütten krank im Bett liegt.

Als Politiker bin ich bestürzt. Die Tatenlosigkeit der politischen Instanzen kann ich nicht nachvollziehen. Die Probleme bei der Arzneimittelversorgung sind allesamt bekannt, werden aber aus Misstrauen gegenüber den Apotheken nicht beseitigt. Die Apothekerinnen und Apotheker sind fachlich durchaus in der Lage, andere Medikamente mit gleichem Wirkstoff mitzugeben, auch wenn auf dem Rezept ein anderer Markenname steht oder die Krankenkassen ein bestimmtes Medikament günstiger verhandelt haben. Patienten zuerst - das muss gerade bei den kleinen Patientinnen und Patienten oberste Regel bleiben. Kleinliche Vorschriften, die die Entscheidungsfreiheit vor Ort einschränken, müssen daher schnellstens aus dem Weg geräumt werden. 

Nach meiner Einschätzung wäre eine größere Handlungsfreiheit in den Apotheken der richtige Weg; ein Weg übrigens, der Kompliziertes einfach machen würde. Und genau das wollen wir doch eigentlich auf allen Ebenen erreichen. Ich meine damit nicht, dass Medikamente für Erwachsene einfach verdünnt oder Tabletten für Erwachsene halbiert werden. Dieses Missverständnis darf gar nicht erst aufkommen. Kinder reagieren anders als Erwachsene und vertragen bestimmte Medikamente wie Aspirin überhaupt nicht. Darum muss die Versorgung mit Medikamenten für Kinder sichergestellt werden, aber flexibler gehandhabt werden.
Als potenzieller Patient bekomme ich es mit der Angst zu tun, wenn ich in den Medien immer wieder Berichte zu Lieferengpässen bei Medikamenten gegen Krebs oder chronische Erkrankungen lesen muss; zuletzt vor einigen Wochen im NDR. Wenn ich selbst erkranke, muss ich dann um meine Versorgung bangen? Oder etwa ins Ausland ausweichen? Wenn keine Antibiotika verfügbar sind, drohen dann wochenlange Bettruhe und Schlimmeres, wie damals, als Filme noch schwarz-weiß waren? Diese Befürchtungen höre ich von vielen Bürgerinnen und Bürgern. 

Als Abgeordneter eines Landesparlaments bin ich frustriert. Ich rieb mir schon letztes Jahr die Augen, als ich las, was die Landesregierung auf meine Kleine Anfrage zu Lieferengpässen bei Fiebersäften antwortete. Sie sei nicht zuständig, schrieb man mir. Allerdings sehe die zuständige Behörde, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, sowieso keine Probleme bzw. eine Unterbrechung der Lieferfähigkeit. Diese Antwort wirkt auch noch nach einem Jahr nicht gut: die Landesregierung verweist auf die nächste Ebene und berichtet, dass dort kein Problembewusstsein bestehe. Na, dann ist ja alles in Butter und ich bilde mir die Hilferufe vieler Eltern nur ein. Eine Strategie der Landesregierung ist nicht erkennbar. Kein Wunder also, dass wir im Herbst 2023 vor den gleichen Problemen stehen wie im Herbst 2022. Da helfen auch keine Apelle, wie die unseres Bundesgesundheitsministers, der ausdrücklich vor Hamsterkäufen warnt. Fünf Minuten nach so einer Pressemitteilung geht erfahrungsgemäß das Gerenne auf die Apotheken los. Woher soll der Gesundheitsminister das auch wissen – nach drei Covid-Jahren?

Als Wirtschaftspolitiker schließlich bin ich ratlos, warum es weder Bundesregierung noch Landesregierung hinkriegen, pharmazeutische Unternehmen anzusiedeln oder deren Produktion vor Ort zu halten. Dass die wichtigsten Grundstoffe nicht einmal mehr in Europa produziert und somit kurzfristig nicht verfügbar sind, ist ein Umstand, an den man sich nicht gewöhnen sollte. Eine aktive und koordinierte Wirtschaftspolitik muss diese Branche stärker berücksichtigen und fördern. Damit werden nicht nur hochqualifizierte Arbeitsplätze gesichert, sondern die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger aktiv geschützt. Ich fordere die Landesregierung auf, den Vorsitz der Konferenz der Gesundheitsministerinnen und -minister zu nutzen, um die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern. Damit wir im nächsten Herbst nicht noch einmal diese Debatte führen müssen.

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