Rede · Lars Harms · 24.11.2021 Alevitische Gemeinde: Eine richtungsweisende Vereinbarung

„Das explizite Bekenntnis zur Staatsneutralität ist ein starkes Signal auch innerhalb von muslimischen Kreisen. Und gleiches gilt für die vollständige Gleichheit von Frau und Mann. Das passt nicht nur zu unserer gemeinsamen Werteordnung, sondern ist auch ein starkes Signal – im Übrigen nicht nur in der muslimischen Welt.“

Lars Harms zu TOP 33 - Bericht über die vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Land Schleswig-Holstein und der Alevitischen Gemeinde (Drs. 19/3424)
     
Religionspolitisch muss man sagen, dass wir heute durchaus einen historischen Schritt in Schleswig-Holstein machen. Zum ersten Mal wird mit einer muslimischen Religionsgemeinschaft eine offizielle Vereinbarung abgeschlossen. Sie ähnelt den Staatskirchenverträgen mit den christlichen Religionsgemeinschaften und auch den Vereinbarungen mit den jüdischen Gemeinden.
Für uns als SSW war es immer wichtig, dass zweierlei Dinge im Vorwege geregelt sein müssen. Zuallererst muss es eine einheitliche Organisation geben, die die meisten der Religionsangehörigen vertreten kann. Das ist mit der Alevitischen Gemeinde Deutschlands der Fall. Der Verein, der Landesverband in Schleswig-Holstein und die alevitischen Ortsgemeinden in Schleswig-Holstein vertreten zweifelsfrei die Aleviten im Land. Man kann sogar sagen, dass die Aleviten sich hier in besonders ungewöhnlicher Weise organisiert haben. Denn in ihren ursprünglichen Herkunftsgebieten gibt es, wie überall im Islam, eben gerade keine gemeinsamen übergeordneten Vereins- oder Kirchenstrukturen, wie wir sie hier bei uns für die traditionellen Religionsgemeinschaften kennen. Durch die Gründung eines bundesweiten Vereins und Landes- und Ortsorganisationen mit expliziter Mitgliedschaft hat man hierzulande übliche Strukturen übernommen. Ich glaube, eine bessere Grundlage hätte man nicht schaffen können.
Der zweite Punkt, der im Vorwege geregelt sein muss ist, dass eine Religionsgemeinschaft die Rechte und Gesetze vor Ort nicht nur akzeptieren, sondern auch leben muss. Und wer sich beispielsweise die Satzungen der Alevitischen Gemeinde Deutschlands und auch Schleswig-Holsteins ansieht, der kann auch hieran keinen Zweifel haben. Dort ist klar festgelegt, dass man sich zu den Menschenrechten und zu den Gesetzen bekennt. Auch ein Bekenntnis zum Anti-Rassismus ist in der Satzung der Aleviten festgelegt. Man kann aber auch sehen, dass auch die aktive Religionsausübung in diesem Fall zu den Werten passt, die in Deutschland gelebt werden. Die Aleviten setzen auf die vollständige Neutralität des Staates in Glaubensfragen. Das ist sicherlich auch den Verfolgungserfahrungen von Aleviten andernorts geschuldet. Aber trotzdem muss man sagen, dass dieses explizite Bekenntnis zur Staatsneutralität natürlich ein starkes Signal auch innerhalb von muslimischen Kreisen ist. Und gleiches gilt natürlich auch für die vollständige Gleichheit von Frau und Mann. Auch das passt nicht nur zu unserer gemeinsamen Werteordnung, sondern auch das ist ein starkes Signal – im Übrigen nicht nur in der muslimischen Welt.
Lassen Sie mich kurz noch zwei Dinge nennen, die ich immer wieder anmerke, wenn es um Verträge mit den Religionsgemeinschaften geht. Erstens, es darf keine Verträge mit Ewigkeitsklausel geben. Das ist hier auch nicht der Fall, aber in anderen Verträgen sollten diese Ewigkeitsklauseln, die den Staat auf ewig binden, abgeschafft werden. Und zweitens, eine Gebührenbefreiung für Verwaltungsleistungen sollte es für Glaubensgemeinschaften nicht mehr geben. Es gibt sie schließlich auch nicht für andere sozial-caritative oder kulturelle Organisationen.
Nun aber doch noch einmal zurück zu den Aleviten. Ich glaube, wir haben hier auch die Chance, die Alevitische Gemeinde Deutschlands auch irgendwann einmal in Schleswig-Holstein als Körperschaft Öffentlichen Rechts anzuerkennen, sofern sie es denn will. Dies ist ja auch in der Vereinbarung angesprochen und würde die vollständige Gleichbehandlung mit anderen Religionsgemeinschaften bedeuten. Grundlage wäre hier ja, dass man bereit ist, staatliche Aufgaben zu übernehmen, man sich im Rechts- und Wertesystem einordnet und man eine entsprechende Organisation vorhält. Alle drei Grundvoraussetzungen werden jetzt schon durch die Alevitische Gemeinde Deutschlands erfüllt, so dass man hier sicherlich konkrete Gespräche führen kann. Mit dieser Perspektive bleibt mir nur noch, meine Freude zum Ausdruck zu bringen, dass wir gemeinsam diese richtungsweisende Vereinbarung geschlossen haben.

Weitere Artikel

Rede · Lars Harms · 22.03.2024 Die Landesentwicklungsstrategie war gelebte Bürgerbeteiligung

„Die Jamaika-Regierung hat die Landesentwicklungsstrategie öffentlich zu Grabe getragen, während sie noch die Früchte unserer Arbeit einsammelte.“ 

Weiterlesen

Rede · Lars Harms · 22.03.2024 Es muss auch um Integration gehen

„Bei der Sammlung von Kompetenzen, der Zentralisierung von Zuständigkeiten und der möglichen Umstrukturierung unserer Behörden darf es nicht nur um Ausreisen gehen. Es muss auch um Integration gehen, um Sprachkurse, um Spurwechsel, um Chancen, um Vermittlung in Ausbildung und Arbeit und um Anerkennung.“

Weiterlesen

Rede · Lars Harms · 21.03.2024 Plünderung des Versorgungsfonds ist mit uns nicht zu machen!

„Der Versorgungsfonds ist kein Sparschwein, sondern sichert die Pensionen der Zukunft. Es geht hier um nachhaltige Finanzpolitik – auch in diesem Bereich. Vorsorge für die Zukunft in wenigen Jahren für das Stopfen von Haushaltslöchern zu verfrühstücken, ist nicht nachhaltig!“

Weiterlesen