Rede · Flemming Meyer (2009–2020) · 23.08.2012 Einführung des Wahlrechts ab dem 16. Lebensjahr bei Landtagswahlen

Wenn in der 9. Klasse Erörterung auf dem Lehrplan steht, also die Anleitung zum systematischen, schriftlichen Diskutieren, kommt regelmäßig das Thema Wahlalter. Das ist nämlich so schön kontrovers, aber es hat vor allem einen riesengroßen Vorteil: die Jugendlichen sind selbst betroffen und dementsprechend engagiert. Die Schülerinnen und Schüler müssen nicht lange gebeten werden, die Vor- und Nachteile der Wahlalterherabsetzung zu benennen und gegeneinander abzuwägen.
Pfiffige Schülerinnen und Schüler haben eine ganze Reihe ihrer Arbeiten ins Internet gestellt, damit andere sich nicht so viel Arbeit machen müssen. Uns gibt das allerdings als Außenstehende die Möglichkeit, nachlesen zu können, wie die Stimmung bei den Jugendlichen ist. Die Arbeiten zeigen, dass sich bereits 14jährige Gedanken machen zum politischen System, und darüber, welche Rolle ihnen dabei zukommt. Die Schülerinnen und Schüler argumentieren, ziehen Belege heran und entscheiden sich in der Regel dafür, das Wahlalter herabzusetzen. Sie wollen sich nicht nur zu Wort melden, sondern mitbestimmen.
Das wollen wir ihnen ermöglichen.
Sie sind reif dafür.
Ich bin überzeugt davon, dass wir den jungen Menschen die Chance geben sollten. Das sollten wir nicht nur tun, um den Wünschen der Jugendlichen nach zu kommen, sondern aus dem Interesse an einer lebendigen Demokratie heraus.
Darum spielt das Wahlverhalten der Jugendlichen überhaupt keine Rolle, sondern die Beteiligung an sich. Das Klischee einer Jugend, die ausschließlich links wählt, ist überhaupt nicht belegt und wohl eher ein Schreckgespenst irgendwelcher Stammtische. Die wenigen Zahlen, die überhaupt vorliegen, lassen keinesfalls einen Rückschluss auf das Wahlverhalten zu. Auch die Angst vor der Neigung der Jugendlichen, eher extremistischen Parteien ihre Stimme zu geben, kann nicht belegt werden.
Wo wir zuarbeiten müssen, ist in Punkt Wissen und Verständnis der Politik der Jugendlichen. Da hat die Universität Hohenheim bei 16jährigen im Vergleich zu 18jährigen durchaus Belege für Defizite ausgemacht. Die Jüngeren reimen sich das eine oder andere noch zusammen und verfügen noch nicht über einen eigenen Kompass durchs politische System wie Erwachsene. Sie scheitern oftmals bereits daran, die föderale Gestaltung Deutschlands einzuschätzen. Diese Defizite, die übrigens auch bei Erwachsene durchaus anzutreffen sind, sollten für die Politische Bildung, ob schulisch oder außerschulisch, ein Signal sein, die Bemühungen zu vertiefen.
Ich bin allerdings davon überzeugt, dass sich im Zuge der Wahlaltersenkung quasi automatisch ergeben wird. Es ist ja eine Binsenweisheit, dass man sich erst für ein Thema interessiert, wenn man mitentscheiden kann. Durch das Beteiligungsangebot, das das Land Schleswig-Holstein den Jugendlichen macht, wird sich deren aktive Teilhabe und ihr Interesse an Landesthemen verändern und vertiefen. Das wird uns allen, also auch der Demokratie zugute kommen. Demokratie lebt nämlich durch das Engagement von Demokratinnen und Demokraten.
Jugendliche nehmen nicht immer ein Blatt vor den Mund. Sie sagen unverstellt ihre Meinung. Ich freue mich auf viele spannende Diskussionen mit Jugendlichen und auf ihre unverstellte Sicht der Dinge. Tatsächlich gibt es zu viele politische Rituale, die wir als selbstverständlich ansehen. Gut, wenn die einmal gegen den Strich gebürstet werden.
Es wird darüber hinaus durch die Herabsetzung des Wahlalters eine inhaltliche Bereicherung der Politik geben, weil bislang Erwachsene vertretungsweise die Interessen der Jüngeren wahrgenommen haben. Die Interessen von 16-Jährigen unterscheiden sich nämlich durchaus von denen Erwachsener; zum Beispiel in Fragen der Schul- und Kulturpolitik. Hier können die Jugendlichen selbst bestimmen, welche Konzepte in Zukunft umgesetzt werden sollen, indem sie den entsprechenden Kandidaten ihre Stimme geben.

1949 legte der Parlamentarische Rat das Wahlalter auf 21 Jahre fest. Seitdem ist diese Schwelle mehrfach verschoben worden, weil sich die Reifung der Menschen in einem ganz anderen Tempo vollzieht als noch vor 60 Jahren. Die Informationsmöglichkeiten sind besser denn je und die jungen Menschen nutzen das. Das Wahlrecht ist nicht das einzige Gesetz, dass sich diesen veränderten Gegebenheiten anpasst. Der Vorwurf der CDU, der in der letzten Debatte hier im Haus angeführt wurde, nämlich dass die Grenze willkürlich sei, entbehrt jeder Grundlage. Bereits andere Gesetze legen das 16. Labensjahr als Grenze zur Mündigkeit fest. Beispielsweise die Zivilprozessordnung. Sie legt die Eidesmündigkeit mit Vollendung des 16. Lebensalters fest. Die Juristen haben also Vertrauen darin, dass die Jugendlichen vor Gericht das Ausmaß und die Konsequenz ihrer Aussage einschätzen können. Mit 16 Jahren kann man einen volljährigen Partner heiraten, wenn das Familiengericht dem zustimmt. Das Bürgerliche Gesetzbuch legt also die Ehemündigkeit mit 16 Jahren fest.
Andererseits sieht das Strafrecht beispielsweise andere, höhere Altersgrenzen vor. Diese kann man allerdings nicht als Gegenargument gegen eine Wahlaltersenkung heranziehen, weil bereits heute zwischen den Wahlalter und dem Jugendstrafrechtsalter Unterschiede bestehen.

Aus allen diesen Gründen haben die Regierungsfraktionen in der Koalitionsvereinbarung eine Herabsetzung des Wahlalters vereinbart. Zusammen mit der Fraktion der Piraten legen wir darum den Gesetzentwurf vor. Ich hoffe, dass sich auch die anderen Fraktionen den Bemühungen anschließen, junge Menschen mit 16 Jahren über die Zusammensetzung des Landestages mitbestimmen zu lassen.

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