Rede · 19.02.2003 Einsatz der Bundeswehr im Innern

Spätestens seit den Attentaten des 11. September 2001 ist klar geworden, dass die Abwehr von terroristischen Gefahren auch in Deutschland eine andere Dimension bekommen hat. Es reicht nicht länger aus, prominente Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft durch persönlichen Schutz vor Angriffen zu bewahren. Terrorakte von der Dimension der Attentate auf Wolkenkratzer in den USA, der Geiselnahme eines gesamten Theaters in Moskau oder des Bombenangriffs auf Bali machen deutlich, dass heute die gesamte Öffentlichkeit getroffen werden soll.

Ob wir es wollen oder nicht, der Terror hat tiefgreifende Folgen gehabt, die über die unmittelbare Wirkung der menschenverachtenden Gewalt hinausreicht. Er hat zu tiefgreifenden Veränderungen in den Gesellschaften geführt, die sich schützen wollen.

Das wird schon deutlich, wenn man die politische Rhetorik zur inneren Sicherheit hört. Da ist von Krieg gegen den Terror die Rede, der schon zu realem Krieg in Afghanistan und anderen Ländern geführt hat. Da wird davon gesprochen, dass der Krieg sich ins Innere verlagert hat. Die Rhetorik ist aber mehr als nur Worte oder politische Propaganda.

Angesichts der Möglichkeiten eines internationalen Terrorismus wird heute nach neuen Lösungen gesucht, wie man die Gefahr abwehren kann. Wir haben heute eine neue Situation in der inneren Sicherheit. Es gilt Gefahren im Inland abzuwehren, die wir bisher nicht gekannt haben. Wer aber die Rede vom Krieg im Innern so verinnerlicht hat, dass er meint diesem nur mit militärischen Mitteln beikommen zu können, wird Opfer seiner eigenen Rhetorik.

Wer von einem Krieg zwischen Terroristen und Staaten ausgeht, will dann auch konsequenter Weise die Bundeswehr einsetzen. Die Sicherheitsprobleme der Zukunft lassen sich nicht mit den Mitteln von gestern lösen. Wir brauchen neue Antworten auf die neue Herausforderung Terrorismus, die den Polizeibehörden erlaubt, angemessen zu reagieren, ohne dass die Grundlagen unserer Gesellschaft in Frage gestellt werden.

In der aktuellen Situation sind Politiker versucht, nach schnellen Lösungen zu greifen. Dabei geraten aber die Grundfesten unserer Demokratie auf einmal in Frage. Die Väter und Mütter der deutschen Verfassung waren so weise, das Trennungsgebot zu erfinden. Danach ist die Bundeswehr im Inland nur für die Verteidigung im Rahmen eines konventionellen Kriegs vorgesehen. Damit hat man die Lehre daraus gezogen, welche unheilvolle Rolle das Militär in Deutschland in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts gespielt hat. Wer meint, dass dieses schon durch die Terroranschläge des 11. September überholt ist, ignoriert die Lehre aus zwei Weltkriegen.

Wir können nicht zulassen, dass unsere Gesellschaft sich so erschüttern lässt. Denn es geht hier ja nicht nur um die Frage, ob die Luftwaffe ein Flugzeug abschießen darf. Da gibt es ja durchaus die Rechtsauffassung, dass das schon möglich ist.

Wer den Artikel 35 GG ändern will, der ändert wesentlich mehr. Der öffnet gleichzeitig Tür und Tor dafür, dass die Bundeswehr in einer Reihe von anderen Zusammenhängen bewaffnete polizeiliche Einsätze im Inland durchführen kann. Und das wollen wir aus guten Gründen nicht.

Wir müssen uns auch fragen, ob es angemessen ist, das Verfassungsrecht an erschütternde Einzelfälle anzupassen. Bisher haben Terroristen einmal mit Flugzeugen zugeschlagen. Der andere Fall in Frankfurt ist ein geistig verwirrter Mensch gewesen. Er kann nicht als Begründung dafür herhalten, dass dieses jederzeit wieder passieren kann. Terroristen werden schlau genug sein auf andere Mittel auszuweichen, wenn ihnen eine Möglichkeit verbaut wird. Sei es nun Geiselnahmen wie in Moskau oder Bombenanschläge wie auf Bali: Man kann nicht für alle Möglichkeiten eines terroristischen Anschlags präventiv das Militär einsetzen. Wir müssen auch erkennen, dass es Grenzen der Sicherheit gibt, wenn wir nicht die Freiheit opfern wollen, die ein grundlegendes Element unseres Zusammenlebens ist.

In besonderen Fällen wie bei Flugzeugangriffen gibt es keine andere Antwort, als das Militär zu aktivieren. Für solche extremen Situationen kann die Bundeswehr aber heute schon eingesetzt werden. Wenn aber darüber hinaus Lücken bei der Gefahrenabwehr bestehen, dann sollen sie zuerst durch die Behörden geschlossen werden, die für die innere Sicherheit zuständig sind: durch die Polizei, den Grenzschutz und die zivilen Nachrichtendienste.

Wir dürfen den Terroristen nicht den Sieg gönnen, dass wir die freiheitlichen Grundlagen unserer Gesellschaft an ihre Grausamkeiten anpassen. Dann hätten sie schon viel zu viel erreicht.

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