Rede · Flemming Meyer (2009–2020) · 13.12.2006 Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung zurückziehen

Das sogenannte Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung wurde bereits sehr ausführlich in zwei Sitzungen des Schleswig-Holsteinischen Landtages beraten. Nicht nur die Oppositionsparteien kritisierten die Inhalte dieser neuen Gesundheitsreform, sondern auch Vertreter der regierungstragenden Fraktionen und der Landesregierung sahen im Detail viele Probleme im Gesetzestext. Landtagspräsident Martin Kayenburg sprach in seinem Redebeitrag in der November-Sitzung des Landtages sogar von Murks in Zusammenhang mit dieser Reform der Großen Koalition.

Auch die zuständigen Verbände und Interessengruppen haben kein gutes Wort an den vorliegenden Gesetzesentwurf von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt gelassen. Natürlich wahren einige dieser Organisationen sicherlich ihre eigenen sehr egoistischen Interessen bei der öffentlich vorgetragenen Kritik. Nur muss man feststellen, dass es eigentlich – von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen – keine Organisation oder keinen Verband gibt, der den Gesetzentwurf so wie er jetzt formuliert ist, befürwortet. Und das muss dann doch bedenklich stimmen.

Das gleiche gilt für die Bundesländer. In den Ausschüssen des Bundesrates haben die Länder über 100 Änderungsanträge zur Gesundheitsreform eingebracht. Auch wenn die meisten Ländervertreter  - außer das Land Berlin – klarstellen, dass es sich hier nur um Nachbesserungen oder Feinjustierungen handelt, die nichts an den Grundstrukturen der Reform ändern, zeigt die große Anzahl der Änderungsanträge doch auch die Unzufriedenheit mit dem Gesetzentwurf. 

Alle 16 Bundesländer haben Korrekturbedarf angemeldet. Dabei steht zum Beispiel die pauschale Kürzung von bis zu 1 % in den Budgets der Krankenhäuser stark in der Kritik vieler Bundesländer. Auch die Krankenhausgesellschaft Schleswig-Holstein e.V. warnt in einer Pressemitteilung von letzter Woche, dass durch diesem Sanierungsbeitrag den Kliniken in Schleswig-Holstein eine Deckungslücke von 70 bis 80 Mio. € entstehen kann. Wobei hier natürlich auch die Tarifsteigerung und die Mehrwertsteuererhöhung zum 1.1.2007 eine wichtige Rolle spielen.

Diese Zahlen zeigen, dass man den Krankenhäusern nicht weitere Kosten auferlegen darf. Leider scheinen sich die Länder nicht darüber einig zu sein, wie man die Kürzungen bei den Krankenhäusern verhindern will. Während zum Beispiel Sachsen die ersatzlose Streichung der Kürzungen fordert, will unsere Landesregierung nach Zeitungsberichten an der Einsparsumme festhalten. Sollten diese Angaben stimmen, ist das aus Sicht des SSW äußerst bedauerlich und nicht im Interesse des Landes Schleswig-Holstein. 

Weiter gibt es Änderungswünsche beim Vorschlag, dass die Bundesregierung ohne Zustimmung der Länder künftig den einheitlichen Beitragssatz festlegen kann oder bei der Höhe der zukünftigen Arzthonorare. Auch die Neuregelungen im Bereich der privaten Krankenversicherung sind umstritten. Wobei der innenpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion Wolfgang Bosbach schon davor warnt, dass diese Regelungen womöglich verfassungswidrig sind. Insgesamt ist das Gemengelage bei den Beratungen über die Gesundheitsreform zwischen der Bundesregierung, den Bundesländern und den Gesundheitsexperten von CDU und SPD also völlig unübersichtlich.

Für den SSW möchte ich hier noch mal grundsätzlich drei Punkte aufführen, warum wir dieses Gesetz ablehnen:

1. Es kann einfach nicht angehen, dass wir knapp drei Jahre nach der letzten „Jahrhundertgesundheitsreform“, die zur Praxisgebühr von 10,- € geführt hat, entgegen den Versprechungen von SPD und CDU jetzt doch wieder eine Erhöhung der Krankenkassenbeiträge bekommen. Damit wird diese Reform auf den Rücken der Beitragszahler finanziert und belastet wieder einmal die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und auch die Rentner über Gebühr. Dazu kommt noch, dass mit diesem Beitragserhöhungen auch die Lohnnebenkosten erhöht werden, was isoliert gesehen zum Arbeitsplatzabbau führen wird.
2. Die Pläne für die Einführung des sogenannten Gesundheitsfonds sind überhaupt nicht durchdacht und führen nur zu mehr Bürokratie und zur weiteren Intransparenz im Gesundheitswesen. Der Gesundheitsfonds ist eine Missgeburt, die nur eingeführt wird damit beide Koalitionspartner ihr Gesicht wahren können. Der Gesundheitsfonds gibt nämlich der CDU die Möglichkeit bei einer Alleinregierung ihre Kopfpauschale einzuführen, während die SPD in der gleichen Situation, die Bürgerversicherung einführen könnte. Allerdings fragt man sich, warum man dann schon vor der nächsten Bundestagswahl diesen Gesundheitsfonds einführen will und nicht eine Entscheidung der Wählerinnen und Wähler abwartet. 
3. Der SSW sieht den Gesundheitsstandort Schleswig-Holstein durch die Pläne der Großen Koalition akut gefährdet. Ich sprach bereits vom Sanierungsbeitrag der Krankenhäuser von bis zu einem 1%, die unseren wirtschaftlich arbeitenden Krankenhäusern ein nicht zu rechtfertigendes Sonderopfer abverlangt. Dazu sind auch die Ausgabenabschläge in Höhe von 3% bei den Fahrtkosten des Rettungsdienstes für das Flächenland Schleswig-Holstein nicht akzeptabel, da sie zu Mehrbelastungen für die Patientinnen und Patienten gerade in unserem Land führen können. Insgesamt führen diese beiden Faktoren gemeinsam mit anderen Rahmenbedingungen dazu, dass es zu einer Verschlechterung der Versorgung in Schleswig-Holstein kommen wird.

Die drei Oppositionsparteien des Schleswig-Holsteinischen Landtages ziehen aufgrund dieser zum Teil vernichtenden Kritik jetzt die Reißleine. Wir glauben nicht mehr daran, dass man dieses Gesetz noch positiv verändern kann. Vor allem glauben wir nicht daran, dass man schon bis zum Februar aus diesem Gesetzentwurf noch eine Gesundheitsreform machen kann, die diesen Namen auch wirklich verdient.

Gemeinsam mit der FDP und Bündnis90/Die Grünen fordert der SSW daher, dass die Landesregierung sich auf Bundesebene dafür einsetzt, den Entwurf des „Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung“ vollständig zurück zu ziehen. Es mag verständlich sein, dass CDU und SPD aus Gründen des Koalitionsfriedens an diesem Entwurf festhalten. Die Opposition ist aber gemeinsam der Auffassung, dass die Gesundheitspolitiker der Großen Koalition noch mal von vorne anfangen sollten und einen vollständig neuen Gesetzentwurf zur Reform des Gesundheitswesens erarbeiten müssen.

Dabei sind wir uns darüber im klaren, dass FDP, Bündnis90/Die Grünen und der SSW durchaus verschiedene Ansätze darüber haben, wie dann das Gesundheitssystem in Zukunft finanziert und organisiert werden soll. Es ist ja zum Beispiel kein Geheimnis, dass der SSW sich für ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem nach skandinavischem Vorbild einsetzt und, dass das Konzept der Bürgerversicherung, in der alle nach ihrer Leistungsfähigkeit einzahlen, uns dabei am sympathischten ist. Auch das wir dem System der privaten Krankenkassen skeptisch gegenüber stehen, ist - glaube ich - bekannt. FDP und Grüne mögen in diesem Punkten anderer Meinung als der SSW sein. Aber wir sind uns völlig einig, dass der jetzige Gesetzentwurf zur Reform des Gesundheitssystems unbedingt zurückgezogen werden muss, denn der ist weder Fisch noch Fleisch.

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