Rede · 20.05.2003 Erhebung von Studiengebühren

Der Landtag hat sich vor 43 Tagen das letzte Mal mit diesem Thema befasst. Deshalb war schon zu erwarten, dass die Fraktionen heute keine wesentlich neuen Positionen zu diesem Thema kundtun werden. Meinen damaligen Äußerungen haben sie schon entnehmen können, dass der SSW auch jetzt nicht dem Antrag von CDU und FDP wird zustimmen können. Denn es hat sich in der zwischenzeitlich keine grundlegende Änderung der Rahmenbedingungen ergeben und meine bisherigen Äußerungen waren schon wohl überlegt. Das aber einige Kollegen den dringenden Wunsch haben, dieses Thema nochmals zu Wälzen, tue ich ihnen gern den gefallen, mich zu wiederholen.

Der SSW lehnt Studiengebühren ab. Das tun wir vor allem aus 6 Gründen:

1. Wir meinen das Studiengebühren potentiell Studierwillige abschrecken.
Besonders für Familien mit mehreren Kindern bedeutet ein Studium ohnehin eine finanzielle Belastung – besonders für diejenigen Eltern, deren Kinder nicht Anspruch auf eine volle BAFöG-Förderung haben, die aber auch kein Professorengehalt verdienen. Studiengebühren haben durch die höheren Ausbildungskosten einen abschreckenden Effekt. Dieses zeigen unter anderem die Beispiele Irland, wo die Studiengebühren aus diesem Grund wieder abgeschafft wurden, oder Österreich, wo die Zahl der Studierenden zurückgegangen ist. Das können wir uns aber nicht leisten.

2. Wir meinen, dass Studiengebühren kein geeignetes Mittel sind, um Studienzeiten zu verkürzen und Langzeitstudenten abzuschrecken.
Viele Studierende müssen ihr Studium schon heute künstlich verlängern, weil sie ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit selbst erwirtschaften müssen. Die Gebühr würde diesen Effekt nur verstärken oder geringverdienende Familien zusätzlich belasten.

3. Wir meinen, dass Studiengebühren das falsche Mittel sind, um die Zahl der
Studienabbrecher zu verringern.
Insgesamt beendet ein knappes Drittel aller Studierenden das Studium ohne Abschluss. Einer Studie zur Ursachenanalyse von Studienabbrüchen der Hochschul-Informationssysteme GmbH belegt, dass finanzielle Probleme die Hauptursache für einen Studienabbruch in Deutschland sind. Die CDU und FDP schlagen hier mit anderen Worten einem Verhungernden vor, doch mal Diät zu machen. Aber auch die berufliche Neuorientierung während des Studiums ist maßgeblich für den Abbruch des Studiums - nach durchschnittlich 7 bis 8 Semestern - verantwortlich. Deshalb besteht vor allem die Notwendigkeit, die Beratungsangebote von Hochschulen und Studentenwerken enger zu vernetzen und insbesondere die Beratung zu Beginn der Studienanfänger zu intensivieren. Das Hauptziel muss noch immer sein, dass möglichst viele eine Ausbildung abschließen.

4. Wir meinen, dass Studiengebühren nicht die finanzielle Lage der Hochschulen verbessern werden.
Die Einführung von Studiengebühren wird kaum die finanzielle Situation der Hochschulen retten. Angesichts der Haushaltslage des Landes, wird die Versuchung groß sein, den Zuschuss für die Hochschulen zu kürzen - proportional zu den Einnahmen durch die Studiengebühren.

5. Wir meinen, dass positive Anreize gesetzt werden müssen.
Die Verantwortlichkeit für die eigene Ausbildung, die durch Studiengebühren vorgeblich erreicht werden soll, wird besser durch positive Anreize wie einem Stipendiensystem geschaffen. Der Kollege Klug hat ja selbst in der letzten Debatte darauf verwiesen, dass BAFöG-Empfänger ihr Studium generell sehr zügig abschließen. Wir halten nach wie vor eine allgemeine, elternunabhängige Studienförderung - wie z. B. in Dänemark - für eine bessere Lösung, die sich zudem volkswirtschaftlich und bildungsökonomisch rechnet.

6. Wir meinen, dass Bildung weiterhin ein kostenloses Gut sein soll.
Die Finanzierung der Schulen und der Hochschulen ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe. Das soll so bleiben. Außerdem ist es spätestens seit PISA das Bestreben aller Parteien, dass wir bei OECD-Vergleichen nicht wieder hinter unseren europäischen Nachbarn landen. Dafür müssten wir in den nächsten Jahren die Quote der Studierenden erhöhen. Studiengebühren tragen aber mit Sicherheit nicht zur Attraktivitätssteigerung der Hochschulbildung bei.

Aus diesen Gründen wird der SSW dem vorliegenden Antrag nicht zustimmen.

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