Rede · Lars Harms · 22.11.2023 Finanzielle und soziale Nachhaltigkeit ist so aktuell wie nie!

„Das Urteil setzt das um, was wir – auch als Landtag – beschlossen haben. Wir haben damit umzugehen und wir werden damit auch umgehen können!“

Lars Harms zu TOP 1 Aktuelle Stunde - „Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 auf den Landeshaushalt und den finanzpolitischen Kurs der Landesregierung“

Als ich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts durchlas, habe ich mich in die Zeit zurückversetzt gefunden, als wir hier im Landtag in den Jahren 2008 und 2009 selber über die Einführung einer Schuldenbremse beraten haben. Alle Argumente für eine Schuldenbremse und für eine eng gefasste Ausnahme von einer solchen Schuldenbremse, die damals Grundlage für unsere gemeinsame Verfassungsänderung waren, finden sich in dem Urteil wieder. Das Urteil spiegelt somit unseren politischen Willen wider, den wir damals formuliert hatten. Insofern können wir uns also weder über den Urteilsspruch beschweren, noch kommt er völlig überraschend.

Und vielleicht macht es ja einmal Sinn, kurz darauf einzugehen, warum diese Schuldenbremse bei uns – im Übrigen zeitlich vor der Bundes-Schuldenbremse – eingeführt wurde. Ein Grund war der hohe Schuldenstand des Landes und die Tatsache, dass im Prinzip jede Regierung jedes Jahr für ihre politischen Ziele zusätzliche Schulden aufgenommen hatte und so der allgemeine Spielraum für politische Entscheidungen der jeweiligen Nachfolger in der Regierung immer enger wurde. Ein Teufelskreis! Ich selber kann mich an Zeiten erinnern, in denen jährlich bis zu 1,5 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen wurden. Wir hatten also jedes Jahr HSH-Nordbank, Flüchtlingskrise und Corona-Krise in einem! Und das wiederum konnte nicht dauerhaft gutgehen. Deshalb sind wir dann auch zum Haushaltskonsolidierungsland geworden und waren auf jährliche Zuweisungen des Bundes angewiesen.

Wir hatten und haben aber noch eine weitere Herausforderung. Bei den Einnahmen haben wir als Land keine eigenen Steuerungsmöglichkeiten. Bis auf die Grunderwerbssteuer, die jetzt schon die höchste aller Länder ist, gibt es keine größeren Einnahmen, die wir unabhängig vom Bund selber steuern können. Das engt unseren Spielraum erheblich ein. Sinken beispielsweise die Einnahmen, haben wir keine Möglichkeiten mehr, dieses eigenständig zu kompensieren. Gleiches gilt im Übrigen auch, wenn die Zinsen steigen, wie sie es jetzt schon tun. Die Zeiten, als wir Zinslasten hatten, die an der Milliardengrenze kratzten, sind noch nicht so lange her. Auch das wäre ein Faktor, der nicht von uns eigenständig steuerbar wäre. Im Gegenteil, je höher der Schuldenstand, desto schlechter möglicherweise die Bonität. Auch hier ein Teufelskreis!

Der Effekt ist einfach erklärt: Keine eigenständig steuerbaren Einnahmen bei steigender Zinsbelastung – und von Tilgung rede ich schon gar nicht – sowie ein immer steigender Schuldenstand und hohe Pensionsausgaben führen zu massiven Einsparungsnotwendigkeiten. Und wo spart man? Da, wo es rechtlich noch geht. Bei Sport, Kultur, Sozialem und anderen sogenannten freiwilligen Leistungen. Und genau das galt und gilt es zu verhindern. Das waren unsere gemeinsamen Überlegungen bei der Einführung der Schuldenbremse. Es ging um finanzielle, aber auch um soziale Nachhaltigkeit. Und das ist immer noch so aktuell wie eh und je!

Und nun sehen wir uns doch einmal an, was uns das Bundesverfassungsgericht bezüglich von Notkrediten aufgegeben hat: Da sich in der öffentlichen Diskussion so ziemlich jeder daran gemacht hat, wann er oder sie eine Notlage sieht, hat das Gericht dieses jetzt noch einmal klargestellt. Ich verweise auf die Randnummern 103 bis 106 des Urteils. Der Begriff Naturkatastrophe bezeichnet dabei unmittelbar drohende Gefahrenzustände oder Schädigungen von erheblichem Ausmaß. Es geht also gerade nicht um Schäden und Gefahren, die vielleicht in der Zukunft liegen – diese müssen mit den allgemeinen politischen und finanziellen Möglichkeiten gelöst werden. 

Eine außergewöhnliche Notsituation kann zweierlei sein. Erstens ein großes Unglück, wie zum Beispiel die Explosion eines Atomkraftwerkes oder ein längerer flächenhafter Stromausfall. Ansonsten ist dieser Begriff laut Gericht haushaltsrechtsspezifisch zu interpretieren. Es geht also um außergewöhnliche Störungen der Wirtschafts- und Finanzlage. Also zum Beispiel um eine außergewöhnliche Wirtschaftskrise.
Und das waren schon die Voraussetzungen für einen Notkredit. Eine unmittelbar aktuelle Naturkatastrophe, ein großes Unglück oder eine außergewöhnliche Wirtschaftskrise. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Dann macht das Gericht aber noch zusätzliche Einschränkungen, die sich in den Randnummern 107 bis 110 finden. Nicht jede Krise lässt einen Notkredit zu. Das Ereignis muss für den Staat zu dem betreffenden Zeitpunkt unbeherrschbar sein und durch die damit verbundenen Maßnahmen soll mittel- bis langfristig eine schleichende Anhäufung von Schulden verhindert werden. Ein rein finanzpolitisches Argument. Und es muss dann schon zum Zeitpunkt des Ereignisses eine erhebliche Beeinträchtigung der staatlichen Finanzlage mit einhergehen. Man kann also sehen, die Schuldenbremse und die Möglichkeit der Notkredite werden hier rein finanzpolitisch betrachtet. 

Anschließend an diese Feststellungen schränkt das Gericht ab Randnummer 111 noch weiter ein. Es muss ein Kausalzusammenhang zwischen Notkredit und Neuverschuldungsbedarf bestehen. Es geht also gerade nicht darum, mittelbare in der Zukunft liegende Probleme mit lösen zu dürfen. Das muss aus allgemeinen Haushaltsmitteln geschehen. Es geht darum, dass der Notkredit in engem Zusammenhang mit der Notlage und deren Auswirkungen steht. Das Gericht sagt, dass es dabei zwar einen Beurteilungsspielraum gibt, wie man die Krise angeht. Diesen Beurteilungsspielraum gibt es aber nicht bei den Tatbestandsvoraussetzungen.

Das Ganze können Sie in Randnummer 133 noch einmal komprimiert nachlesen. Da steht: 1. Überschreitungen der regulären Kreditobergrenze können verfassungsrechtlich nur gedeckt sein, wenn der Haushaltsgesetzgeber mit ihnen zweckgerichtet Maßnahmen zur Überwindung oder Vorbeugung einer Naturkatastrophe oder außergewöhnlichen Notsituation finanziert. 2. Nicht erfasst sind dagegen Neukredite für allgemeinpolitische Maßnahmen, die allenfalls anlässlich der vermeintlich günstigen Gelegenheit des Aussetzens der Schuldenbremse ergriffen werden, aber nicht auf die Überwindung der Krisensituation zielen.

Das ist auch logisch, geht es doch, wie in Randnummer 140 beschrieben, um die langfristige Erhaltung der demokratischen Gestaltungsfähigkeit. Vor der Kreditaufnahme muss der Gesetzgeber alle Konsolidierungsspielräume ausnutzen und wenn dann doch ein Kredit aufgenommen werden soll, dann hat der Gesetzgeber eine eng gefasste Begründungspflicht. Er muss die Ursache und die möglichen Auswirkungen beschreiben und er muss dann darlegen, wie seine durch Kredit finanzierten Maßnahmen den möglichen Auswirkungen entgegenwirken. Dabei ist dann auch eine begründete Prognose aufzustellen, wie dieses Ziel erreicht wird. Sie können das in Randnummer 150 nachlesen.

Das hat mit dem Jährlichkeits- und Jährigkeitsprinzip zu tun, das insbesondere in den Randnummern 155 und 207 beschrieben ist. Innerhalb eines Jahres soll die Notlage wieder behoben werden, das ist das Grundprinzip. Man sieht also, es wird an ein singuläres Ereignis gedacht. Will man dann noch weitere Notkredite, dann muss dieses wieder begründet werden. Nämlich, warum die Prognose, die man anfangs gemacht hatte, nicht eingetreten ist und warum die Ursprungsmaßnahmen nicht geklappt haben. Und von Jahr zu Jahr wird der Begründungsspielraum immer enger. Damit soll eine Umgehung der Schuldenbremse durch eine jährlich wiederkehrende Notlagenausrufung unmöglich gemacht werden.

Sie sehen also, die Möglichkeiten für Notkredite sind eng gefasst, so wie es der Gesetzgeber auch ursprünglich wollte. Notkredite sind aber nicht unmöglich. Es kann sie in besonderen Notlagen geben, wenn das Land haushälterisch nicht in der Lage ist, diese bewältigen zu können. Das ist das Beruhigende an dem Urteil. Das Urteil setzt das um, was wir – auch als Landtag - beschlossen haben. Wir haben damit umzugehen und wir werden damit auch umgehen können!

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