Rede · 15.12.2011 Für ein starkes Europa

Vieles spricht dafür, dass sich der Europa-Ausschuss des Landtages regelmäßig nach Brüssel begeben sollte, um sich vor Ort über europapolitische Themen zu informieren. Denn eines sollte uns bei unserem letzten Besuch bewusst geworden sein: aus Brüsseler Sicht sieht das europäische Geschehen anders aus als aus Berliner oder aus Kieler Sicht. Auch der Informationsaustausch mit den schleswig-holsteinischen Europaabgeordneten und den Mitgliedern des Europa-Ausschusses auf Bundesebene sollte intensiviert werden. Nur so wird es uns gelingen, eigene Einflussmöglichkeiten auszuloten und eine europapolitische Debatte zu führen, die unseren Ansprüchen als Parlament gerecht wird. Es reicht mir also nicht zu sagen: „Schön, dass wir darüber geredet haben!“
Auch, wenn wir uns als Landtag mit der Debatte zu den beiden vorliegenden Anträgen –mit dem Ursprungsantrag der SPD-Fraktion und dem Änderungsantrag von CDU und FDP – an der allgemeinen politischen Meinungsbildung beteiligen, wäre ein ambitionierteres Vorgehen unserer Meinung nach wünschenswert. Zum einen läuft das Gesetz zum Europäischen Stabilisierungsmechanismus auch über den Bundesrat. - Schon im Sommer hatten sich die Bundesländer für eine umfassende und zeitnahe Unterrichtung ausgesprochen. Zum anderen wissen wir seit der Bundestagsdebatte zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin, dass die Beschlüsse des EU-Gipfels nicht ohne Probleme sind. Einige Presseberichte sprechen sogar davon, dass Angela Merkel mit den Beschlüssen des Schuldengipfels an den Rand der Legalität gegangen ist. Fest steht, dass der Beschluss, die Kreditlinie des Internationalen Währungsfonds IWF zu erhöhen – ein knappes Drittel davon kommt aus Deutschland – nicht ohne weiteres umzusetzen sein wird. Man könnte nämlich zu recht meinen, dass damit der Bundestagsbeschluss, wonach insgesamt nur 211 Milliarden Euro für die Währungsrettung ausgegeben werden darf, umgangen wird. Der Chef der Bundesbank, Jens Weidmann, machte öffentlich aus seinem Unbehagen keinen Hehl: der Umweg über den IWF könnte als verkappte Staatsfinanzierung entlarvt werden, und genau dies ist den Notenbanken nicht erlaubt. Um aus dieser Zwickmühle herauszukommen, wünscht sich die Bundesbank, dass der Bundestag das Vorgehen absegnet. – Und damit geht dieser Sachverhalt uns alle an!
Aus parlamentarischer Sicht ist ein anderer Punkt des Schuldengipfels aber von noch weit reichender Bedeutung: Soll sich die Europäische Union zu einer Fiskalunion weiterentwickeln mit konkreten Eingriffsrechten für die Kommission und den Europäischen Gerichtshof, dann gibt es ein verfassungsrechtliches Problem, das nicht einfach von der Hand zu weisen ist. Im Grundgesetz steht, dass allein der Bundestag über den Haushalt des Bundes entscheidet. Das passt also ausgesprochen schlecht mit den Beschlüssen des EU-Gipfels zusammen, denn ohne Zugriffsrechte auf die Etats gibt es keine Möglichkeit, das überzogene Schuldenmachen klammer Staaten zu verhindern. Diese Grundsatzdiskussion wird auch auf europäischer Ebene geführt werden – und in den anderen nationalen Parlamenten der Euroländer.
Es ist sicherlich unumgänglich, dass die Europäische Union mit dem neuen Stabilitätspakt den Finanzmärkten signalisiert, dass die Zeit des ungehemmten Schuldenmachens vorbei ist. Man könnte sogar behaupten, dass der neue Pakt einen Kompromiss ermöglicht: Die EZB löst das Schuldenproblem der Vergangenheit, die Regierungen grenzen das Risiko für die Zukunft ein. Die Schwachpunkte in dieser Argumentation habe ich schon aufgezeigt.
Für den Schleswig-Holsteinischen Landtag sollten aber eben diese Schwachpunkte in den Mittelpunkt der Debatte gerückt werden. Hinzu kommt dann noch die ganz zentrale Frage über die Zukunft der Europäischen Union als Ganzes. Denn Fakt ist: Seitdem Griechenlands Schuldenkrise und andere Pleitekandidaten die Euro-Zone belasten, ziehen sich durch die gesamte EU zahlreiche Risse. Und das deutsche Vorgehen in der Krise kann dazu führen, dass die Europäische Union zerfällt. Es sollte uns Sorgen bereiten, dass die Bundesrepublik in den letzten Monaten ihre Europapolitik grundlegend geändert hat und damit zur Zersplitterung Europas beiträgt: Wir haben eine EU der 27 – bald der 28, eine Währungsunion der 17 und europäische Länder außerhalb der EU. Seitdem der britische Premier sich den Bemühungen um eine gemeinsame Fiskalpolitik der EU verabschiedet hat, haben wir zusätzlich eine „Koalition der Willigen“ – der 17 Euroländer und sechs anderer Staaten. Es wäre aus Sicht des SSW tödlich für die Europäische Union, wenn die 17 Euroländer jetzt auf Drängen Deutschlands und Frankreichs weiter gemeinsam vorpreschen und sich stärker politisch integrieren, denn dies führt ja nicht dazu, dass die zehn anderen dem früher oder später folgen und der Währungsunion beitreten. Es wird keine nationalen Mehrheiten für solche Änderungen der EU-Verträge und der Verfassungen geben. Dies gilt erst recht für jene Länder, wo dafür Volksabstimmungen erforderlich sind. Das zeigt sich jetzt schon!
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Gemengelage, und daher werden wir heute nicht einfach den Parteitagsbeschluss der Bundes-SPD oder die Linie von Angela Merkel sanktionieren. Wir werden und bei der Abstimmung der Stimme enthalten und fordern, dass beide Anträge im Europa-Ausschuss weiter beraten werden, um dort hoffentlich zu einer gemeinsamen Position des Schleswig-Holsteinischen Landtages zu kommen.

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