Rede · Christian Dirschauer · 25.11.2022 Gleichberechtigter Zugang zur medizinischen Versorgung bleibt oft ein frommer Wunsch

„Bei der Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderungen gibt es noch erhebliche Defizite“

Christian Dirschauer zu TOP 38 - Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderungen verbessern (Drs. 20/283(neu))

Aus Sicht des SSW ist es dringend geboten, dass wir hier regelmäßig über die unterschiedlichen Zielvorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention diskutieren. Es ist zwar völlig klar, dass wir es bei der Umsetzung der UN-BRK wie beim Thema Inklusion insgesamt mit einem Prozess zu tun haben, der auf Dauer angelegt ist. Aber gerade deshalb ist es unverzichtbar, einen regelmäßigen Realitätscheck zu machen und zu prüfen, ob wir uns auf dem jeweils richtigen Weg befinden und uns den Zielvorgaben zumindest annähern. Dies muss selbstverständlich auch für den so wichtigen Bereich der Gesundheitsversorgung gelten. Denn wenn wir ehrlich sind, dann haben wir dieses Thema hier viel zu selten unter den Maßgaben der Inklusion debattiert. 

Es ist Fakt, dass der gleichberechtigte, diskriminierungsfreie Zugang zur medizinischen Regelversorgung viel zu oft und an viel zu vielen Orten ein frommer Wunsch bleibt. Patientinnen und Patienten mit Behinderungen werden leider nicht nur in vielen Krankenhäusern, sondern auch in vielen Arztpraxen nicht oder zumindest nicht selbstverständlich versorgt. Häufig scheitert es bis heute schon an rein physischen Barrieren, die es mobilitätseingeschränkten Menschen schwer oder unmöglich machen, behandelt zu werden. Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen vom Oktober 2020 hat nur ein Viertel aller Praxen in Deutschland einen wirklich barrierefreien Zugang. Insgesamt machen nur die wenigsten ärztlichen Praxen Angaben zur Barrierefreiheit. Damit können wir festhalten, dass das Recht auf freie Arztwahl für Menschen mit Behinderungen ganz erheblich eingeschränkt ist. Und wir sollten uns klarmachen, dass wir hier eine beträchtliche Baustelle haben, bei der wir auch als Land über finanzielle Anreize und Fördermöglichkeiten nachdenken sollten. 
Allein die erwähnten Zahlen zeigen überdeutlich, wie weit Anspruch und Wirklichkeit auch in einem so wesentlichen Bereich wie der Gesundheitsversorgung auseinander liegen. Das will, aber das kann vor allem auch niemand kleinreden. Der Anspruch ist unmissverständlich klar: Artikel 25 der UN-Behindertenrechtskonvention bezieht sich ganz konkret auf den Bereich Gesundheit. Demnach soll sichergestellt werden, dass Menschen mit Behinderungen eine Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard erhalten. Nicht mehr und nicht weniger. Spätestens, wenn wir uns die Versorgungssituation jenseits unserer Ballungsgebiete anschauen, dürfte allen klar werden, wie deutlich wir diese Zielvorgabe verfehlen.

Der Hinweis auf Artikel 25 beziehungsweise auf die Vorgaben der Konvention findet sich nicht nur in unserem Antrag, sondern auch im Antrag der Koalition. Damit sollte also allen bewusst sein, dass wir dahinter nicht zurückbleiben dürfen. Und damit ist auch völlig klar, dass noch sehr viel Arbeit vor uns liegt. Es führt kein Weg daran vorbei, im Dialog mit Kassen und Ärzteschaft die erwähnten Anreize zu schaffen, damit möglichst alle Gebäude absehbar barrierefrei werden. Noch dazu müssen wir uns zum Beispiel dringend dafür einsetzen, dass Informationen zur Gesundheitsversorgung in Leichter Sprache zugänglich sind. Oder dass es flächendeckende Orientierungshilfen für Menschen mit Sehbehinderung oder Hörbeeinträchtigungen gibt.

Aber es geht eben längst nicht nur um den barrierefreien Zugang zur Regelversorgung. Nicht nur Haus- sowie Fachärztinnen und -ärzte müssen ihre Angebote konsequent für Menschen mit Behinderungen öffnen. Wir brauchen auch mehr spezielle Angebote für Menschen mit geistigen oder schweren und mehrfachen Behinderungen. Das ist nicht nur aus Inklusionsgründen und aus Gründen der Selbstbestimmung geboten, sondern auch, weil diese Menschen häufig spezifische Gesundheitsrisiken haben, deren Nichtbehandlung nicht selten schwerwiegende Folgen hat. Dies gilt im Übrigen nicht nur für die somatische Versorgung, sondern auch für spezialisierte psychiatrische und psychotherapeutische Angebote. Daher fordern wir in einem ersten Schritt die Gründung von mindestens einem medizinischen Behandlungszentrum für Menschen mit geistigen und schwer mehrfachen Behinderungen bei uns in Schleswig-Holstein. Dies entspricht nicht nur den Anforderungen der UN-Konvention, sondern steht auch im Koalitionsvertrag der Ampelregierung im Bund. Ich denke daher, dass wir auf weitere Unterstützung hoffen können und uns hier zügig auf den Weg machen sollten.

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