Rede · Flemming Meyer (2009–2020) · 13.03.1997 Große Anfragen zur Kulturpolitik

Wir befassen uns heute hier mit zwei Großen Anfragen zum Thema Kultur. Zum einen geht es um Stand und Perspektiven der kulturellen Entwicklung zum anderen um Heimat- und Regionalkultur in Schleswig-Holstein. Gemeinsam ist ihnen, daß darin der Stand der Kulturpolitik beschrieben wird und welche Perspektiven sich für das Land Schleswig-Holstein daraus in Zukunft ergeben.

Zu Beginn möchte ich kurz etwas zu den Begriffen „Heimat“ und „Kultur“ sagen. Heimat ist ein komplexer Begriff, der in der Vergangenheit auf eine schonungslose Weise instrumentalisiert und mißbraucht wurde. Heute ist dies glücklicherweise nicht mehr der Fall. Dennoch bietet der Begriff Heimat auch heute eine Reihe unterschiedlicher Interpretationen. Ich meine dies nicht negativ. Jeder von uns hat seine eigene persönliche Definition, was er oder sie unter dem Begriff Heimat versteht. Als groben gemeinsamen Nenner könnte man seine Heimat als „Ort des Wohlbefindens“ bezeichnen. Und eben dieser Ort ist es, der die eigene Person und somit die eigene Identität ausmacht. Wenn wir also hier über Heimatkultur debattieren, so dürfen wir nationale oder religiöse Minderheiten, Einwanderer, Aussiedler oder andere gesellschaftliche Gruppen nicht ausschließen. Denn auch sie tragen zum kulturellen Leben und zur kultureller Vielfalt bei. Wir alle sollten gewährleisten, daß unser Heimatverständnis nicht zu einem Instrument der Ausgrenzung verkommt. Heimat- und Regionalkultur umfaßt von daher das historische, ästhehtische natur- und landschaftsbezogene Wirken von Menschen i einer begrenzten Region.

Der Begriff „Kultur“ steht für die Werte, Lebensanschauungen und Traditionen, die eine Gemeinschaft integrieren und aus ihr ein soziales Gefüge machen. Demzufolge definiert sich die Kulturpolitik fast von selbst. Kulturpolitik soll daher der Gemeinschaft dienen, indem sie beispielsweise dazu beiträgt, die Lebensqualität der Menschen zu steigern, die Allgemeinbildung zu verbessern, Vorurteile gegenüber Menschen anderer Herkunft abzubauen oder schlicht und einfach Friedensdienst zu leisten.
Kulturpolitik dient aber ebenfalls den einzelnen, indem sie zur Kreativität anleitet, dem Individuum Entfaltungsmöglichkeiten aufzeigt und den Menschen zu unterschiedlichen Sichtweisen befähigt. Die Liste ließe sich fast beliebig fortsetzen. Positiv erwähnenswerte Begleiterscheinungen der Kulturpolitik sind, daß sich durch aktive Kulturpolitik positive Impulse für den Arbeitsmarkt ergeben. Kulturpolitik ist also auch Standortpolitik.

Natürlich leuchtet es ein, daß Kulturpolitik es gerade dann um so schwieriger hat, wenn aufgrund von Sparzwängen die Kulturpolitik in die Defensive gedrängt wird. In dieser Frage sind wir alle gefordert. Unsere Verantwortung gebietet es uns, unsere Kräfte zu bündeln und den knappen Haushaltsmittel Innovation und Kreativität entgegenzusetzen.

Kommen wir also jetzt zu den Großen Kulturanfragen. Wenn man sie sich einmal genauer durchliest, treten dem Betrachter einige interessante Merkmale ins Auge. Anhand der unterschiedlichen Fragestellungen zur Heimat- und Regionalkultur und der Kulturpolitik im allgemeinen, gewinnt man den Eindruck, daß die Anliegen der beiden Fragesteller sich deutlich voneinander unterscheiden. Während die SPD ein breites Kulturbild vertritt, und damit auch abfragt, betont die CDU-Anfrage zur Heimat- und Regionalkultur vor allem den identitätsbildenden Aspekt. Ihre Große Anfrage entspricht also eher einem traditionellen Kulturverständnis.

Die Meinung des SSW ist es, daß Kulturarbeit nicht einseitige Schwerpunkte bei der „etablierten Feinkultur“ setzen sollte. Oder um es mit einem altbekannten Spruch zu sagen: Kultur ist mehr als die Sahne auf dem Kuchen, sie ist die Hefe im Teig. Kultur ist ein elementarer Bestandteil unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit, da sie zur Selbstverwirklichung und Identität eines jeden Menschen beiträgt. Wir wünschen uns, daß Kulturpolitik die breiten Bevölkerungskreise anspricht. Dies kann nach Meinung des SSW geschehen, in dem traditionelle Einrichtungen sowie Träger freier und alternativer Kulturarbeit enger miteinander zusammenarbeiten.

Aus der Großen Anfrage läßt sich ersehen, daß die Basiskultur in den vergangenen Jahren finanziell und ideell gestärkt worden ist. Es ist erfreulich, daß die geleistetet Kulturpolitik sich in den großen Linien in vielen Punkten mit unserem Vorstellungen decken. Das heißt aber lange nicht, daß wir Kritiklos die Füße der Landesregierung Küssen wollen. In vielen konkreten Feldern betrachten wir die Politik der Landesregierung durchaus auch kritisch. Dieses gilt vor allem dann, wenn die Förderung der Kulturpolitik durch die Landesregierung von wirtschaftlichen Überlegungen geleitet wird. Es ist zwar zu begrüßen, wenn Schleswig-Holstein als Urlaubsland auch oder gerade wegen des kulturellen Angebotes von Urlaubern als Reiseziel bereist wird, wirtschaftliche Überlegungen dürfen jedoch nicht leitendes Prinzip der Kulturförderung werden. Die Kulturangebote sollten in erster Linie auf die Bedürfnisse und Wünsche der heimischen Bevölkerung eingehen.

Das Land definiert sich selbst als Land mit 3 Kulturen - der deutschen, der dänischen, und des friesischen. Das muß auch in die Kulturpolitik des Landes einfließen. Ich hätte mir gewünscht, wenn man konkretisiert hätte, wie die Sprachförderung des Landes dieses berücksichtigen will.
Im Bereich der Theaterförderung sehen ich vor allen das Problem, daß es immer noch nicht gelingt, neue Bevölkerungsschichten für das Theater zu interessieren. Wir haben zwar einen stabilen Stamm von Personen, die regelmäßig an den Theaterveranstaltungen teilnehmen. Es ist uns aber nicht gelungen, auch neue Gruppen für das Theater zu gewinnen. Was mir besonders ins Auge sticht, ist daß kommerzielle Theater hochsubventioniert arbeiten, während die Amateurtheater allzu häufig von den Verantwortlichen vernachlässigt werden. Es wäre wünschenswert, wenn man zukünftig eine größere Zusammenarbeit zwischen Professionellen und Amateuren im Theaterbereich erreichen könnte.

Ein weiteres problematisches Feld ist die große Unterversorgung mit Theater für Kinder. Die Antwort auf die Großen Anfragen erwähnt nur ein einziges Kindertheater in Kiel. Hier zwingt sich mir der Vergleich zu Dänemark auf, wo zum Beispiel Schultheaterarrangements weitreichend gefördert und unterstützt werden. Das begrüßenswerte Ergebnis ist, daß man das Theater für Kinder interessant gemacht hat, und es für Kinder eine Alternative zum Fernsehen geworden ist. Auch hier könnten die Kommunen Amateur-, Kinder- und Jugendtheater relativ leicht fördern und helfen, indem sie ihnen kostenlosen Raum zum Üben zur Verfügung stellen. Allgemein fehlt uns bis jetzt noch eine eigene Kinderkulturarbeit, wie man sie in Skandinavien hat.

Wir begrüßen daß in der schleswig-holsteinischen Museumslandschaft mancherorts mittlerweile zweisprachige Hinweisschilder existieren. Wir sehen darin einen konstruktiven Beitrag und hoffen, daß dieser Trend sich fortsetzen wird.
Ein für uns besonders wichtiger Punkt des Museumsbereiches ist das Museum „Danevirkegaarden“. Wir wünschen uns für dieses Museum, das zwar von Südschleswigschen Verein geführt wird, das aber sowohl Minderheits- als auch Mehrheitsbevölkerung als Bereicherung des Mueseumsangebots zur Verfügung steht, eine institutionelle Förderung. Diese Forderung halten wir für berechtigt, weil das Museum „Danevirkegaarden“ einerseits zur Museumslandschaft Schleswig-Holsteins gehört, andererseits der Darstellung der deutsch-dänischen Geschichte dient. In diesem Punkt, im Museumswesen, wünschen wir als Minderheit uns auch eine Gleichstellung mit der Mehrheit in Schleswig-Holstein.

Im übrigen besteht, nebenbei bemerkt, dringender Handlungsbedarf in der Pflege des Dannewerks. Es ist sehr bedauerlich zu sehen, wie Bäume und wildwachsende Pflanzen dieses Monument im Laufe der Zeit unkenntlich gemacht haben. Ebenfalls beklagenswert ist es, daß Menschen nördlich und südlich der Grenze davon abgehalten werden, dieses Monument zu sehen, da die Ausschilderung mangelhaft ist.

Allgemein sind wir der Auffassung, daß gerade in der Museumslandschaft in der Vergangenheit viel getan wurde. Allerdings bestehen noch immer strukturelle Defizite, weil auch neu hinzugekommene oder erweiterte Museen immer noch auf die Schwerpunkte Kunst oder vorindustrialisierte Zeit konzentriert sind.
Wir sind der Hoffnung, daß neue Volkskundemuseum in Schleswig sich noch zu einer Art „Museum für Alltagskultur“ entwickeln kann. Was aber immer noch fehlt, ist ein Industriemuseum. Gerade in diesem Bereich der Geschichte besteht noch ein allgemeiner Dokumentationsbedarf. Ebenfalls denkbar wäre auch noch ein Museum für Zeit- und Regionalgeschichte, welches wiederum eng mit dem in Schleswig ansässigen Institut für Zeit- und Regionalgeschichte eng zusammenarbeiten könnte und sollte.

Wir begrüßen, daß die Soziokultur in Schleswig-Holstein seitens der Landesregierung gefördert wird. Wir sind aber der Meinung, daß die Förderung der soziokulturellen Zentren in Schleswig-Holstein noch intensiviert werden sollte, da sie wichtige gesellschaftliche Aufgaben erfüllen. So tragen sie beispielsweise zur einer sozialeren Gesellschaft bei, helfen bei der Integration gesellschaftlicher Randgruppen und informieren über Lebensweisen und Organisationsformen in einer multikulturellen Gesellschaft. Außerdem habven sie sehr viel mit Jugendkultur zu tun. Dies sind nur einige wenige ihrer Betätigungsfelder. Gerade in diesem Punkt meinen wir vom SSW, daß die Hochkultur im Verhältnis zur Volkskultur immer noch, zu unserem Leidwesen, höher bewertet wird. Um nun die Soziokultur langfristig zu sichern, bedarf es einer Förderung, die sich nicht nur auf Geld beschränken sollte. Neben erhöhten Projektmitteln könnte man Seminare und Workshops zum Thema Soziokultur veranstalten oder gar Forschungsprojekte zu diesem Thema ausschreiben.

Ein weiterer wichtiger Punkt der Kulturpolitik in Schleswig-Holstein ist das Landesarchivgesetzes aus dem Jahre 1992. Wie hinlänglich bekannt ist, soll die sogenannte "Kommunalklausel" des §15 des Landesarchivgesetzes erst zum 1. Januar 2000 inkrafttreten. Dies ist sehr zu bedauern, da wir vom SSW über Jahre hinweg an der Entstehung und Verabschiebung dieses Gesetzes maßgeblich beteiligt waren. Der SSW vertritt daher die Meinung, daß trotz dieser Verzögerung wichtige, notwendige und für die kommunalen Archivare hilfreiche Vorarbeit geleistet werden kann. Da sich nämlich schon heute in den Kommunen ein erhöhter Beratungsbedarf abzeichnet, ist es unserer Meinung nach sinnvoll, schon jetzt eine Archivberatungsstelle auf Landesebene einzurichten. Diese Beratungsstelle würde den vielen Archivaren in Schleswig-Holstein die Arbeit erleichtern. Ich möchte an dieser Stelle ebenfalls erwähnen, daß die damalige Kultusministerin Marianne Tidick sich früher schon positiv zur Einrichtung dieser Archivberatungsstelle geäußert hatte.

Wenn man die beiden Großen Anfragen in bezug auf die Minderheitenpolitik miteinander vergleicht, so stellt man fest, daß sie wenig aussagekräftig sind. Dies liegt aber auch in der Natur der Sache, da die Fragestellungen der Großen Anfragen mehr darauf abzielen, die Minderheitenpolitik darzustellen.

Wir vom SSW würden es begrüßen, wenn man die Kulturpolitik des Landes offensiv gestalten würde. Ein denkbares Forum für die Chancen und Perspektiven der Kulturpolitik wäre eine Zukunftswerkstatt. Es wäre erfreulich, wenn wir zu den Großen Anfragen im Bildungsausschuß nicht nur eine Anhörung durchführen, sondern solche flexibleren Formen wählten, bei der wir im Dialog mit den Beteiligten der Kulturpolitik unsere Ziele weiterentwickeln.

Ferner sind wir der Meinung, daß die Kulturpolitik gegenüber dem Problem der Massenarbeitslosigkeit einen aktiven Standpunkt einnehmen sollte. Aufgabe der Kulturpolitik sollte es sein, die Arbeitslosen Möglichkeiten aufzuzeigen, sich aus der drohenden sozialen Isolation zu befreien. Ziel sollte es sein den Arbeitslosen die Perspektivlosigkeit zu nehmen und sie in das kulturelle Leben wieder mit einzubeziehen.

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