Rede · Flemming Meyer (2009–2020) · 24.08.2011 Initiative für das Ehrenamt in Schleswig-Holstein

Der vorliegende Bericht über das Ehrenamt gewährt einen aktuellen Überblick über die Situation des bürgerschaftlichen Engagements bei uns in Schleswig-Holstein. Problemtatisch ist aber, dass der Bericht das Wichtigste gar nicht berücksichtigt: nämlich die Ehrenamtlichen selbst. Daten zu Alter, regionaler Verteilung, beruflichem Hintergrund oder Herkunft der ehrenamtlich Tätigen fehlen komplett. Eine eigenständige wissenschaftliche Untersuchung nach Motiven und Interessen, Zielen und Perspektiven des Ehrenamts kann man sicherlich nicht erwarten, aber im vorliegenden Bericht kommen sie bedauerlicherweise nur indirekt vor.

Der Bericht zeigt gerade durch diese Leerstelle, welch staatszentriertes Verständnis die Landesregierung zum Ehrenamt hat. Danach bestimmt der Staat Aufgaben und Funktionen des Ehrenamtes. Dabei erwächst aus dem Ehrenamt eine gesonderte, pragmatische Sicht und Herangehensweise, von der die Profis profitieren. Das Ehrenamt vertieft und ergänzt professionelle Tätigkeiten inhaltlich und qualitativ. Eigenständige ehrenamtliche Sterbebegleitung beispielsweise in einem Hospiz ergänzt die Palliativpflege der professionellen Pflegekräfte und Ärzte, kann sie aber keinesfalls ersetzen. So wenig wie eine ehrenamtlich organisierte Buchsammlung eine professionelle Bibliothek ersetzen kann. Ich könnte die Liste fortsetzen, denn inzwischen wird das Ehrenamt ganz unverhohlen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte herangezogen. Wer den gesamtgesellschaftlichen Nutzen des Ehrenamtes auf Heller und Pfennig ausrechnet, verkennt, dass Umfang und Art des bürgerschaftlichen Engagements die Qualität und Kultur unseres Gemeinwesens bestimmt.
Der Bericht der Bundestag-Enquete-Kommssion hat aus diesem Grund ausdrücklich darauf hingewiesen, das Ehrenamt grundsätzlich zu unterstützen, ohne darauf zu schauen, ob das damit verknüpfte Engagement für eine Regierung bequem ist oder nicht. Erst die Mischung aus Dabeisein und Dagegensein unterscheidet das soziale Kapital der Bürgergesellschaft vom Obrigkeitsstaat, hieß es 2002 in dem Bericht. Das gilt noch heute.
Gerade darum muss es bei einer ernst gemeinten Initiative für das Ehrenamt um mehr gehen als um Steuerrecht und Entschädigungsfragen. Bei der Landesregierung erhalten allerdings Fragen der finanziellen Entscheidung absolute Priorität; die Ehrenamtler selbst kommen erst beim allerletzten Punkt der unter A vorgestellten Liste vor, genauer gesagt schlägt der Finanzminister vor, dass Verbände und Vereine dem Innen- und Rechtsausschuss Vorschläge unterbreiten sollen. Selbst das klingt eher nach Aufgabenüberwälzung als nach einem echten Beteiligungsangebot.

Wenn man in den Stellungnahmen nachliest, findet man viel mehr als nur die Diskussion finanzieller Fragen, bei der der Bericht stehen bleibt. Diesen Stellungnahmen ist zu entnehmen, dass viele Ehrenamtliche die steuerlichen Regelungen tatsächlich als zu aufwendig kritisieren und dass die Aufwandsentschädigungen nicht alle Kosten decken. Es gibt also durchaus Handlungsbedarf in den Bereichen Entschädigungs- und Steuerrecht. Andererseits führen die Verbände weitere Punkte an wie unter anderem bessere Beteiligungsmöglichkeiten für das Ehrenamt, Gleichbehandlung des Ehrenamts unabhängig vom Träger und Qualifizierungsangebote für die Ehrenamtlichen. Das wird im Bericht überhaupt nicht berücksichtigt. Landesregierung und Ehrenamt reden also aneinander vorbei, so dass die weitere Entwicklung des Ehrenamtes nicht gerade rosig aussieht.
Viele Menschen wollen sich beteiligen, die Rahmenbedingungen aber selbst bestimmen. Das scheint vielerorts der Verwaltung nicht geheuer, zum Beispiel in Flensburg. Dort müssen sich Grünflächenpaten zunächst eine penible Kontrolle ihres Rasenmähers gefallen lassen, bevor sie dem Wildwuchs in Parks oder auf Kinderspielplätzen zu Leibe rücken können. Das schreckt ab.
Genau wie das Einsparen stabiler, professioneller Strukturen, auf die das Ehrenamt angewiesen ist.
Stattdessen wird das Ehrenamt zum Fundraiser degradiert, wie Formulierungen „zur Sicherung der Tragfähigkeit“ (Seite 51), für das die Ehrenamtlichen Sorge zu tragen haben, nahe legen. Auf diesem Wege finanziert das Ehrenamt professionelle Strukturen, die eigentlich das Ehrenamt unterstützen sollten. Solche Fehlentwicklungen entwerten letztendlich dauerhaft und nachhaltig das Ehrenamt.

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