Rede · Flemming Meyer (2009–2020) · 15.12.2005 Landeshaushalt 2006 und 2. Nachtragshaushalt für 2005

„Wir haben keinen Anlass, uns zu beklagen“, sagte Schleswig-Holsteins Bundesrats-Staatssekretär Klaus Schüler, nachdem die Parteitage von CDU und SPD Mitte November den Weg für eine große Koalition auf Bundesebene frei gemacht hatten. „Das Gewicht Schleswig-Holsteins wird durch die große Koalition im Bund eher zunehmen“, fügte er hinzu. Dass sowohl schwarze wie rote schleswig-holsteinische Landespolitiker dieses ähnlich sahen, überrascht daher nicht wirklich. Und auch der SSW hofft, dass alle schleswig-holsteinischen Wünsche in Erfüllung gehen – sei es durch verstärkten Einfluss des Landes im Bundesrat oder über die „Partei-Schienen“ der Koalitionspartner. Dennoch wissen wir aus der Vergangenheit, dass der Weg von Berlin nach Kiel immer viel länger ist als umgekehrt.

Ein Blick in den Koalitionsvertrag der regierungstragenden Parteien hier in Schleswig-Holstein – ohnedem läuft ja bekanntlich nichts mehr in diesem Hohen Hause – bestätigt, was Klaus Schüler laut Zeitungsbericht noch sagte, dass Kiel zwar die neue Bundesregierung stützen werde, man aber keine automatische Abstimmungsmaschine der Merkel-Regierung sei. Der Koalitionsvertrag sagt dazu:

„Die Interessen des Landes haben absoluten Vorrang“. Und genau daran werden wir die Landesregierung messen, wenn es darum geht, die politischen Rahmenbedin-gungen für Schleswig-Holstein weiter zu verbessern.

Die Regierungserklärung der neuen Bundeskanzlerin wirkte vor diesem Hintergrund eher ernüchternd. Mehr Freiheit wagen, will die neue Bundesregierung. Das war zumindest die rhetorische Klammer, mit der die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung zusammenfasste, was die „Koalition der neuen Möglichkeiten“ auf Bundesebene umzusetzen gedenkt. Dabei ist es aus Sicht des SSW unerheblich, ob dies in großen oder in kleinen Schritten geschieht. - Realistischer sind allemal die kleinen Schritte. Viel wichtiger ist es zu sehen, was sich hinter dem Ruf „Mehr Freiheit wagen“ verbirgt. Wenn damit gemeint ist, dass sich der Staat noch weiter aus seiner sozialen Verantwortung zurückziehen soll, als er es ohnehin schon getan hat, dann haben wir es nur mit einem weihnachtlich verpackten Bekenntnis zu jenem Wirtschaftsliberalismus zu tun, der vor der Wahl bekanntlich Anlass zu einer Diskussion über „Heuschrecken-Kapitalismus“ gab.

Konkret führt diese Einstellung dazu, dass der Chef eines großen Konzerns, des Reifenherstellers Continental – nachzulesen in der „Zeit“ – verlautbaren lässt, dass Rekordgewinne und Arbeitsplatzabbau „überhaupt nichts miteinander zu tun“ hätten. Josef Ackermann, Vorstandschef der Deutschen Bank, sieht es genau so: „Wir haben keine Alternative“, sagte er, als ihm vorgehalten wurde, dass die Bank daran fest hält, 6400 Beschäftigte zu entlassen, obwohl das Geldhaus auf einem rasanten Erfolgskurs fährt. „Mehr Freiheit wagen“ heißt daher für ganz viele Menschen in Deutschland,  dass sie nur die Freiheit haben zu sagen, ob sie weitere Lohnkürzungen akzeptieren oder gleich auf die Straße gesetzt werden wollen.

Wer „mehr Freiheit wagen“ will, schuldet uns allen also mindestens eine Antwort auf die Frage, für wen diese neue Freiheit gedacht ist. Mehr Freiheit für die Wirtschaft hieße, alten Wein in neue Schläuche zu gießen. Mehr Freiheit für die Menschen in Deutschland setzt voraus, dass sie erst einmal in die Lage versetzt werden müssen, ein selbst bestimmtes Leben zu führen. Das wäre dann ein sozialer Liberalismus, der den Staat zwar in seine Schranken verweist, ihn aber von seiner sozialen Verantwortung nicht entbindet.

Eine Studie der Internationalen Arbeitsorganisation ILO belegte jüngst, dass die Globalisierung leider kaum neue anspruchsvolle Arbeitsplätze schafft und die Armut nicht vermindert. Zwar glänzt die Weltwirtschaft seit Jahren mit hohen Wachstumsraten, aber daraus entstehen laut ILO immer weniger zusätzliche Arbeitsplätze. Die Löhne geraten insbesondere in den westlichen Industriestaaten unter Druck, obwohl die Weltökonomie floriert und gedeiht. Die Ursachen liegen laut ILO daran, dass z.B. die Bevölkerungsgiganten China und Indien dem Weltmarkt zunehmend billige und gut ausgebildete Arbeitskräfte bieten und somit den Lohndruck erhöhen. Umdrehen kann die Politik diesen Prozess nicht, aber sie kann und sie muss gestaltend eingreifen. Mehr denn je ist also ein handlungsfähiger Staat gefragt. Nur er kann für einen Ausgleich zwischen Verlierern und Gewinnern der Globalisierung sorgen. 

Leider enthält der Koalitionsvertrag auf Bundesebene mehr über die Sanierung des Bundeshaushalts als über die Reduzierung der Arbeitslosigkeit. Interessanterweise wird diese Politik auch in Teilen von der Wirtschaft kritisiert. So war jüngst der Presse zu entnehmen, dass der Chefökonom der HSH Nordbank in Kopenhagen der Bundesrepublik eine expansive Finanzpolitik kombiniert mit zukunftsweisenden Strukturreformen empfahl – wie einst in Dänemark unter Ministerpräsident Nyrup-Rasmussen. Insbesondere forderte er eine expansive Finanzpolitik mit Blick auf die Stärkung der sehr schwachen Binnenkonjunktur in Deutschland. Anstatt also den Haushalt zu sanieren, sollte die Bundesregierung die Investitionen zur Senkung der Arbeitslosigkeit zur ersten Priorität ihrer Politik erklären. 

Die Große  Koalition in Berlin hat scheinbar aber keine Strategie, die den Herausforderungen der Globalisierung gerecht wird. Auch die geplante Mehrwertsteuererhöhung wird eben nicht für die notwendigen Reformen der sozialen Sicherungssysteme genutzt, vielmehr verschwinden die Einnahmen überwiegend in den Haushaltslöchern von Bund und Ländern. Die geplante Senkung der Lohnnebenkosten um 0,6% erscheint aus unserer Sicht überhaupt nicht ausreichend, um den Faktor Arbeit billiger zu machen und die Unternehmen spürbar zu entlasten. Die Mehrwertsteuererhöhung um 3 % in 2007 könnte sogar ein schwerer Schlag für die so sehr gebeutelte Binnenkonjunktur werden.  Dass die Regionalisierungsmittel für den ÖPNV und den SNV und die GA-Förderung zur Sanierung des Haushalts zurückgefahren werden sollen, ist gerade für ein Flächenland wie Schleswig-Holstein ein großes Problem.

Die Föderalismusreform soll zwar angepackt werden, ein klares Konzept ist bisher aber nicht erkennbar. – Ganz zu schweigen von dem Ansatz, für den nicht zuletzt dieser Landtag stand: enthalten in der Lübecker Erklärung zur Stärkung der Landesparlamente nämlich. 
Es ist zu hoffen, dass sich die Landesregierung mit ihren Änderungsvorschlägen Gehör verschafft, um die bisherigen Absprachen zur Föderalismusreform zumindest zu verbessern. Die Entscheidung der Bundesregierung, sich jetzt doch – wie vereinbart – an den Kosten der Kommunen für den Unterhalt der ALG-II- Empfänger zu beteiligen ist natürlich zu begrüßen und hilft auch den Kommunen in Schleswig-Holstein. - Alles andere wäre allerdings auch ein Skandal gewesen.

Die ankündigten Maßnahmen aus Berlin wirken mit anderen Worten eher durchwachsen. Wir alle wissen aber,  wie abhängig die Länder weiterhin von den Entscheidungen der Bundesebene sind. Und deshalb muss auch klar und deutlich gesagt werden: der von CDU und SPD erhoffte positive Effekt einer Großen Koalition in Berlin ist aus Sicht des SSW nicht erkennbar. Es geht also kein Weg daran vorbei, zweigleisig zu fahren: weiterhin auf die Bundesebene einzuwirken und aus eigener Kraft die Weichen für Schleswig-Holstein so zu stellen, dass unser Land fitt für die Zukunft gemacht wird. Das sind die Maßstäbe, an denen der Landtag die Landesregierung messen sollte.

Der Haushaltsentwurf für 2006, der heute zur abschließenden Beratung ansteht, ist gewissermaßen ein Sinnbild für den Zustand der Großen Koalition in Schleswig-Holstein: Er tut nicht richtig weh, er bringt das Land aber auch nicht richtig voran. Er ist gewissermaßen ein „Arbeitshaushalt“, der die Geschäfte der Landesregierung am Laufen hält und somit vielleicht die „Ruhe vor dem Sturm“ des Doppelthaushalts 2007/2008 darstellt. Mag sein, dass Haushaltsberatungen zu anderen Zeiten genau so geräuschlos über die Bühne gegangen sind. Aber es war schon bemerkenswert, wie zügig alles abgehandelt werden konnte. - Wobei ich ausdrücklich die gute Zusammenarbeit mit Finanzminister Wiegard und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern loben möchte. Ein großes Lob auch an den Finanzausschussvorsitzenden Günter Neugebauer für seine souveräne Leitung der Haushaltsberatungen.

Dennoch reicht der reibungslose Ablauf nicht als alleinige Erklärung. Eine große Koalition kann sich noch weniger als andere Koalitionen leisten, dass es zu öffentlichen Auseinandersetzungen kommt. Damit wird aber zementiert, was ohnehin schon zu den Wesenszügen des deutschen Parlamentarismus gehört: nicht die Aufteilung in Exekutive und Legislative ist entscheidend, sondern die Aufteilung in Regierungsmehrheit und Regierungsopposition. In Umkehrschluss  bedeutet diese, dass wir als Abgeordnete ein ureigenes Interesse daran haben sollten, die Arbeit der Landesregierung mit den Augen des Parlaments zu begutachten. Und darum behaupte ich ganz einfach, dass es bei den Haushaltsberatungen mehrfach Situationen gegeben hat, wo es bei anderen Regierungskonstellationen ganz andere und sehr viel kritischere Diskussionen gegeben hätte.  Dass daher eine Minderheitsregierung dem Parlament gut getan hätte, ist weiterhin die Meinung des SSW.

Die Lage des Landeshaushalts ist dramatisch. Diese Erkenntnis ist nicht neu, und sie gibt eigentlich nicht wirklich ein Bild davon, wie schlecht es um die Finanzen des Landes bestellt ist. Sieht man sich die Eckpunkte des Haushalts genau an, erschließt sich einem die katastrophale Finanzlage Schleswig-Holsteins. Bei Nettoausgaben von ca. 8,2 Mrd. Euro werden wir sage und schreibe ca. 1,56 Mrd. Euro neue Schulden zur Finanzierung des gesamten Haushaltes aufnehmen. Damit wird die verfassungsmäßige Grenze der Nettoneukreditaufnahme gemäß Art. 53 der Landesverfassung um über 1 Mrd. Euro überschritten. Auch wenn die Kreditaufnahme im nächsten Jahr im Verhältnis zu 2005 etwas gesenkt werden soll, sind die Neuschulden fast dreimal so hoch wie unter Rot-Grün. Die Investitionsquote ist mit nur 9% so niedrig wie nie in der Geschichte des Landes, und die Personalkosten sind mit 38,1% sogar noch etwas höher als im letzten Jahr.

Daraus kann man aber redlicherweise der Landesregierung keinen Vorwurf machen. Zum einen ist der Haushalt fast zu 95% von Gesetzen und Vorgaben gebunden, die zum Teil vom Bund oder der EU beschlossen werden.  Zum anderen sind die Steuereinnahmen in den letzten Jahren stark eingebrochen. Der Spielraum der Landesregierung ist also sehr eng und außer Bayern wird wohl kein anderes Bundesland im nächsten Jahr einen verfassungskonformen Haushalt aufstellen können. Der Bund kann dies in 2006 auch nicht.

Für den SSW steht daher fest: Dieser Haushalt kocht nicht nur mit Wasser, er besteht in vieler Hinsicht aus genau den gleichen Bausteinen wie seine rot-grünen Vorgänger, und wenn wir ehrlich sind, hätte eine rot-grüne Landesregierung mit Unterstützung des SSW auch kaum andere Eckpunkte präsentieren können. Bei einer Regierungsbeteiligung der FDP wäre es zu einmaligen Mehreinnahmen durch den Verkauf der HSH-Nordbank gekommen. Die grundlegenden Strukturprobleme des Haushalts wären aber die gleichen. Deshalb lehnen wir auch diesen FDP-Vorschlag ab. Das heißt natürlich nicht, dass wir mit allen Prioritätensetzungen und Entscheidungen der Landesregierung im Haushaltentwurf zufrieden sind. Das ist bei weitem nicht der Fall.

Ich möchte aber deutlich machen, dass die grundlegenden Eckpunkte des schleswig-holsteinischen Landeshaushalts eben nur schwer zu beeinflussen sind. Dabei darf natürlich nicht unter den Teppich gekehrt werden, dass der Landeshaushalt 2006 verfassungswidrig ist und dass die Landesregierung in ihrer Finanzplanung erst in einigen Jahren damit rechnet, einen verfassungsgemäßen Haushalt vorlegen zu können. Auch wenn man dies aus finanzpolitischer Sicht kritisch sehen muss, gibt es keinen anderen Weg als den von Frau Merkel vorgeschlagenen Weg der kleinen Schritte. Der SSW ist weiterhin der Überzeugung, dass es uns nicht gelingen wird, uns aus dieser Finanzkrise herauszusparen. Wir müssen in erster Linie die Einnahmesituation des Landes verbessern, und dies gelingt letztlich nur, wenn wir mehr Menschen in Arbeit bringen.

Vor diesem Hintergrund ist der Schleswig-Holstein Fonds, der Investitionen generieren soll, eine richtige Maßnahme, die der SSW unterstützt. Natürlich wissen wir auch, dass es sich bei diesem Fond im Prinzip nur um einen neuen Namen für ein Programm handelt, das es schon unter der Vorgängerregierung gegeben hat. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Schleswig-Holstein aus eigener Kraft die nötigen Investitionen in die wirtschaftliche Entwicklung tätigen muss. - Wir streiten uns mit der Landesregierung gern über die Prioritierung, aber nicht über das Volumen der Investitionen. Von daher können wir auch nicht die Änderungsvorschläge der Grünen zur Kürzung des Schleswig-Holsteins Fonds unterstützen. Eine solche Politik wäre aus Sicht des SSW kontraproduktiv für unser Land.
 
Die Konturen einer zukunftsweisenden Arbeitsmarktpolitik sind bisher leider nicht richtig erkennbar. Auch wenn das Land hier von den Vorgaben des Bundes abhängig ist – Stichwort Hartz IV – so sind wir doch weiterhin der Meinung, dass Schleswig-Holstein mit mehr Engagement eine aktive Arbeitsmarktpolitik im Sinne der Arbeitslosen betreiben muss. So lehnt der SSW die Kürzung bei den Arbeitsloseninitiativen weiterhin ab.

Die Forderung nach einer Fortsetzung der EU-Regionalförderung nach 2006 unterstützt auch der SSW. Für die noch übrig gebliebenen Mittel des bisherigen Regionalprogramms 2000 muss aber gelten, dass sie angemessen und gerecht auf alle strukturschwachen Gebiete des Landes verteilt werden. Die Landesregierung darf sich mit anderen Worten nicht nur auf die Wachstumspotentiale der Hamburger Randgebiete konzentrieren und dabei den Norden des Landes aus den Augen  verlieren. Der im November vorgelegte Bericht der Landesregierung „Schleswig-Holstein – ein starker Partner im Norden“ verstärkt unsere Befürchtungen, dass die Landespolitik genau diese Richtung wählt. Dass die verbliebenen Mittel des Regionalprogramms nicht für Luftschlösser wie das - inzwischen zu den Akten gelegte - Science Center oder für den Ausbau des Flughafens Kiel-Holtenau genutzt werden sollen, steht für den SSW allerdings schon heute fest.

Bald hat der letzte Linienflug den Flughafen Holtenau verlassen, und die Große Koalition hält immer noch an dem Ausbauprojekt fest. Statt unverdrossen auf ein totes Pferd zu setzen, sollte die Landesregierung endlich absteigen und darüber nachdenken, für welche Projekte in Schleswig-Holstein die öffentlichen Fördergelder sinnvoll ausgegeben werden können. Der vollständige Ausbau des Husumer Hafens ist somit auch aus landespolitischer Sicht ein sinnvolles Projekt, das die Unterstützung der Landesregierung verdient.  Die Entscheidungen darüber, welche Prioritäten gesetzt werden sollen, hängen allerdings nicht  unmittelbar mit dem Haushalt zusammen. Sie sind Ausdruck für den Haushaltsvollzug, und genau darauf wird der SSW weiterhin sein Augenmerk richten.

Noch haben wir im Norden des Landes viele Industriebetriebe und zukunftsfähige Unternehmen mit vielen Arbeitsplätzen. Aber der Arbeitsplatzabbau der letzten Jahre –  in Flensburg z.B. bei Motorola oder bei Danfoss - ist ein Warnsignal. Darum wiederhole ich: Wenn der nördliche Landesteil nicht zu einem Freizeitpark reduziert werden soll, müssen wir jetzt handeln, um die Zusammenarbeit über die deutsch-dänische Grenze hinweg zu vertiefen und auszubauen. Der SSW will deshalb, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit für die Landespolitik in Zukunft den gleichen Stellenwert erhält, wie z.B. die Zusammenarbeit mit Hamburg. – Oder anders formuliert:  Für uns im Norden - für unsere Zukunftschancen – ist sie genauso wichtig wie die Zusammenarbeit von Schleswig-Holstein und Hamburg. Wir werden im kommenden Jahr die Landesregierung daran messen, wie sie sich in die Neugestaltung der grenzüberschreitenden Arbeit einbringt.

Die Landesregierung kündigt in Zusammenhang mit dem Haushalt eine Reihe von Strukturänderungen an, die aber alle noch mit vielen Fragezeichen versehen sind und die in 2006 zunächst kaum haushaltswirksam werden. Die Verwaltungsstrukturreform ist ein Thema für sich, und wie der SSW dazu steht, kann man in dem Protokoll der gestrigen Debatte nachlesen. Im vorliegenden Haushaltsentwurf spiegelt sich die Verwaltungsstrukturreform nur hinsichtlich der Finanzierung der so genannten „Hochzeitsprämien“ für Verwaltungs- oder Gemeindezusammenlegungen wider. – Dieses zu unterstützen, bereitet dem SSW keine Schwierigkeiten. Die Erfahrungen zeigen aber, dass sich wegen dieser bescheidenen Mittel kaum Kommunen freiwillig zusammenschließen werden.

Zu zwei Strukturvorhaben der Landesregierung wird es morgen noch gesonderte Debatten geben: zu der Neustrukturierung der Amtsgerichte und zu der Einführung eines Anreizbudgets für die Hochschulen des Landes. Ohne diese Debatten vorweg nehmen zu wollen, stelle ich für den SSW fest, dass Strukturmaßnahmen auch immer eine regionalpolitische Seite haben. Das Amtsgericht in Kappeln zum Beispiel ist die letzte Landesbehörde in einer Region, die in den letzten Jahren sehr viel hat ertragen müssen. Es ist ein modernes Gericht, das sich auch als Dienstleistungsorgan für die Menschen vor Ort versteht. Und aus genau diesen Gründen wäre es zu kurz gesprungen, wenn ausschließlich justiz-fachliche Argumente zum Tragen kommen.

Was für die Amtsgerichte gilt, gilt natürlich erst recht für die Hochschulen des Landes. Der SSW steht für eine ausgewogene Bildungs- und Hochschullandschaft, die mit der regionalen Wirtschaft kooperiert und den Menschen vor Ort Forschung und Lehre, Bildung und Weiterbildung bietet. Die Einführung eines Anreizbudgets - zu Lasten der Flensburger Hochschulen - ist daher keine Maßnahme, die dazu angetan ist, die Skepsis gegen die Reformpläne der Landesregierung abzumildern. Dass die Landesregierung jetzt kurzfristig 40.000,- € mehr für das Germanistik-Studium der Universität Flensburg ausgeben will, ist natürlich zu begrüßen.

Dennoch ist dies vor dem Hintergrund der jahrelangen Unterfinanzierung des Hochschulstandortes Flensburg im Grunde nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wir haben in unseren Änderungsanträgen zum Haushalt gefordert, dass die Vorschläge zum Anreizbudget gestrichen werden. Damit kamen wir bei den Mehrheitsfraktionen nicht durch. Wir nehmen aber wohlwollende zur Kenntnis, dass die Beschlussempfehlung des Bildungsausschusses zu diesem Punkt eine Revisionsklausel enthält, die spätestens vor der Sommerpause 2006 evaluiert werden soll. Das ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung.

Es muss also in Zukunft darum gehen, dass die Stärken des gesamten Landes genutzt werden. Professor Michael Porter von der Harvard Universität hat kürzlich bei einer großen Veranstaltung in Kopenhagen darauf hingewiesen, dass die beste Strategie zur Bewältigung der Herausforderungen der Globalisierung darin liegt, von eigenen Prämissen auszugehen -  sich von anderem zu unterscheiden also, denn - wer einfach die Stärken anderer nachahnt, wird den Wettbewerb nicht bestehen können. Für unser Land heißt das unter anderem, dass es nicht reicht, nur mehr Werbung für Schleswig-Holstein zu machen. Entscheidend sind die Stärken des Landes – die Alleinstellungsmerkmale , sei es im Bereich der Windenergie oder in ganz anderen Bereichen. Und aus genau diesen Gründen ist es für den SSW wichtig, dass eine Offensive für Qualifizierung und Bildung auf den Weg gebracht wird. Denn neben der Schönheit und der kulturellen Vielfalt unseres Landes sind gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Pfund, womit gewuchert werden kann. Damit dies so bleibt, müssen wir schon in den Kindergärten die richtigen Weichen stellen. Das gestern verabschiedete Gesetz zur Weiterentwicklung der Kitas ist mit seinen neuen Bildungszielen  ein erster richtiger Schritt. Daher konnte der SSW dem Gesetzentwurf auch zustimmen.

Es ist aber kein Geheimnis, dass auch wir uns einen höheren Zuschuss für die Kindertagesstätten gewünscht hätten. Insbesondere für die Aus- und Weiterbildung der Erzieherinnen und Erzieher müssen zusätzliche Mittel bereitgestellt werden. Wir werden daher entsprechende Änderungsanträge zur Erhöhung der Landeszuschüsse an die Kindertagesstätten von den Grünen und der FDP unterstützen. Wir wissen aber auch, dass wir damit eine Zielvorgabe unterstützen, die nur in kleinen Schritten „abgearbeitet“ werden kann. Das Thema Schulgesetzänderung wird uns im nächsten Jahr sehr intensiv beschäftigen. Hier und heute nur soviel: es gibt in diesem Haus immer noch eine Mehrheit für die Einführung der Gemeinschaftsschule.

Zu den Stärken unseres Landes gehören aber auch die kulturelle Vielfalt und die Tatsache, dass sich Schleswig-Holstein als ein Land mit deutscher, dänischer und friesischer Kultur versteht. Auch die Minderheitenpolitik gehört somit dazu. Und daher – ein letztes Mal in diesem Jubiläumsjahr der Bonn-Kopenhagener Erklärungen: das Ziel von Minderheitenpolitik ist die Schaffung gleicher Möglichkeiten für Mehrheit und Minderheit in kultureller, politischer und finanzieller Hinsicht, denn die Angehörigen der dänischen Minderheit und der friesischen Volksgruppe sind Bürger des Landes mit den gleichen Rechten und Pflichten wie alle anderen Bürger auch.

Daher freut es uns, dass die regierungstragenden Fraktionen die Änderungsanträge des SSW zum Minderheitenbereich übernommen haben und dass letztlich diese Anträge einstimmig im Finanzausschuss beschlossen wurden. Dafür danken wir den Fraktionen, insbesondere aber den Fraktionsvorsitzenden von CDU und SPD und den beiden finanzpolitischen Sprechern der Regierungsfraktionen. Wir wissen, dass immer auch für kleinere Änderungen im Haushalt geworben werden muss.

Wir sehen die Rücknahme der Kürzungen beim SSF, dem Kulturträger der dänischen Minderheit, beim Nordfriesischen Institut und bei der Kulturarbeit der friesischen Volksgruppe als ein positives Signal an die Minderheiten des Landes. Und wir sehen dies als eine Bestätigung dafür, dass auch die neue regierungstragende Mehrheit Min-derheitenpolitik nicht als Interessenpolitik, sondern als Ausdruck für das Selbstverständnis des Landes sieht. Wir sehen dies also auch als Bestätigung dessen, was der Ministerpräsident bei dem traditionellen Jahrestreffen der dänischen Minderheit zum Ausdruck brachte. Und wir sehen dies als Fundament für die weitere gute Zusammenarbeit im Bereich der Minderheitenpolitik. 

Besonders positiv ist, dass die Baukostenzuschüsse für den Dänischen Schulverein im nächsten Jahr etwas erhöht werden. Damit kann der Bau der geplanten dänischen Gesamtschule in Süderbrarup schneller vorankommen. Hervorheben möchte ich aber auch, dass die Kürzung beim Nordfriisk Instituut zurückgenommen wurde. Damit wird für diese wichtige kulturelle und sprachliche Arbeit der finanzielle Status Quo erhalten. Beim Nordfriisk Instituut ging es aus Sicht des SSW auch um die Gleichstellung des Instituts mit anderen wissenschaftlichen Institutionen im Land und darum, zumindest einen teilweisen Ausgleich für die Personalkostensteigerungen zu erreichen.

Allerdings sind mit diesen Beschlüssen noch lange nicht alle akuten Probleme in der Minderheitenpolitik gelöst. Vor allem die Gefahr von Schulschließungen ab 2007 ist noch nicht gebannt, denn die fehlende Gleichstellung bei den Schülerkostensätzen und die Unterfinanzierung der Schülerbeförderung bleiben weiter bestehen. Für den Haushalt 2006 ist das Mögliche herausgeholt worden, die Lösung dieser Probleme muss aber weiterhin ganz oben auf der landespolitischen Agenda stehen.

Auch in der Vergangenheit hat sich der SSW immer recht konkret zum Haushaltsentwurf der Landesregierung verhalten, denn aus unserer Sicht muss die politische Auseinandersetzung über die Einzelpläne laufen. Wir stehen für ein Parlamentsverständnis, wonach auch die Opposition aktiv in die Haushaltsberatungen eingebunden wird, mit dem Ziel in wichtigen Fragen eine breite Mehrheit zu erreichen. Der SSW versteht Haushaltsberatungen vor diesem Hintergrund als Verhandlungen, in denen – bildlich gesprochen - von einem Geben und Nehmen auszugehen ist. Unserer Auffassung nach kann es nicht darum gehen, einen Alternativhaushalt aufzustellen, sondern Einfluss auf den Entwurf der Landesregierung auszuüben. Wir haben in der Vergangenheit dem Gesamthaushalt zugestimmt, wenn wir uns so zu sagen in ihm wieder finden konnten. Das ist bei diesem Haushaltsentwurf im Bereich der Minderheitenpolitik der Fall und in einigen anderen wichtigen Bereichen, so dass wir dem Gesamthaushalt vom Prinzip her zustimmen können.

Der SSW hat mit dieser differenzierten Vorstellung von Haushaltsberatungen nie einen Blumentopf gewinnen können. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass wir mit dieser Auffassung das Land voran bringen. Dass nur so letztlich die Rolle des Parlaments gestärkt werden kann, ist nach Meinung des SSW eine weitere Folgewirkung. 

Dennoch werden wir nicht allen Einzelplänen zustimmen können. Weder den Umwelt- und Agrarhaushalt noch den Sozialhaushalt werden wir mittragen. Ich will das im Einzelnen erläutern. Im Umwelthaushalt sind wir insbesondere mit der Prioritätensetzung hinsichtlich des Vertragsnaturschutzes unzufrieden. Aus Sicht des SSW wäre es richtig gewesen Vertragsnaturschutz viel stärker zu fördern als im Einzelplan 13 angedacht, weil nur so eine bürgernahe Umsetzung von Naturschutzaufgaben in Zukunft möglich sein wird.

Auch die Kürzungen bei den Entschädigungen für die Stilllegung von Acker- und Grünlandflächen können wir nicht akzeptieren. Diese Entschädigungen sind für viele Landwirte überlebenswichtig, insbesondere für diejenigen, die sich auf Eiderstedt für die Grünlanderhaltung im Rahmen des Vertragsnaturschutzes entschieden haben. Zu guter letzt lehnt der SSW auch die Senkung der Zweckbindung bei den Einnahmen der Grundwasserentnahmeabgabe von 75% auf 65% ab. Die Einnahmen der GRUWAG sollen nicht der Haushaltskonsolidierung dienen, sondern gezielt für höhere Entschädigungen bei Nutzungsbeschränkungen im Rahmen des Vertragsnaturschutzes und des Programms Natura 2000 sowie für forstliche Förderungen genutzt werden. Für den SSW steht fest, dass eine aktive Umweltpolitik eine wichtige landespolitische Aufgabe bleiben muss. Den Beweis dafür, dass die Landesregierung dieses auch so sieht, ist sie uns noch schuldig.

Auch den Einzelplan 10 sehen wir kritisch. So soll u.a. bei der Aids-Hilfe, der Familienerholung und bei den freien Wohlfahrtsverbänden gekürzt werden. Die Höhe der Einsparungen rechtfertigt hier nicht den Schaden den diese Kürzungsvorschläge vor Ort anrichten. Ich möchte allerdings ausdrücklich die Bemühungen der regierungstragenden Fraktionen loben, bei den Beratungsstellen „Frau und Beruf“ zu einer akzeptablen Lösung zu kommen.

Der Hauptgrund dafür, dass der SSW den Einzelplan 10 ablehnt, hängt aber inhaltlich gesehen mit Artikel 8 des Haushaltsstrukturgesetzes und der damit verbundenen Neuordnung des SGB XII – also der Eingliederungshilfe – zusammen. Es geht um 600 Mio. Euro im Bereich der Neuordnung der Eingliederungshilfe.

Grundsätzlich ist es zwar richtig, die Eingliederungshilfe für Behinderte an die Kommunen zu übertragen, weil so die Entscheidungs-, Durchführungs- und Finanzverantwortung in einer Hand liegt. Dennoch sehen wir den vorliegenden Entwurf der Landesregierung kritisch. Zum einen ist es problematisch, dass es im Gesetzesentwurf keine landesweiten Standards gibt, weil damit keine einheitliche Leistungsgewährung der Eingliederungshilfe die behinderten Menschen gesichert ist. Zum anderen teilen wir die Kritik, dass die Finanzierung der Kommunalisierung in Teilen nicht gesichert ist.

So sieht es zumindest der Schleswig-Holsteinische Landkreistag, der in seiner Stellungnahme den jetzigen Gesetzentwurf ablehnt. Der Landkreistag verweist darauf, dass der wahrscheinliche Kostenzuwachs im ambulanten Bereich der Eingliederungshilfe ohne jede Risikobegrenzung zum Ruin der Kreishaushalt führen würde. Aufgrund der dramatischen Haushaltslage haben die Kreise bereits heute einen flächendeckenden Einstellungs- und Beförderungsstopp. Eine Durchführung zusätzlicher Aufgaben durch die Kreisverwaltungen wäre ohne entsprechenden Ausgleich der Personalkosten nicht möglich.

Da das SGB XII erst am 1.1.2007 in Kraft treten soll, wäre es aus Sicht des SSW am vernünftigsten, wenn man das Gesetzgebungsverfahren erst einmal vertagen würde, die Landesregierung gemeinsam mit allen kommunalen Landesverbänden eine Lösung des Kostenausgleichs herbeiführen kann. In diesem Sinne hat sich Ministerpräsident Peter Harry Carstensen in einem Brief an den Landkreistag zwar auch geäußert, aber anstatt nachzubessern, wäre es doch in diesem Fall besser vorzusorgen. Es geht schließlich um die Belange unserer behinderten Mitbürgerinnen und Mitbürgern, auf deren Rücken wir diesen Streit auf keinen Fall austragen dürfen. Wir lehnen Artikel 8 des Haushaltsstrukturgesetzes in seiner jetzigen Form ab und werden damit dem Einzelplan 10 nicht zustimmen.

Ich fasse zusammen: der SSW wird bei der Schlussabstimmung dem Gesamthaushalt für 2006 zustimmen. Das ist keine Entscheidung, die wir per Knopfdruck abberufen haben – etwa nach dem Motto, dass dies ein gewohnheitsrecht sei. Lassen Sie mich daher zuletzt noch einmal die dänische Karte spielen: gestern hat das dänische Folketing nach zum Teil sehr kontroversen Debatten den Haushalt für das kommenden Jahr beschlossen – mit großer Mehrheit; also auch mit dem Stimmen der größten Oppositionspartei. Dieser guten skandinavischen Tradition schließt sich der SSW trotz einiger Bauchschmerzen an.

  

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