Rede · Flemming Meyer (2009–2020) · 25.01.2007 Leukämiefälle im Raum Geesthacht / Elbmarsch

 
Wenn ein Kind plötzlich an Leukämie erkrankt, ist dies für die Angehörigen ein schwerer Schlag und eine enorme Belastung. Für alle Betroffenen ist dies eine kummervolle Zeit, da der Ausgang der Krankheit nicht vorhersehbar ist. Die Frage der Heilungschancen ist hierbei oft verbunden mit leidvollen Chemotherapien. Selbst bei einem Genesungsprozess kommen immer wieder Fragen auf wie, trägt das Kind einen Schaden davon oder wie hoch ist die Rückfallgefahr? Und irgendwann taucht die Frage auf, warum erkrankt ein Kind an Leukämie?

Dass diese Frage bei den Eltern in der Samtgemeinde  Elbmarsch und im Raum Geesthacht in den letzten Jahren häufig gestellt wurde und zu Verunsicherungen führt, ist verständlich, angesichts der häufigen Leukämieerkrankungen bei den dortigen Kindern.

Ende September letzten Jahres ist wieder ein Kind aus Geesthacht an Leukämie erkrankt. Damit sind im Zeitraum von 1990 bis 2006 mittlerweile bei insgesamt 16 Kindern unter 15 Jahren Leukämieerkrankungen gemeldet worden. Aufgrund der Häufigkeit bei Kindern in einem bestimmten Zeitraum und in einer bestimmten Region, spricht man hierbei von einem Leukämie-Cluster. Das Deutsche Kinderkrebsregister geht davon aus, wenn man die durchschnittliche Erkrankungsrate zu Grunde legt, dann wären fünf statt 16 Kinder an Leukämie in der Elbmarsch und Geesthacht erkrankt.

Dem Bericht der Landesregierung ist hierbei zu entnehmen, dass es immer wieder in verschiedenen Teilen der Welt derartige Clusterbildungen gegeben hat - häufig im Zusammenhang mit Leukämieerkrankungen. Untersuchungen in den USA haben jedoch keine Ursachen für diese Häufungen ergeben.
Für die Betroffenen möchte ich klarstellen, dass diese Aussage wenig hilfreich ist. Sie kann daher nur zu einer rationalen Klärung herangezogen werden. Angesichts der Häufigkeit der Leukämieerkrankungen bei Kindern in der Elbmarsch und in Geesthacht, ist davon auszugehen, dass das dortige Cluster in seinem Umfang auch weltweit auffällig ist.

Da diese ungewisse Situation über die Ursachen der Erkrankungen niemanden kalt lassen kann, wurden bereits frühzeitig mehrere Untersuchungen von den Ländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen bezüglich Leukämie in der Elbmarsch in Auftrag gegeben. Dem Bericht ist zu entnehmen, dass insgesamt 17 Studien im Zeitraum von 1992 bis Ende November 2005 durchgeführt wurden. Sowohl Schleswig-Holstein als auch Niedersachsen haben Expertenkommissionen eingesetzt, die zahlreiche potentielle Ursachen für die Leukämieerkrankungen untersuchen sollten. Dazu zählten unter anderem radioaktive Strahlenbelastungen sowie epidemiologische Untersuchungen. Darüber hinaus wurden auch natürliche Gegebenheiten wie beispielsweise Wasser, Boden oder Luft und Nahrungsmittel untersucht. Doch keine der durchgeführten Untersuchungen lieferte eine wissenschaftlich fundierte Erklärung für die Ursache der Häufung kindlicher Leukämien in dieser Region.

Dass diese Ungereimtheiten Spielraum für Spekulationen schaffen, hat sich mittlerweile bestätigt. So gibt es Wissenschaftler und Studien, die den Zusammenhang zwischen dem Atomreaktor oder dem Forschungszentrum Geesthacht GmbH (GKSS) und den Leukämiefällen bestreiten. Andere wiederum äußern den Verdacht, radioaktive Strahlung könnte die Ursache für die Erkrankungen sein. Und der Höhepunkt war in diesem Zusammenhang die Ämterniederlegung von insgesamt sechs Mitgliedern der Leukämiekommission im November 2004, mit dem Vorwurf der Verschleierungstaktik von Seiten der damaligen Landesregierung.

Solche Vorwürfe tragen nicht zu einer Problemfindung und sachlichen Lösung bei. Derartige Schlammschlachten erwecken eher den Anschein, dass es sich bei den gegenseitigen Schuldzuweisungen manchmal um gekränkte akademische Eitelkeiten handeln könnte. Als Laie in Sachen medizinische Untersuchungen will ich mich nicht an der Kritik um Hypothesen und Forschungsmethoden beteiligen. Hier erwarte ich von der Landesregierung, dass sie die nach ihrem Ermessen besten unabhängigen Wissenschaftler für die Studien heranzieht.

Auch wenn kein kausaler Zusammenhang zwischen den Leukämiefällen und dem Kernkraftwerk Krümmel oder dem Forschungszentrum nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen festzustellen ist, beschleicht einen aber trotzdem dieser Verdacht. Und eben dieser Verdacht lässt die Bevölkerung in der Region auch nicht zur Ruhe kommen. Deshalb sind wir der Auffassung, dass die Untersuchungen nicht gestoppt werden dürfen, bevor der schlüssige Beweis vorliegt, dass das AKW oder das GKSS nichts mit den Leukämiefällen zu tun haben, oder andere Ursachen für die häufigen Erkrankungen gefunden werden konnten. Auch wenn bisher keine Zusammenhänge wissenschaftlich belegbar sind, können wir letztendlich nicht ausschließen, dass sie vorhanden sein können. Denn an puren Zufall mag niemand denken und kann uns auch nicht befriedigen.

Im Zusammenhang mit dem Kernkraftwerk warten wir noch gespannt auf die Ergebnisse der Fall-Kontrollstudie des Deutschen Kinderkrebsregisters in Mainz, die im Frühjahr dieses Jahres vorgelegt werden sollen. Denn dort befasst man sich unter anderem mit der Fragestellung, ob die Nähe eines Wohnortes zu einem westdeutschen Kernkraftwerk einen Risikofaktor für das Entstehen von Krebserkrankungen im Kindesalter darstellt. Darüber hinaus wird untersucht, ob auch andere Risikofaktoren vorliegen.
Auf dieser Studie wird dann in diesem Jahr weiter aufgebaut. Hierbei werden neue genetische und molekularbiologische Verfahren herangezogen, mit deren Hilfe man sich erhofft, die Ursachenforschung und Leukämietypen gezielter eingrenzen zu können.

Ebenso von Bedeutung ist das seit 20 Jahren beim Robert-Koch-Institut geführte bundesweite Krebsregister - „Dachdokumentation Krebs“ - und das schleswig-holsteinische Krebsregister. Durch einen Abgleich der beiden Register verspricht man sich eine fundierte Ursachenforschung, um eine effektivere Vorbeugung von Krebserkrankungen möglich machen zu können. Bei einem ersten und bisher einzigen Abgleich des Robert-Koch-Institutes von 1999, konnte leider kein Abgleich mit dem schleswig-holsteinischen Krebsregister durchgeführt werden, da sich das Krebsregister seinerzeit noch im Aufbau befand. Mittlerweile sind sechs Jahre ins Land gegangen und es hat noch keinen Abgleich mit dem schleswig-holsteinischen Krebsregister stattgefunden. Dies ist mehr als bedauerlich, denn der Datenabgleich ist erforderlich, damit Krankheitsursachen gezielt untersucht werden können. Hier muss die Landesregierung dringend nachhaken.

Der von der SPD kürzlich eingebrachte Vorschlag, zur Untersuchung der rätselhaften Häufung von Leukämiefällen in der Elbmarsch eine gemeinsame Anhörung der Sozialausschüsse des niedersächsischen Landtages sowie der Hamburgischen Bürgerschaft durchzuführen, findet auch die Unterstützung des SSW. Denn es macht noch mal deutlich, dass wir in Schleswig-Holstein nicht allein mit dem Problem dastehen.

Eine gemeinsame Anhörung insbesondere mit den Kollegen in Niedersachsen kann auch dazu beitragen, Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Vorgehensweisen und Untersuchungsmethoden aus dem Weg zu räumen. Schließlich handelt es sich hierbei um ein Problem, dass länderübergreifend ist. Und nur, wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen, können wir den Menschen in der Elbmarsch deutlich machen, dass das Problem von Seiten der Politik ernst genommen wird. Gegenseitige Kritik und Missverständnisse helfen hier nicht weiter. Wir müssen klären, wie wir künftig gemeinsam und länderübergreifend das Problem angehen können.

Für den SSW haben die Sorgen der Menschen in der Elbmarsch den absoluten Vorrang. Wir müssen die Ängste und Bedenken der Leute vor Ort ernst nehmen. Daher dürfen mit den Untersuchungen zu den Leukämiefällen solange nicht aufhören, bis wir einen schlüssigen Beweis für die Ursachen der häufigen Leukämieerkrankungen haben. Nur so werden wir unserer Verantwortung denjenigen gegenüber gerecht, die sich um die Gesundheit ihrer Kinder und um die eigene Gesundheit große Sorgen machen.

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