Rede · Flemming Meyer (2009–2020) · 11.12.1996 Musikunterricht und Musikerziehung

Einerseits kann man von der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der CDU-Fraktion enttäuscht sein. Sie ist teilweise recht vage und nicht sonderlich erschöpfend. Andererseits kann man Antworten aber auch nur auf Fragen erhalten, die man gestellt hat. Wir hätten uns hier eine etwas breitere Perspektive gewünscht.

Ich wage ja immer gerne einen Blick über die nördliche Grenze. Dort geht man eine Bestandsaufnahme anders an.
Sønderjyllands Amt hat beispielsweise eine Broschüre unter dem Motto „Kultur in den 90´ern, Perspektiven - Ideen - Status“ herausgegeben. Sie dient verschiedenen Zwecken. Bürgerinnen und Bürger erhalten die Möglichkeit, sich über das vorhandene Angebot zu informieren. Außerdem sind in der Broschüre Verbesserungsvorschläge für die Kulturpolitik enthalten. So kann man zum Beispiel im Bereich Musik den Vorschlag einer besseren Zusammenarbeit der Musikschulen finden.
Wir meinen, daß im Zusammenhang mit einer Bestandsaufnahme das Aufzeigen von Perspektiven immer wichtig ist. Sicher kann das nicht im Rahmen der Beantwortung einer Anfrage geschehen. Vielleicht wäre dies aber ein guter Ausgangspunkt für eine fruchtbare Auseinandersetzung mit dem Musikunterricht und der Musikerziehung in unserem Lande, die unbedingt geführt werden muß.

Der verhältnismäßig geringe Stellenwert des Musikunterrichts in den Schulen ist nicht zu leugnen. Der SSW ist der Auffassung, daß den kreativen Fächern künftig ganz grundsätzlich eine größere Bedeutung zukommen sollte. Dabei sollte der Musikunterricht nicht isoliert als eine reine Vermittlung von kulturellem Wissen betrachtet werden.

Um sich in einer Gesellschaft ausdrücken zu können, muß der Mensch bestimmte Ausdrucksformen erlernen. Kulturelle Techniken können die hierzulande üblichen Kommunikationsformen bereichern. Zu diesen Kulturtechniken gehören Theater, Musizieren, Gesang und Tanz. Andere Kulturen haben diese Ausdrucksformen längst als natürliche Bestandteile in die Erziehung aufgenommen.
Von Bekannten habe ich gehört, daß angehende Musiklehrer seit Jahren nach Ungarn fahren, um dort an Ort und Stelle zu erleben, wie die Einbeziehung der Möglichkeiten musischen Denkens den gesamten Schulunterricht fördert und niveaumäßig anhebt.
An Allgemeinbildenden Schulen in Ungarn erhalten die Schüler täglich zwei Stunden Musik- und Gesangsunterricht. Instrumentalisten erhalten mehrere Unterrichtswochenstunden. Bei uns liegt der Durchschnitt bei 45 Minuten in der Woche. Vor allem in der Grundschule ist die Reduzierung des Musikunterrichts auf einen so geringen Zeitraum bedenklich. Sie mag noch bedenklicher erscheinen, wenn Lehrkräfte neigungsbedingt unterrichten. Solche Lehrkräfte haben keine qualifizierte Ausbildung. Die Qualität des neigungsbedingten Unterrichts möchte ich hier aber nicht abschließend beurteilen.
Auf dem Hintergrund der aktuellen Schreckensmeldungen über die motorischen Schwierigkeiten vieler Kinder könnte Musik unter anderem auch im Zusammenhang mit rhythmischen Übungen ein geeignetes Mittel zur Verbesserung dieses Zustandes sein. Musik ist also mehr als die Vermittlung kultureller Güter.

Das große Gespenst, gegen das wir alle ankämpfen müssen, ist das Vorurteil, Musik diene lediglich der Unterhaltung. Wir leben in einer Konsumgesellschaft, vergleichbar einem großen kalten Buffet. Jeder nimmt sich das, was er möchte. Das Wort Kreativität hat hier einen niedrigen Stellenwert. Gerade Kreativität ist aber eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, daß wir unsere Gesellschaft sinnvoll erneuern und fortlaufend weiterentwickeln können. Kreativität erfordert Phantasie und die Fähigkeit, träumen zu können. Diese Fähigkeit haben viele Menschen verloren. Sie lassen sich lieber passiv berieseln.

Fast alle in der Antwort zur Großen Anfrage benannten Musikschulen verlangen nach besseren Instrumenten, besser ausgebildeten Lehrern, besseren Räumlichkeiten und vielem mehr.
Wir hoffen deshalb, daß die Landesregierung dem Thema künftig einen höheren Stellenwert beimessen wird. Gleichzeitig sind wir auf dem Hintergrund mehrerer Großer Anfragen im kulturpolitischen Bereich der Meinung, daß wir die angeschnittenen Themen einer breiten Diskussion zuführen sollten. Wenn alle Antworten auf Große Anfragen in diesem Bereich vorliegen, könnte es sinnvoll sein, diese noch einmal vereint zu diskutieren. Das könnte sowohl im Landtag - aber auch auf Ausschußebene geschehen.

Weil wir dafür eintreten, den Musikunterricht und die Musikerziehung einer breiteren Betrachtungsweise zuzuführen, halten wir den Antrag der Fraktion der F.D.P. nicht unbedingt für sinnvoll. Was nützen uns im Endeffekt genaue Daten zum Unterrichtsfehl im Fach Musik. Ist es nicht sinnvoller, daß wir uns mit gemeinsamen Kräften darum bemühen, dem Musikunterricht einen größeren Stellenwert zukommen zu lassen, als uns parteipolitisch gegenseitig zu bekriegen? Damit verhelfen wir dem Musikunterricht in Schleswig-Holstein jedenfalls nicht zu mehr Qualität.

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