Rede · Flemming Meyer (2009–2020) · 22.02.2001 Neue Wege in der Drogenpolitik

Die Drogenpolitik ist in eine Sackgasse geraten - und das schon ziemlich lange. Bisher ist aber niemand gewillt gewesen, neue Wege zu beschreiten, weil man Angst hatte, Wählerstimmen zu verlieren. Wir sitzen aber nicht in Parlamenten um wiedergewählt zu werden, sondern um politische Probleme zu lösen!


Repressive Drogenpolitik nützt wenig...

Es muss unbedingt etwas getan werden, denn die Bilanz der Drogenpolitik ist verheerend:
1. Das Drogenangebot ist so vielfältig und leicht verfügbar wie noch nie. Die Strafverfolgungsbehörden leisten Großes um den Markt auszutrocknen. Aber dem illegalen Drogenhandel geht es trotzdem bestens. Wir werden nie so viel beschlagnahmen können, dass dadurch der Drogenkonsum gestoppt wird.
2. Der Drogenkonsum ist in den letzten Jahrzehnten weiter gestiegen, ohne dass die repressive Politik einen Schritt weiter gekommen wäre. Mittlerweile haben über 25 % der westdeutschen Bundesbürger zwischen 18 und 29 Jahren eine illegale Droge probiert. Nichts deutet darauf hin, dass diese Zahl durch die jetzige Drogenpolitik wieder gesenkt werden könnte – im Gegenteil.

Es ist also nicht zuviel gesagt, wenn man behauptet, dass das strikte Betäubungsmittelgesetz seine Ziele sehr begrenzt erreicht hat. Die Bestrafung macht ja nur Sinn, wenn man dadurch den Strom der Drogen ins Land unterbrechen kann, oder wenn man junge Menschen davon abschrecken kann, Drogen zu nehmen. Heute sind Drogen aber mittlerweile sogar in den ländlichsten Gegenden verfügbar, und sie werden gekauft.


...aber schadet viel

Aber als ob das nicht genug wäre, hat das strenge Drogenverbot nicht nur nicht gewirkt, es hat auch noch großen Schaden angerichtet. Alles das, was man sich allgemein furchtbares unter Drogenabhängigkeit vorstellt, kommt in den meisten Fällen nicht von den Drogen selber, sondern vom Verbot und der Verfolgung der Drogenkonsumenten: die gesundheitlichen Schäden der Drogenkonsumenten, ihre Verelendung, die Beschaffungskriminalität, riskanter Drogenkonsum – alles das sind keine Eigenschaften bestimmter Drogen, sondern hängt mit den illegalen Lebensumständen zusammen. Sie haben also weniger mit Drogenabhängigkeit zu tun, als mit der Drogenpolitik.

Und als ob das nicht alles genug wäre, sitzt da noch der illegale Drogenhandel und lacht sich ins Fäustchen. Ohne das Verbot könnten sie nicht extreme Gewinne absahnen für dreckige Drogen. Das Drogenverbot ist die wichtigste Geschäftsgrundlage für die organisierte Kriminalität. Je stärker man Drogenhandel und -konsum staatlich verfolgt, desto mehr verdient die Drogenmafia daran.

Eine wirklich verheerende Bilanz einer gut gemeinten Politik: Drogenpolitik kann nicht vom Drogenkonsum abhalten, die Verfolgung von Drogenkonsum richtet viel Schaden an und zudem wird auch noch die organisierte Kriminalität staatlich fettgemästet. Das sind genug Gründe, um sich zu überlegen, ob man mit einer weniger harten Politik vielleicht nicht mehr erreichen kann.

Es liegt wirklich nahe zu fragen, ob weniger Härte zu weniger Drogenproblemen führen könnte. Es mag absurd klingen, aber erst in dem wir etwas von der strafrechtlichen Kontrolle aufgeben, gewinnen wir die Kontrolle über das Drogenproblem wieder. So lange wir alles ohne Unterschied verbieten, können wir auch nicht anders eingreifen, als die Polizei loszuschicken oder Therapie gerichtlich zu erzwingen. Wenn dieses nicht hilft - und das tut es offensichtlich nicht - dann sind wir machtlos. Wir wollen aber die Drogenpolitik wieder zurück in die Politik holen. Wir wollen wieder was tun können, weil die jetzige Politik offensichtlich nicht funktioniert. Das können wir aber nur, wenn nicht alles von vornherein verboten ist.


Neue Wege

In der Drogenpolitik wurde ein falscher Weg eingeschlagen. Lange Zeit haben aber die wenigsten gewagt, die Scheuklappen abzulegen und nüchtern nach Alternativen zu gucken. Wer es doch tat, wer sich um die Wirklichkeit unserer Jugendlichen mehr kümmerte als um die angeblich einzig richtige Moral, wurde als „bekifft“, unverantwortlich oder sogar als Mörderin der Kinder beschimpft. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass wir heute erst vorsichtig erkunden müssen, welche neuen Wege gangbar sind. Viele der Alternativen sehen erfolgversprechend aus. Mittlerweile haben auch die meisten Experten erkannt, dass wir eine neue Politik brauchen - und entsprechende Modelle entwickelt. Dieses sind aber Wege, die mit weniger strafrechtlicher Verfolgung auskommen. Im Moment sind uns diese Wege noch völlig versperrt. Das wollen wir ändern, denn wir müssen unbedingt weiter kommen.

Das heißt aber bestimmt nicht, dass wir jetzt irgendwelche Drogen freigeben wollen. Darum geht es gar nicht. Aber es gibt zwischen dem totalen Verbot und der Legalisierung doch noch unendlich viele Zwischenstufen. Es geht uns darum, das Verbot ein bisschen mehr zu lockern, um zu sehen, ob wir damit nicht letztlich weniger Drogenprobleme haben. Denn weniger Repression heißt eben nicht nur, dass der Verfolgungsdruck entfällt, sondern auch, dass neue Formen der Vorbeugung und der Hilfe erst möglich werden. Wir sind da ganz zuversichtlich, denn bisherige Erfahrungen im Ausland sind positiv. Wir reden hier aber über kleine kontrollierte Schritte in eine neue Richtung. Wie groß die Schritte sein dürfen, hängt letztlich von der Gefährlichkeit einer Substanz ab.

Die Drogenpolitik kann nur glaubhaft bleiben, wenn sie die Drogen gleich behandelt, die gleich gefährlich sind. Wenn wir feststellen, dass Cannabis nicht gefährlicher ist als Alkohol, dass Hasch auch nicht der erste Schritt zu harten Drogen ist, dann müssen wir die Drogenpolitik wieder ins Lot bringen. Das müssen wir aber in kleinen Schritten ausprobieren. Es wäre verantwortungslos, Haschisch von einem Tag auf den nächsten freizugeben. Da kann niemand sagen, was da passiert. Wir müssen uns aber gemeinsam gut überlegen, wie wir unter kontrollierten Formen die Drogenpolitik ins Lot bringen. Ansonsten können wir Kinder und Jugendliche nicht wirklich glaubhaft vor Drogen warnen, die sehr gefährlich sind. Drogenpolitik muss logisch sein, sonst wirkt sie nicht.

Und Drogenpolitik muss nüchtern sein. Es geht hier nicht um Moral, sondern es geht um die Gesundheit von Menschen. Drogenkonsumenten sind keine schlechteren Menschen. Wer Menschen, die Drogen nehmen, nur mit der Moral beurteilt, hilft niemanden. Eben deshalb müssen wir weg von der Dominanz des Strafrechts. Dadurch geben wir gerade nicht Menschen auf oder bringen sie in Gefahr. Nein, im Gegenteil. Wir gehen auf sie zu, wir unterstützen sie, wir schützen sie und bieten ihnen soviel Hilfe wie möglich an - statt sie zu jagen und aus unserem Blickfeld zu vertreiben. Nur so können wir verhindern, dass es unseren Kindern und Jugendlichen schlimm ergeht.


Bundesregierung kneift

Die Parteien, die in der Bundesregierung sitzen, haben das auch längst erkannt. Als sie die Mehrheit im Bundesrat hatten, haben die roten und rot-grünen Landesregierungen zahlreiche Initiativen zur Änderungen des Betäubungsmittelgesetzes in den Bundestag eingebracht. Als sie im Bundestag noch in der Opposition waren, haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen in zahllosen Gesetzentwürfen und Anträgen Forderungen aufgestellt, die noch weit über den vorliegenden gemeinsamen Antrag hinausgehen. Diese Politik ist aber leider etwas in Vergessenheit geraten, nachdem man 1998 die Regierung in Berlin übernommen hat. Diese bisher ergriffenen Maßnahmen betreffen nur einen sehr, sehr kleinen Teil der Konsumentinnen und Konsumenten von illegalen Drogen – nämlich die, die vollkommen verelendet sind. Es wird leider nicht genügend unternommen, um zu verhindern, dass es erst zu Problemen kommt. Das kann man nur wirksam tun, wenn man die Strafverfolgung lockert und noch stärker auf andere Formen der Drogenpolitik setzt.

Drogenpolitik ist ein brisantes Thema. Wer dieses heiße Eisen anfasst, läuft Gefahr, beim Wähler anzuecken. Deshalb ist es für Politiker natürlich einfacher, einfach so weiter zu machen wie bisher. Damit lässt man aber die Menschen in Stich. Man opfert die Drogenabhängigen und diskriminiert die Drogenkonsumenten. Und man nimmt auch in Kauf, dass alle Bürgerinnen und Bürger von Beschaffungskriminalität und Infektionskrankheiten bedroht werden. Die Kosten für diese gescheiterte Drogenpolitik zahlen wir alle! Trotzdem ist für die Bundesregierung die eigene Popularität – bösartige Zungen würden sagen: der Populismus – offensichtlich wichtiger als die Lösung der Probleme. Die Regierung muss aber bald etwas tun. Sonst macht sie sich mitschuldig an den Drogentoten, an dem Drogenelend und an dem Ausschluss von ganz normalen jungen Menschen aus unserer Gesellschaft.


Gemeinsamer Antrag

Wir freuen uns deshalb sehr, dass eine große Mehrheit in diesem Hause ebenso wie wir endlich Taten sehen wollen. Wir bedanken uns bei den Kolleginnen und Kollegen der SPD, der F.D.P. und der Grünen für die Zustimmung zu einem gemeinsamen Antrag.

Wir wollen mit den ersten beiden Punkten erreichen, dass schnell etwas geschieht. Modellversuche mit den Drogen aus der Anlage I des Betäubungsmittelgesetzes müssen endlich möglich sein, sonst kommen wir nicht weiter. Wir schlagen vor, dass den Ländern die Möglichkeit eingeräumt wird, Modellversuche mit diesen Substanzen durchzuführen. Dies ist ein erster kleiner Schritt, der sehr behutsam gewählt ist. Alle werden verantwortungsvoll damit umgehen können. Außerdem wollen wir, dass die Gefangenen in allen Gefängnissen des Landes Hilfe bekommen, um aus der Abhängigkeit auszusteigen. Da gibt bisher leider eine uneinheitliche Praxis.

Die Punkte 3 und 4 sollen als Grundlage für eine weitere Debatte dienen. Wir müssen eine gemeinsame Bestandsaufnahme machen, um zu sehen, wie wir in den drei Feldern der Drogenpolitik – der Prävention, der Drogenhilfe und dem Strafrecht – weiterkommen. Es geht darum, bestehende Angebote abzusichern, sie zu verbessern und zu sehen, was wir vielleicht noch zusätzlich leisten können.

Ich danke für die sachliche Aufnahme unserer Initiative und freue mich auf die Zusammenarbeit im Ausschuss.

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