Rede · Jette Waldinger-Thiering · 23.05.2024 Noch mehr Bildschirmzeit ist keine Lösung

„Viele Fähigkeiten sowie soziale und praktische Fertigkeiten können nicht ausreifen, wenn die Schülerinnen und Schüler zu viele Stunden vor dem Bildschirm verbringen. Die Bildschirmzeit wird aber mit dem Einsatz Künstlicher Intelligenz, wie von der SPD gefordert, noch weiter zunehmen.“

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 25 - KI im Schulalltag (Drs 20/2105)

Der vorliegende Antrag erinnert mich an die Idee der Flugtaxis. Dieses Verkehrsmittel ist bekanntlich eine Antwort auf den Verkehrs-Kollaps in den Großstädten, richtet sich allerdings ausschließlich an die Reichen, die sich solche Taxis leisten können. Technisch sind Flugtaxis zudem noch nicht einmal im Ansatz umsetzungsreif. Vor allem sind Flugtaxis eines; und zwar eine Kapitulation. Eine Kapitulation vor den urbanen Verkehrsproblemen. Die Befürworter der Flugtaxis tun nicht einmal mehr so, als ob sie Probleme der Verschmutzung, Lärmbelästigung oder Staus lösen wollten. 
Genauso sehe ich den Antrag: der Antrag fordert unter anderen, intelligente Tutorsysteme als Selbstverständlichkeit in den Schulalltag zu integrieren, während von Schulen nutzbare Intelligente Tutorsysteme tatsächlich eine Seltenheit auf dem Markt sind und der flächendeckende Einsatz Zukunftsmusik ist, worauf die Bundeszentrale für politische Bildung erst im Januar hinwies. Darüber hinaus steht an vielen Schulen noch nicht allen Schülerinnen und Schüler ein verlässliches Endgerät zur Verfügung, um solche Systeme zu nutzen. Damit entpuppt sich der Antrag als Luftschloss. 
Bevor wir über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Schule und Unterricht abstimmen, rate ich, einen Schritt zurückzutreten, um das Gesamtbild zu betrachten. Schauen wir dazu nach Dänemark, wo derzeit schulartenübergreifend die Bildschirmzeiten im Unterricht spürbar gesenkt werden. Viele Fähigkeiten sowie soziale und praktische Fertigkeiten können nicht ausreifen, wenn die Schülerinnen und Schüler zu viele Stunden vor dem Bildschirm verbringen. Die Bildschirmzeit wird aber mit dem Einsatz Künstlicher Intelligenz, wie von der SPD gefordert, noch weiter zunehmen. 
Da Lesefertigkeiten in Dänemark dramatisch zurückgegangen sind, geht der Trend zurück zum Buch. Das sind aktuell die Konsequenzen in Dänemark, wo man sehr viele länger schon PC und Tablet in den Unterricht integriert hatte als hierzulande.
Bei diesen Erfahrungen im Kopf möchte ich grundsätzlich werden und verlange Antwort auf folgenden Fragen:
1. Wer hat den Nutzen vom Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Schule? Lehrende, Schülerschaft oder doch nur private Anbieter?
2. Wie werden Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen in die Angebote Künstlicher Intelligenz eingebunden? Oder geht an dieser Schülergruppe die aktuelle Entwicklung vorbei?
3. Wie sieht die Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte aus? Welche konkreten Angebote gibt es an den Hochschulen und am IQSH, die über erste Handreichungen hinaus gehen?
4. Besonders relevant erscheint mir aber vor allem die Frage, ob Künstliche Intelligenz eine Frage des Geldbeutels ist: Nutzen also Schülerinnen und Schüler mit reichen Eltern die Tutorsysteme, während die aus armen Verhältnissen in die Röhre schauen?
Der Antrag greift ein wichtiges Thema auf, das wir im Zusammenhang mit ChatCPT übrigens schon diskutiert haben. Aber inhaltlich und fachlich habe ich erhebliche Einwände. Darum kann ich dem Antrag in der vorliegenden Form nicht zustimmen.

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