Rede · Flemming Meyer (2009–2020) · 27.01.2006 Perspektiven für den Norden Schleswig-Holsteins – Gleichwertige wirtschaftliche und soziale Entwicklung für alle Landesteile

Schleswig-Holstein weist ein starkes wirtschaftliches Nord-Süd-Gefälle auf. Das ist keine neue Erkenntnis, sondern eine seit Jahrzehnten bestehende Tatsache. So werden in den vier an Hamburg grenzenden Kreisen Pinneberg, Segeberg, Stormarn und Lauenburg nach Angaben der HSH Nordbank fast ein Drittel der gesamtwirtschaftlichen Leistungen Schleswig-Holsteins erbracht. Demgegenüber haben der strukturschwache Norden und die Westküste mit hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Die Erwerbslosenquote in der Stadt Flensburg liegt beispielsweise aktuell bei 16,9 Prozent, in Stormarn jedoch nur bei sieben Prozent.

Der SSW hat aber den Antrag „Perspektiven für den Norden Schleswig-Holsteins“ nicht nur auf die Tagesordnung des schleswig-holsteinische Landtages gesetzt, weil wir seit Jahren beobachten, wie die Entwicklung zwischen dem Norden und dem Süden des Landes immer weiter auseinander klafft. Der konkrete Auslöser für diesen Antrag war der von der Landesregierung am 28. November 2005 vorgelegte Bericht „Schleswig-Holstein – ein starker Partner im Norden“, in dem die zukünftige Standortpolitik des Landes dargelegt wird.

Der Inhalt dieses Berichtes rief uns auf den Plan, weil die Landesregierung dort von der vereinfachten Vorstellung ausgeht, dass eine schlichte Erweiterung des Konzeptes für die Metropolregion Hamburg und die Vereinheitlichung der EU-Förderung schon dem ganzen Land hilft. Eine erfolgreiche Standortpolitik für Schleswig-Holstein muss aber auf mehreren Beinen stehen, um allen Regionen im Land gerecht zu werden. Insbesondere hat uns die Ankündigung beunruhigt, dass die Regionalförderung des Landes nach 2007 nicht mehr auf die strukturschwachen Regionen begrenzt sein soll, sondern auf das ganze Land ausgedehnt wird. - Nach dem Motto, wenn es dem Hamburger Rand gut geht, profitiert das ganze Land.
 
Der Norden des Landes hat aber andere Interessen und auch andere Chancen, und diese liegen vor allem im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Um auch dem Landesteil Schleswig eine Perspektive zu eröffnen, muss die Zusammenarbeit mit Dänemark konsequenter und kompetenter als bisher umgesetzt werden. Für den Norden Schleswig-Holsteins ist diese Kooperation DIE entscheidende strategische Perspektive, um Wachstum und neue Arbeitsplätze in der Region zu schaffen. Der SSW fordert deshalb, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Dänemark in Zukunft den gleichen Stellenwert bekommt wie die Zusammenarbeit mit Hamburg. Ein Vertrag zwischen Schleswig-Holstein und der Region Syddanmark mit konkreten Ziele und Vorgaben wäre da hilfreich.

Der SSW hat den Besuch von Ministerpräsident Peter Harry Carstensen in Dänemark und den positiven Empfang seitens des Königshauses und der dänischen Regierung mit besonderem Interesse verfolgt. Für uns spiegelt dieses Treffen auf höchster Ebene die gewachsenen geschichtlichen und geographischen Beziehungen zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark wider. Dabei begrüßt der SSW neben den Aussagen zur  Minderheitenpolitik insbesondere die Ankündigungen des Ministerpräsidenten zu den Verbesserungen bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Ländern.

Damit setzt die Landesregierung endlich auch  Forderungen und strukturpolitische Bedenken des SSW auf die politische Tagesordnung. Wir hoffen somit, dass unser Drängen auf eine gleichwertige, wirtschaftliche und soziale Entwicklung für alle Landesteile jetzt in Kiel erhört wird. Denn bislang hat sich diese Landesregierung bei der Förderung des nördlichen Landesteils nicht besonders hervorgetan. Im Gegenteil: ich brauche nur die Stichworte Science Center in Kiel oder den Ausbau des Husumer Hafens zu nennen, um zu verdeutlichen, wo einige der Konfliktlinien zwischen der Landesregierung und dem SSW gelegen haben. Deshalb ist es umso erfreulicher, dass der Ministerpräsident von seinem Kopenhagen-Besuch voller Tatendrang zurückgekehrt ist.

Dabei sehen wir die Einrichtung eines so genannten Grenzlandfonds im Rahmen des Schleswig-Holstein-Fonds als einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Denn wir haben bereits seit Jahren kritisiert, dass die Mittel im Regionalprogramm nicht mehr wie früher auf die einzelnen strukturschwachen Regionen aufgeteilt waren. Wenn die Landesregierung schon ab 2006 einige Millionen für Arbeits- und Wirtschaftsprojekte im Grenzland aus dem Schleswig-Holstein-Fonds reserviert, kommt sie unseren Forderungen entgegen. 

Auch die Einrichtung von besonderen Beratungszentren für Grenzpendler bei  den Finanzbehörden in Flensburg und Tondern ist eine gute Nachricht für das Grenzland, da somit einige der Informationshemmnisse in der deutsch-dänischen Zusammenarbeit abgebaut werden können. Wobei man darauf achten muss, dass diese Angebote eng mit den bestehenden Informationszentren der Region Schleswig-Sønderjylland in Pattburg verzahn werden.  Weitere konkrete Ergebnisse für die Menschen im Grenzland erhoffen wir uns von der von Bundeskanzler Schröder und Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen eingesetzten Arbeitsgruppe, die am 2. Februar 2006 in Apenrade  unter dem Vorsitz von Bundesstaatssekretär Franz Tönnies und Folketingsmitglied Kim Andersen ihre Vorschläge präsentieren wird.

Dennoch muss ich darauf hinweisen, dass der in Kopenhagen diskutierte Bau der Fehmarnbelt - Brücke im Grenzland weiterhin kaum auf große Freude stößt. Es bleibt unsere Forderung, dass die Fehmarnbelt-Brücke erst gebaut werden darf, wenn die verkehrspolitischen Hausaufgaben für den nördlichen Landesteil erledigt worden sind. Dazu gehört z.B., dass wir endlich die westliche Elbquerung mit Anbindung an die Westküste in Angriff nehmen und dass die Schienenengpässe bei den Hochbrücken Rendsburg und Hochdonn beseitigt werden. Der Norden Schleswig-Holsteins braucht optimale Verkehrsanbindungen bevor die Fehmarnbelt-Brücke kommt.    
 
Trotz der positiven Signale der Landesregierung bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Dänemark bleibt der SSW skeptisch bei der forcierten Zusammenarbeit zwischen Schleswig-Holstein und Hamburg. Wir haben weiterhin die Befürchtung, dass dem Nordstaat nicht zuletzt durch das neue Standortkonzept der Landesregierung durch die kalte Küche den Weg geebnet wird. Das lehnen wir ab. Damit die Wirtschaftspolitik nicht dauerhaft zu Lasten des Nordens geht, muss die Landesregierung die Fusionspläne endgültig begraben.

In den vergangenen Monaten haben sich die Stimmen vermehrt, die einen Nordstaat fordern. Vor allem prominente Vertreter der CDU – wie Landtagspräsident Kayenburg und Wirtschaftsminister Austermann – wollen den Zusammenschluss mit Hamburg. Der regierende Bürgermeister von Hamburg will ihn sogar möglichst schnell und auch unser Kieler Regierungschef hat schon ähnliches verlauten lassen. Nach der Landtagswahl überraschte Peter Harry Carstensen mit der Aussage, dass er sich vorstellen könne, der letzte Ministerpräsident von Schleswig-Holstein zu sein. Aber letzte Woche hat Carstensen nun wieder deutlich gesagt, dass er keinen Nordstaat will. Was soll man jetzt glauben?

Unser Kurs ist da klarer: Der SSW lehnt die Gründung eines „Nordstaates“ ab. Wir sagen ja zu einer starken Zusammenarbeit der norddeutschen Länder bei konkreten Verwaltungsaufgaben. Wir sagen aber nein zu einer Fusion der Bundesländer, weil sie verheerende wirtschaftspolitische Konsequenzen  für den Norden hätte. Als „Juniorpartner“ in einem solchen Gebilde hätte Schleswig-Holstein eine schwächere Ausgangsposition und könnte noch weniger regionale Interessen im nördlichen Landesteil berücksichtigen.

Befürworter des Nordstaats argumentieren vor allem damit, dass Schleswig-Holstein angeblich zu klein ist, um seine Aufgaben als Bundesland ordentlich erledigen zu können. Ein größeres Land kann eine modernere, schlankere Verwaltung haben, glauben sie. Aber wenn die Größe von Estland ausreicht, um EU-Mitglied und Vorzeigeland in Sachen Bürokratieabbau und schlanken Staat zu werden, weshalb sollte Schleswig-Holstein dann zu klein sein, um als Bundesland zu funktionieren?

Auch das Argument, dass dadurch finanzpolitische Probleme behoben werden können, ist mehr als fraglich. Der SSW hat es schon vor meiner Zeit im Landtag gesagt: Zwei Nackte eröffnen doch kein Textilgeschäft. Das, was sich noch einsparen lässt, können wir auch durch eine arbeitsteilige  Zusammenarbeit der Landesregierungen und Landesbehörden erreichen.

Und es gibt noch ein Argument gegen eine norddeutschen Fusion: Aus demokratischer Sicht ginge in einem Nordstaat die Bürgernähe verloren, die immer noch unsere Landespolitik von der Bundespolitik unterscheidet. Eigentlich ist es doch ein Witz: Einerseits wird dem SSW von den großen Parteien vorgeworfen, dass wir die Identität der kleinen Ortschaften zerstören, wenn wir Kommunen mit mindestens 8.000 Einwohnern fordern. Andererseits wollen Politiker aus den-selben Parteien Schleswig-Holstein in ein Norddeutsches Megabundesland eingliedern.

Ein noch größerer Witz ist es, dass ausgerechnet konservative Schleswig-Holsteiner die Grenzen unseres Landes in Frage stellen, wo sie doch immer auf die Einheit Schleswig-Holsteins so viel  Wert  gelegt haben. Dass gerade die Partei der dänischen Minderheit für den Erhalt Schleswig-Holsteins kämpfen muss, ist eine Ironie der Geschichte.

Die Befürworter des Nordstaates denken nur in Verwaltungskategorien und vergessen, dass es hier um Bürger, um demokratische Institutionen und um Identität geht. Genau hier liegt der Fehler bei der Nordstaat-Debatte und  - füge ich in Klammern hinzu - bei der Verwaltungsstrukturreform der Landesregierung: Es geht eben nicht nur um Verwaltung, es geht zuerst um Demokratie. Für uns gilt bei den Ländern das gleiche, wie bei den Kommunen: Wir wollen handlungsfähige und leistungsstarke dezentrale Einheiten, bei der Verwaltung und Politik auf einer Ebene stattfinden.

Wir erwarten daher, dass der Schleswig-Holsteinischen Landtag sich klar und deutlich gegen die Bildung eines Nordstaates ausspricht und nicht weiterhin zulässt, dass sich die Landesregierung diesem Ziel immer weiter durch die Hintertür nähert.

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