Rede · 27.01.2000 Qualitätssicherung in der Pflege

Bisher gelangen die Informationen zwar nur tröpfchenweise an die Öffentlichkeit, aber es ist erschütternd zu hören, welche Mängel die Medizinischen Dienste der Krankenkassen bei ihren Prüfungen gefunden haben. Ich möchte mich davor hüten, beim jetzigen Informationsstand die Befunde zu verallgemeinern. Es scheint aber als wären wir noch Lichtjahre von der ganzheitlichen, aktivierenden Pflege und Betreuung entfernt, die wir uns als Maßstab und Ziel gesetzt haben. Es gibt eine massivere Verunsicherung, vor allem bei unseren älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die so schnell wie überhaupt möglich gelöst werden muss.
Die Unsicherheit ist in den letzten Wochen zusätzlich gewachsen, weil nicht klar ist, wer die Konsequenzen zu ziehen hat. Es ist wenig hilfreich gewesen, dass sehr schnell nach den Veröffentlichungen ein großes Schwarzes-Peter-Spielen begann, um ja die Schuld für die schlechten Befunde wo anders unterzubringen. Dabei wird immer mehr deutlich, dass wohl alle Beteiligten ihre Pflichten nicht erfüllt haben. Viele Träger scheinen nicht zu viel unternommen zu haben, um die Sicherung der Qualität in ihren Einrichtungen zu gewährleisten. Die Kreise und kreisfreien Städte haben die Kontrolle nicht so ausgeübt, wie es sein sollte. Die Gemeinden haben die Sozialhilfeersparnis, die sich aus der Pflegeversicherung ergeben, nicht in die Altenhilfe investiert, wie es das Landespflegegesetz vorschreibt. Die Pflegekassen scheinen den Preis so weit zu drücken, dass angezweifelt werden kann, ob die Anforderungen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln erfüllen lassen. Bisher haben auch sie sich wenig darum gekümmert, dass der Wettbewerb der Einrichtungen nicht nur über den Preis sondern auch über die Qualität stattfindet. Der Bundesgesetzgeber lässt wie auf so vieles andere so auch auf das sehnlich erwartete Heimgesetz und auf Regelungen der Qualitätssicherung warten. Zudem bestehen noch erhebliche Mängel der Pflegeversicherung. Skandlös ist auch, dass es noch immer keine bundeseinheitliche Ausbildungsverordnung gibt, und dass die Heimleiter keine besondere Ausbildung und nur uneinheitliche Zusatzqualifikationen besitzen.
Es sind also viele Menschen, die sich fragen lassen müssen, wie solche Zustände in den Heimen zustandekommen. Nur eine Gruppe von Beteiligten hat jetzt gewiß keine Prügel verdient: Missstände dürfen nicht dem Personal in der Altenpflege angelastet werden, denn es kann niemanden verwundern, dass sie unter den gegebenen Voraussetzungen nicht das Soll erfüllen können. Gefordert wird von diesen Menschen eine optimale medizinische, pflegerische, sozialtherapeutische und hauswirtschaftliche Versorgung - aber bitte möglichst im Minutentakt und zum Nulltarif. Die berufliche Realität sieht aber ein Bisschen anders aus: Hohe Anforderungen aber keine hinreichenden Qualifikationsmöglichkeiten, wenig soziale Anerkennung, eine geringe Bezahlung, geringe Personalschlüssel, nicht erfüllte Fachkraftquoten, keine Supervision trotz starker psychischer Belastungen und hohe Personalfluktuation sind die Realitäten im Altenpflegebereich. Es ist Sache der Politik, der Träger und der Pflegekassen dafür zu sorgen, dass diese Menschen auch wirklich die Qualifikation und die Ressourcen bekommen, die sie benötigen, um den Anforderungen an eine moderne Altenhilfe zu entsprechen.
Angesichts der Berichterstattung in den Medien wird man schwerlich umhin kommen können, möglichst schnell etwas zu unternehmen. Angesichts der vielfältigen Probleme gibt es keine Alternative dazu, die Beteiligten an einen Tisch zu holen, die sich jetzt noch gegenseitig den schwarzen Peter zuschieben. Es scheint, als wäre eine "konzertierte Aktion" der Beteiligten von Nöten, um die vielen Probleme des Pflegebereichs endlich in Angriff zu nehmen, und unseren älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern einen menschenwürdigen Lebensabend zu ermöglichen.

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