Rede · Flemming Meyer (2009–2020) · 23.07.2009 Regierungserklärung zu den Vorkommnissen im Kernkraftwerk Krümmel

Wie schön muss es doch sein, wenn man als Energieversorger einen alten Atomreaktor betreibt, der bereits seit Jahren abgeschrieben ist und der nur noch Geld in Millionenhöhe abwirft. Schöner kann es für den Energieversorger nur noch werden, wenn die Laufzeit seines Reaktors durch politische Entscheidungen noch verlängert wird, obwohl der Reaktor eine Panne nach der anderen einfährt. Das wäre wohl aus Sicht der großen Atomkraftwerksbetreiber in Deutschland der Glücksfall auf Erden. Für uns als SSW gilt, wir werden politisch alles daran setzen, dass dieser Fall nicht eintritt.
Die alten Atommeiler sind nicht so sicher, wie es ihre Betreiber und die politischen Atombefürworter immer gerne darstellen. Insbesondere wird dies am Meiler in Krümmel deutlich. Dort steht der Pannenmeiler der Nation. Er und sein Betreiber machen wieder negative Schlagzeilen wie schon lange nicht. Und dass es in den letzten zwei Jahren nichts über ihn zu lesen gab, liegt nur daran, dass er abgeschaltet war.
Als der Meiler am 19. Juni – nach rund zwei Jahren Reparaturzeit – wieder angefahren werden durfte, wurde der Pannenreaktor nur vier Tage danach seinem Spitznamen wieder gerecht. Man fragt sich, was hat Vattenfall eigentlich in den zwei Jahren gemacht, um den Meiler wieder auf Vordermann zu bringen? Augenscheinlich nichts!

Im Verlauf, seit dem 23. Juni wird deutlich, dass sich nicht nur einige der Ereignisse mit denen von vor zwei Jahren spiegeln, sondern auch das Verhalten von Vattenfall hat sich seit 2007 nicht geändert. Soll heißen, die Kritik an der Informationspolitik von Vattenfall, die nach den Störfällen von 2007 laut wurde, hat nicht gefruchtet. Was hat Vattenfall an seinen Strukturen geändert? Offensichtlich nichts.
Ebenso hat Vattenfall es nicht für notwendig erachtet, bestimmte Vorgaben der Genehmigungsbehörde einzuhalten. Es gibt also auch diesmal Anlass genug, zu hinterfragen, ob nicht durch eine bessere gesetzliche Grundlage für mehr Sicherheit für die Menschen gesorgt werden muss. Dabei spielt die Frage, ob man für oder gegen die Kernenergie ist, keine Rolle. Sicherheit hat Vorrang vor allen anderen Erwägungen.

Die Vorfälle in Krümmel vor zwei Jahren waren für uns als SSW seinerzeit Grund genug zu fordern, dass Betreibern von Atomkraftwerken leichter die Betriebsgenehmigung entzogen werden kann. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass der Atomaufsicht in ihrem Handeln Grenzen gesetzt sind. Frau Trauernicht hatte als Ministerin mit den Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, das Maximum herausgeholt. Denn so war zumindest für 2 Jahre die Gefahr, die von Krümmel ausgeht gebannt. Dafür gebührt ihr unser aller Dank.
Sie hat seinerzeit deutlich gemacht, dass die Hürden für die Versagung einer Betriebsgenehmigung sehr hoch sind. Soll heißen, wenn die internen Abläufe geändert werden – zum Beispiel durch den Austausch von Personal oder durch Veränderung in der Organisation, kann der Betreiber damit deutlich machen, dass er in Zukunft besser arbeiten will und kann. Ob dies dann auch wirklich eintritt, ist nicht wichtig.
Mit der Ankündigung von Vattenfall-Chef Hatakka, jetzt alle Prozesse, technisch und organisatorisch, auf den Prüfstand zu stellen, erschwert Vattenfall der Aufsichtsbehörde wieder einmal die Versagung der Betriebsgenehmigung.

Diese Lücke im Gesetz muss geschlossen werden. Es kann nicht angehen, dass ein Atomkraftwerk bei immer wiederkehrenden Verfehlungen weiter betrieben werden darf. Da stimmt etwas in der Gesetzgebung nicht.
Was wir brauchen ist eine Regelung, die sich auf die Erfahrungen der Vergangenheit bezieht. Wenn die Atomaufsicht nachweisen und dokumentieren kann, dass man in der Vergangenheit seine Atomanlage nicht entsprechend den Bestimmungen betrieben hat, muss sie die Möglichkeit bekommen, aufgrund dieser Vergangenheitswerte die Anlage zu schließen. Genauso muss es möglich sein, die Atomanlagen erst einmal nur befristet weiter zu genehmigen, wenn Verfehlungen aufgetreten sind. Erst dann hat die Atomaufsicht wirklich ein scharfes Schwert in der Hand, um hier zum Wohle der Menschen eingreifen zu können.

Der SSW hat schon gleich nach den letzten Vorfällen in Krümmel im August 2007 einen Antrag gestellt, um das Atomgesetz zu ändern. Damals scheiterte unser Antrag daran, dass die SPD den Koalitionsfrieden erhalten wollte und die CDU sich vollständig unbelehrbar zeigte. In unserem Antrag ging es darum, die Atomaufsicht, wie jede kommunale Gewerbeaufsicht mit einem entsprechenden Instrumentarium zu versehen, damit sie auch eingreifen kann und dauerhaft und nachhaltig für die höchstmögliche Sicherheit bei den Atomkraftwerken sorgen kann. Jede Frittenbude kann bei Unregelmäßigkeiten dicht gemacht werden, nur ein Atomkraftwerk nicht. Hier kann man fröhlich weiter machen wie bisher und dann mussten wir uns in der letzten Sozialausschusssitzung noch von den Vertretern von Vattenfall mitteilen lassen, dass man jetzt auf angeblich „neue“ Kommunikationsmittel setzt. Nachdem ich dort festgestellt hatte, dass ein mit Eimer und Thermometer bewaffneter Rentner über seinen Dorfsheriff und das Innenministerium die Atomaufsicht schneller erreicht hatte als die Betreiber des Atomkraftwerkes es augenscheinlich konnten, wurde mir allen Ernstes entgegnet, dass man jetzt bei Vattenfall über neue Kommunikationsmittel wie SMS nachdenken würde. Da bleibt einem nur die Spucke weg. Erst 42 Minuten nach dem Störfall wird die Atomaufsicht unterrichtet und Vattenfall sagt, wird werden jetzt vielleicht SMS nutzen. Wer so dilettantisch mit dieser riesigen Verantwortung umgeht, muss seinen Laden dicht gemacht bekommen. Deshalb muss wie in unserem Antrag 2007 formuliert und wie nun auch in unserem gemeinsamen Antrag mit SPD und Grünen formuliert, das Atomgesetz geändert werden. Es muss möglich sein, Genehmigungen auch befristet auszusprechen und es muss vor allem auch möglich sein, aufgrund von Vergangenheitswerten die Genehmigung auch zu entziehen.

Die Vorgänge von 2007 waren für uns Grund genug, den Betreiber von Krümmel mehr als in Frage zu stellen. Aus unserer Sicht hätte er schon damals keine zweite Chance verdient gehabt. Und dann wundert man sich schon, über die Aussagen von Ministerpräsident Carstensen, der dem Betreiber nun noch eine Chance zur Reparatur gibt. Und sonst würde Herr Carstensen dafür sorgen, dass Krümmel für immer abgeschaltet werde, sagt er. Starke Worte Herr Ministerpräsident.
Aber mit diesen mächtigen Worten streuen Sie, den Menschen in Schleswig-Holstein nur Sand in die Augen – indem Sie so tun, als hätten Sie alles im Griff. Herr Carstensen, wie lange wollen Sie sich denn eigentlich noch von Vattenfall auf der Nase herumtanzen lassen. Vattenfall hat nicht nur in Deutschland mehrmals bewiesen, dass man nicht in der Lage ist, Atomkraftwerke vernünftig zu betreiben. Ich fordere Sie auf, schaffen sie endgültige Sicherheit in Krümmel indem die gesetzliche Grundlage auf Bundesebene geschaffen wird, dass man solche Pannenmeiler sofort abschalten kann. Nur das schafft Sicherheit und nicht starke Worte, die man nach derzeitiger Rechtslage überhaupt nicht umsetzen kann.

Kritisch sehen wir im Zusammenhang mit den neuesten Vorfällen auch die Ankündigung von Vattenfall-Chef Hatakka, jetzt einen Sonderermittler einzusetzen. Einen Sonderermittler aus den eigenen Reihen zu rekrutieren, um die Vorgänge zu untersuchen, trägt nicht zur Vertrauensbildung bei. Gleiches galt für die von Vattenfall 2007 eingesetzte fünfköpfige Untersuchungskommission - die zwar aus externen Ermittlern bestand, die aber nicht unbedingt als Atomgegner bekannt waren. Und da hat es niemanden gewundert, dass das Abschlussergebnis der Kommission eher unkritisch ausfiel. Zwar hat die Kommission seinerzeit die Informationspolitik von Vattenfall kritisiert, aber heute müssen wir feststellen, dass davon wenig angenommen, geschweige denn umgesetzt wurde.
Auch wenn dies – ebenso wie die Maschinentransformatoren – nicht der Atomaufsichtsbehörde unterliegt, gehören solche Aspekte in die Zuverlässigkeitsüberprüfung. Denn es macht nach unserer Auffassung deutlich, wie wenig ernst Vattenfall derartige Probleme nimmt.

Mit den jüngsten Ereignissen in Krümmel, hat Vattenfall sich und seinen politischen Befürwortern letztendlich einen Bärendienst erwiesen. Denn die fast schon tot erschienene Debatte um die Sicherheit von Atomkraftwerken oder die Diskussionen um Atomkraftwerke als Heilsbringer im Kampf gegen den Klimawandel, haben die Atomkraftwerke in ein Licht gerückt, die das Risiko dieser Technologie in den Schatten gestellt hat.
Immer wieder wurde in den letzten Jahren die Diskussion um die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken auf die politische Agenda gesetzt. Aber auch nach bekannt werden der neuesten Ereignisse von Krümmel, wird gebetsmühlenartig behauptet, die Atomenergie sei sicher. In Krümmel knallen die Brennstäbe durch und Herr Ramsauer von der CSU sagt, wir sollten einen kühlen Kopf bewahren.
Ebenso vernagelt sind die Aussagen des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Oettinger, der unbegrenzte Laufzeiten für Atommeiler in Aussicht stellt, die dem angeblichen Stand der Technik entsprechen und der Krümmel sogar als Kraftwerk mit Zukunft bezeichnet, wenn die technischen Voraussetzungen stimmen würden. Wer sich so blind und ignorant für die Atomenergie ausspricht, verleugnet die Gefahren, die von dieser Technologieform ausgehen.

Von 1965 bis Sept. 2008 hat es rund 5.700 meldepflichtige Ereignisse in deutschen Atomanlagen gegeben. Auf diese Zahl wies Greenpeace jüngst hin, als der 50. Jahrestag des Deutschen Atomforums feierlich begangen wurde. Diese Zahl macht deutlich, dass Unregelmäßigkeiten in Atomkraftwerken keine Ausnahmesituation sind. Sie sind die Regel und es ist nur bedingt beruhigend, dass es rechtzeitig zu Abschaltungen gekommen ist und die Störfälle bisher beherrschbar waren.
Durch die immer älter werdenden Reaktoren wird die Gefahr aber nicht geschmälert – im Gegenteil. Und auch im Zusammenhang mit den Gefahren aus möglichen terroristischen Angriffen, wissen wir, dass gerade die älteren Atomkraftwerke gegen Anschläge nicht ausreichend gesichert sind.
Das widerlegt alle Behauptungen, deutsche Atomkraftwerke seien sicher. Solche Aussagen sind Augenwischerei.

Atomenergie ist und bleibt die gefährlichste Form der Energieerzeugung. Die Risiken, die von den Atomkraftwerken ausgehen, sind nicht beherrschbar.
Unfälle sind nicht auszuschließen. Materialfehler, technische Defekte oder menschliches Versagen können zu Katastrophen führen. Dies muss man sich immer wieder vor Augen führen. Krümmel ist ein Paradebeispiel für solche Unzulänglichkeiten und Fehlerhaftigkeiten. Daher muss Krümmel umgehend vom Netz genommen werden und am Ausstieg aus dieser risikobehafteten Energieform darf nicht gerüttelt werden.

Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der Atomenergie ist die Frage der Endlagerung. Hier gibt es bisher keine sichere Lösung für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle. Atomkraftwerke produzieren Müll, mit dem sich noch viele nachfolgende Generationen herumschlagen werden. Ein sicheres Wegpacken – nach dem Motto: Aus den Augen aus dem Sinn – gibt es nicht. Die als sicher geltenden Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle in Moorsleben und Asse II machen deutlich, dass sie eben nicht sicher sind. Asse II zerfällt, unkontrollierte Wassereinbrüche gefährden die Standortsicherheit und es herrscht Einsturzgefahr. Was für die Ewigkeit halten sollte, ist bereits nach 40 Jahren vorbei. Was mit dem radioaktiven Müll passieren soll, weiß niemand. Wer Atomstrom befürwortet, muss dann auch sagen, wie der Müll endgültig und vor allem sicher gelagert werden soll.
Die Frage der Kosten ist hierbei noch nicht geklärt. Die Betreiber der Atomkraftwerke haben bis zum Ende für die Einlagerung in Asse II nur 900.000 €. Gebühren bezahlt.
Dem gegenüber stehen heute die zu erwartenden Kosten mindestens von 2,5 Mrd. € für die Schließung und Entsorgung von Asse II. Zwar tragen die Energieversorgungsunternehmen hiervon rund 1 Mrd. €, aber die öffentliche Hand bleibt auf den Kosten von Rund 1,5 Mrd € sitzen. Und ein Endlager ist dann immer noch nicht gefunden. Es kommen also noch weitere Milliardenkosten auf die Steuerzahler zu. Das ist eine höhere Subvention durch den Staat, als sie für erneuerbare Energien überhaupt nur denkbar wäre. Hier ist unsere Forderung ganz deutlich, wer Müll produziert soll auch vollständig für die Kosten aufkommen.

Die Behauptung, dass Atomenergie zu den billigen Energieformen gehört, sagt nur die halbe Wahrheit. Atomstrom ist nur dann billig, wenn die Atomkraftwerke abgeschrieben sind und die Kosten für Umwelt und Gesundheit vom Steuerzahler getragen werden.
Dass Atomstrom keinen Billigstrom produziert, wird auch dadurch deutlich, dass Strom an der Börse gehandelt wird, wo sich der Strompreis nach den teuersten Kraftwerken richtet. Mit anderen Worten, der angeblich „billige“ Atomstrom kommt beim Kunden nicht an, sondern trägt nur dazu bei, den Atomkonzernen weiter die Taschen zu füllen.
Der Bau eines neuen Atomkraftwerks ist mit einem vergleichbaren Gaskraftwerk rund fünfmal so teuer. Legt man die Gesamtkosten für Bau und Stilllegung sowie für die Abfallentsorgung zugrunde, rechnet sich der Bau von Atomkraftwerken für private Betreiber nicht. Ohne staatliche Subventionen und Garantien sind Atomkraftwerke nicht wirtschaftlich zu betreiben.

Da staatliche Subventionen in der EU aber gegen Wettbewerbsregeln verstoßen, versucht die Atomlobby nun das nächste Märchen um die Atomenergie zu kreieren: Atomenergie als energiepolitische Lösung im Kampf gegen den Klimawandel.
Die Produktion von Atomstrom ist aber nicht CO2-neutral. Die Emissionen pro Kilowattstunde schwanken zwischen 30 bis 160 Gramm CO2 je nach Herkunftsland der Rohstoffe. Moderne Gaskraftwerke mit Wärmeauskopplung liegen demgegenüber bei 119 Gramm CO2 je Kilowattstunde.
Was aber schwerer wiegt ist die Tatsache, dass jeder Neubau eines Atomkraftwerkes oder die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke dazu beiträgt, den Druck aus dem Kessel zu nehmen und somit Klimaschutztechnologien weiter ausbremst.
Jeder Euro, der in Atomkraftwerke oder andere alte Energieformen gesteckt wird, geht verloren für Forschung, Technik und Ausbau von Erneuerbaren Energien, für die Steigerung der Energieeffizienz und für die Entwicklung von Energieeinsparungsmaßnahmen. Das sind die wirklichen Heilsbringer, wenn es darum geht, eine klimaschutzrelevante Energieversorgung zu gewährleisten.

Wer sich in der Diskussionen um Laufzeitverlängerung oder beim Neubau von Atomkraftwerken zum politischen Handlanger der Atomlobby machen lässt, handelt rücksichtslos auf Kosten späterer Generationen. Es gibt keine Alternative zum Atomausstieg – egal wer wo in Europa neue Atomkraftwerke baut. Es liegt in unserer Verantwortung, die Energieversorgung selbst zu regeln und dazu gehört auf keinen Fall eine so veraltete Technologie wie die Atomenergie. Für unsere Atomkraftwerke gibt es nur eine Lösung und die regelt das Atomausstiegsgesetz; es sei denn sie müssen vorher abgeschaltet werden, wie Krümmel.

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