Rede · Flemming Meyer (2009–2020) · 02.07.1998 Schleswig-Holstein im 21. Jahrhundert

In gewisser Weise sind wir der CDU dankbar, daß sie das Thema Schleswig-Holsteins Zukunft im 21. Jahrhundert" heute auf die Tagesordnung gebracht hat. Denn nach der Präsentation des Positionspapiers von Europaminister Walter und Wirtschaftsminister Steinbrück ist eine öffentliche Diskussion über die Zukunft Schleswig-Holsteins - und besonders über die zukünftige Ausrichtung der Ostseekooperation - entbrannt; eine Debatte, die aus Sicht des SSW einiges beinhaltet, das es verdient, hier im Landtag angesprochen zu werden.
Allerdings schießt die CDU mit ihrem Antrag weit am Ziel vorbei. Es ist aus gutem Grund nicht üblich, daß der Schleswig-Holsteinische Landtag hier im Plenum Parteiprogramme beschließt. Man wird aber bei dem vorliegenden Antrag der CDU-Fraktion den Eindruck nicht los, daß es sich zumindest teilweise um das Wahlprogramm der CDU Schleswig-Holstein handelt. Leider müssen die meisten der vielen Forderungen unter das Stichwort Recycling" eingeordnet werden.
Anders ist es nicht zu erklären, daß wir heute 37 konkrete Forderungen diskutieren müssen, die fast alle schon einmal oder mehrfach in der 14. Wahlperiode des Landtages debattiert worden sind. Steter Tropfen höhlt den Stein" scheint das Motto der CDU-Fraktion zu sein, denn neue Positionen oder bahnbrechende Forderungen sind aus unserer Sicht nicht zu erkennen. In der Presse wurde ja bereits von altbekannten Thesen der CDU gesprochen.
Es ist unmöglich, heute auf alle Punkte des CDU-Antrages seriös einzugehen, und eigentlich könnte der SSW es sich leicht machen und auf zahlreiche Reden, Stellungnahmen und Pressemitteilungen zu den hier abermals vorgebrachten Forderungen der CDU-Fraktion verweisen. Aber auch wir werden die Gelegenheit nutzen, um einige für uns wichtige Punkte zum Thema Schleswig-Holstein im 21. Jahrhundert anzusprechen. Dabei sind die Thesen der beiden Minister und die Impulse, die die SPD-Landtagsfraktion von ihrer Reise nach Skandinavien mitgenommen hat, für die Zukunft Schleswig-Holsteins interessanter als die altbekannten Thesen der CDU - obwohl eine gewisse Übereinstimmung in manchen Bereichen überraschenderweise nicht von der Hand zu weisen ist.
Schon der Dichter Hans Christian Andersen hat gesagt Zu reisen ist, zu leben". Ich hoffe, daß die SPD-Landtagsfraktion sich dieses Motto bei ihrer Reise nach Südschweden und Dänemark zu eigen gemacht hat. Auf jeden Fall scheint sich bei dem Besuch ein anderes Motto bewährt zu haben, nämlich Reisen bildet". Der SSW, als skandinavisch geprägte Partei der dänischen Minderheit, begrüßt es natürlich, wenn die Regierungsfraktion, wichtige Minister und die Ministerpräsidentin des Landes der Auffassung sind, daß Schleswig-Holstein von Skandinavien lernen kann. Genau wie jetzt bei der Fußball-WM könnte man vielleicht in Abwandlung eines altes Spruches auch für die zukünftige Politik in Schleswig-Holstein sagen: von Skandinavien lernen, heißt siegen lernen."
Die Herausforderungen, vor denen Schleswig-Holstein steht, sind vielfältig und heute schon in der Debatte benannt worden. Wenn man zur Lösung dieser Herausforderungen nach Norden blickt, ist es aus unserer Sicht wichtig, die richtigen Lehren aus dem wirtschaftlichen Erfolg Dänemarks und auch aus der sich abzeichnenden Entwicklung in Südschweden für Schleswig-Holstein zu ziehen.
Dabei ist es nicht genug, nur auf die harten Standortfaktoren wie die Großbauprojekte der Großen Belt-Querung oder die Öresund-Querung zu fokussieren. Mindestens genau so wichtig ist es, die weichen Standortfaktoren wie Technologieentwicklung und Hochschulzusammenarbeit zu sehen. In diesem Zusammenhang müssen wir wieder darauf hinweisen, daß eine Reihe jener Bildungseinrichtungen, die Qualifikationen für den Ostseeraum vermitteln - beispielhaft sei das Institut für Nordistik an der CAU genannt - in den letzten Jahren eine recht stiefmütterliche Behandlung erfahren haben. Hier klaffen noch Abgründe zwischen Theorie und Praxis der Landesregierung. Es wird spannend werden zu sehen, ob die Neuentdeckung der nördlichen Dimension auch Konsequenzen für das Handeln der politisch und verwaltungsmäßig Verantwortlichen haben wird.
Zu den Standortfaktoren, die entscheidend zu der relativen Prosperität der nordischen Länder beigetragen hat, gehören neben der Bildung auch kulturelle und politische Faktoren. Ich sprach bereits gestern von der skandinavischen Fähigkeit, zusammenzuarbeiten und gemeinsame Lösungen zu erarbeiten. Dieses gilt im wirtschaftlichen aber auch im politischen Bereich. Zu unseren Visionen für das 21. Jahrhundert zählt auch, daß wir hier in Schleswig-Holstein endlich auf diesem Gebiet weiter kommen. Die Fähigkeit zu politischem Konsens und Partnerschaft über Parteigrenzen hinweg ist von unschätzbarem Wert, wenn es darum geht, die Weichen für die Zukunft zu stellen. In der letzten Woche hatten manche von uns das Vergnügen, an dem Kieler Woche Gespräch teilzunehmen, zu dem der Präsident Gäste aus den Ostseeanrainerstaaten und den nordischen Ländern geladen hatte. Dort wurde über die Zusammenarbeit der nordischen Parlamente und Regierungen im Nordischen Rat gesprochen. Wer bei diesem Gespräch genau hingesehen und hingehört hat, hat deutlich die Gemeinschaft und Solidarität erkannt, die Nationalitäten und Parteigrenzen ungeachtet die nordischen Teilnehmer verband. Dieses Verhältnis ist sicherlich auf sprachliche Gemeinsamkeiten gebaut, es konnte sich aber auch gerade deshalb so harmonisch entwickeln, weil politische Grenzen im Norden keine Gräben oder Fronten sind. Wenn wir lernen könnten, hierzulande ebenso miteinander umzugehen, wäre sicher viel erreicht - sowohl für die Zukunft des Landes als auch für die Zukunft der Zusammenarbeit mit anderen Ländern und Regionen.
Was die häufig als zentral angesehene Verkehrspolitik betrifft, so stimmt es uns als regionale Partei bedenklich, wenn die Regierung die Zukunft Schleswig-Holsteins in einer Achse von Südschweden über Dänemark und Fehmarn-Belt nach Holstein sieht. Es ist richtig, daß ein großer Teil der Verkehrsströme in Zukunft diesen Weg beschreiten sollte - ob mit oder ohne Fehmarnbelt-Querung. Das ist allein deshalb erforderlich, weil das Straßen- und Schienennetz im nördlichen Landesteil dem zu erwartenden Verkehrsanstieg nicht standhalten kann. Aber für uns bleibt es wichtig, daß dabei der nördliche Landesteil und die Westküste wirtschaftlich nicht noch mehr abgehängt werden. Leider sind die Hoffnungen nicht erfüllt worden, die wir im Norden des Landes in die Elektrifizierung der Bahnstrecke Hamburg-Flensburg-Kopenhagen gesetzt hatten. Auch das ist ein Beispiel dafür, daß noch ein langer Weg vor uns liegt, wenn die Ostseeregion grenzüberschreitend verknüpft werden soll. Wenn wir es nicht im eigenen Nahbereich schaffen, Wege zu beschreiten, die alle als richtig erkannt haben, wie soll es dann mit Regionen gelingen, die wirtschaftlich und infrastrukturell wesentlich rückständiger sind?
Ein wichtiger Punkt - der in der ganzen Diskussion untergegangen ist und der im CDU-Antrag gar nicht vorkommt - ist, daß Schleswig-Holstein immer weniger eigene Gestaltungsmöglichkeiten und Kompetenzen hat. Viele der notwendigen Initiativen und Projekte - zumal die wichtigen Projekte, zum Ausbau der Verkehrsinfrastruktur wie A20, westliche Elbquerung, Fehmarnbeltquerung - werden ohne tatkräftige Unterstützung des Bundes nicht umgesetzt werden können. Wenn wir es zukünftig nicht schaffen, die Bundesregierung mehr für unsere Visionen im Ostseeraum zu begeistern, dann werden wir mit unseren Idealen scheitern. Ich glaube auch hier wäre es gut, wenn die Politik in Schleswig-Holstein lernen würde, öfter mit einer Stimme zu sprechen, in der alle oder zumindest die meisten sich wiederfinden könnten.
Was für die Ostseekooperation gut ist, ist für die innerdeutsche Zusammenarbeit nur billig. Wir alle wünschen uns eine engere Zusammenarbeit zwischen den norddeutschen Bundesländern, und es ist erfreulich, daß aus der Finanznot eine Tugend zu werden scheint. In diesem Zusammenhang ist der SSW allerdings auch der Ministerpräsidentin dankbar, daß sie klärende Worte zum Thema Nordstaat gefunden hat. Wir brauchen eine bessere Zusammenarbeit der nördlichen Bundesländer in allen Bereichen - nicht zuletzt mit Hamburg. Wir brauchen aber keinen Nordstaat. Und auch für diesen Bereich gilt wiederum: lernen wir in Schleswig-Holstein besser, gemeinsam unsere Bedürfnisse zu definieren und gemeinsam die Interessen der anderen Länder zu bewerten, dann ist damit unserem Land am besten gedient. Das schlimmste, was passieren kann, ist, wenn diese Kooperation sich hauptsächlich auf der parteipolitischen Ebene abspielt.
Ich muß zum Schluß kommen, und Sie sehen, wie wenig es möglich ist, die vielen Punkte aus dem CDU-Antrag in einen einzelnen Redebeitrag zu packen. Ich wünsche mir, daß wir zukünftig dabei bleiben, die Themen einzeln zu würdigen. Selbst für eine angemessene Behandlung eines einzelnen dieser vielen Punkte reicht die Redezeit häufig nicht aus. Ich wünsche mir auch, daß man in diesem Land vielleicht einmal im nächsten Jahrtausend doch noch lernt, erst die Sache zu betrachten und dann die Person - beziehungsweise die Partei. Dann wird es vielleicht irgendwann doch noch reichen, einen Antrag nur einmal ins Parlament einzubringen.

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