Rede · Flemming Meyer (2009–2020) · 21.03.2001 Sicherung des Lehrerbedarfs

Wir erleben den hohen Lehrerbedarf, der sich derzeit bundesweit abzeichnet, nicht zum ersten Mal. Gleich nach den ersten Meldungen über Lehrermangel in Schleswig-Holstein wurde in den „Zwischenrufen“ einer großen Regionalzeitung an eine groteske Geschichte erinnert: Weil zu viele Kinder in die Schulen einzogen, gab es Ende der 60’er Jahre ein Konzept zur Sicherung des Lehrerbedarfs der ganz besonderen Art. Bekanntlich wurden damals über 300 Hausfrauen und andere in einem Schnellverfahren zu Lehrerinnen und Lehrern ausgebildet. Da aber die damalige Landesregierung vergaß genügend neue Planstellen im Haushalt einzustellen, hätten fast erst mal 300 angestellte Lehrkräfte entlassen werden müssen, um Planstellen für diese Hilfstruppe zu schaffen. In letzter Minute konnte man diesen Irrsinn damals verhindern.

So etwas würde uns heute nicht passieren. Das ist klar. Uns ist aber anscheinend „passiert“, dass es uns immer noch nicht gelungen ist, Instrumente zu entwickeln, die eine größere Flexibilität bei der – zugegeben schwierigen – Anpassung des Lehrerbedarfs an die Entwicklung der Schülerzahlen gewährleisten könnte. Wie hoch rechnerisch betrachtet die Deckungslücke ist, wenn der Einstellungsbedarf bis 2004 dem Lehrkräfte-Angebot entgegen gehalten wird, hat uns das Bildungsministerium in einer Pressemitteilung vorgerechnet: Es fehlen dann über 1.500 Vollzeitlehrkräfte. Hinzu kommt, dass sich der künftige Bedarf nicht gleichmäßig auf alle Fächer und Schularten verteilt.

Das Problem ist also erkannt. Und vielleicht muss man sich ganz einfach damit abfinden, dass es keine antizyklischen Steuerungsinstrumente gibt, um den Bedarf an Lehrern mit den konkreten Schülerzahlen in Einklang zu bringen. Als „antizyklische Maßnahme“ werte ich den Vorstoß der Bildungsministerin, zur Sicherung des Lehrernachwuchses auch eine „Welcome-back-Aktion“ – oder weniger schick formuliert: eine Rückholaktion – zu starten, mit Einarbeitungsangeboten für Wiedereinsteiger in den Lehrerberuf. Dadurch würde man längerfristig die Altersstruktur der Lehrerkollegien aufbrechen, weil die angesprochene Gruppe vermeintlich nicht zu den jungen Jahrgängen gehört. – Ein positiver Ansatz, auch wenn man bedenkt, was das Land an Pensionsausgaben spart; denn für „Neueinstellungen auf Vorrat“ könne die Finanzlage der öffentlichen Haushalte nicht herhalten, so die Ministerin in der schon erwähnten Pressemitteilung.
Nun ist mir durchaus bewusst, dass die vorgeschlagene „Rückholaktion“ nicht im Mittelpunkt eines Maßnahmenkatalogs steht; viel eher haben wir es mit einer Art „Mitnahmeeffekt“ zu tun.

Der SSW begrüßt, dass die Bildungsministerin weitere Schritte angekündigt hat, um dem künftigen Bedarf an Lehrkräften gerecht zu werden. Dazu gehört sowohl die Einführung flexiblerer Strukturen in der Ausbildung als auch die Anwerbung von Fachkräften in Mängelfächern. Als Stichwort sei genannt, dass Quereinsteigern verstärkt die Möglichkeit geboten werden soll, sich zu bewerben. In diesem Zusammenhang möchte ich aber auch hervorheben, dass es gerade in den Mangelfächern darauf ankommt, dass Wartezeiten bei der Zuteilung von Referendariatsplätzen weiter abgebaut werden. Ich gehe davon aus, dass wir uns im Bildungsausschuss mit den Vorschlägen der Bildungsministerin befassen werden und erspare mir jetzt die Details.

So wäre es aus unserer Sicht wichtig zu erfahren, wie der zeitliche Rahmen aussieht; denn wenn man bedenkt, dass wir von einem Mehrbedarf an Lehrerinnen und Lehrern bis 2004 ausgehen, dann ist eine gewisse Eile geboten. Wenigstens muss klar sein, welche Maßnahmen nach Meinung der Landesregierung kurzfristig greifen sollen und welche auf eine längerfristige Wirkung angelegt sind.

In dem vorliegenden F.D.P.-Antrag geht es auch um beides. Wir unterstützen die Auffassung der F.D.P., dass eine Sicherung des Lehrerbedarfs nur möglich sein wird, wenn die strukturellen Rahmenbedingungen verbessert oder geändert werden. Der Antrag enthält dazu konkrete Vorschläge, die nicht einfach vom Tisch zu wischen sind. Womit wir uns überhaupt nicht anfreunden können, ist die Kiel-Lastigkeit des Antrages.

Es wirkt schon fast wie eine Zumutung, dass die Neustrukturierung der Lehrerbildung mit Punkt 1 des Antrages wieder in Frage gestellt wird. Mag sein, dass dies nicht beabsichtigt ist, aber unter dem Strich betrachtet ist es genau das, was dabei heraus kommt. Doch auch unter inhaltlichen Gesichtspunkten, frage ich mich, was dieser erste Punkt des Antrages soll.

Fest steht, dass die Lehramtstudiengänge an der Universität Flensburg eine Steigerung von 24% verzeichnen können; damit liegen sie bundesweit mit an der Spitze. Fest steht weiterhin, dass der Übergang oder der Transfer von der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der CAU zur Uni Flensburg noch gar nicht abgeschlossen ist. Wenn man schon eine Erweiterung des Studiumsangebots fordert, dann Bitteschön muss dieses in Flensburg geschehen. Alles andere wäre Ressourcenverschwendung. Aber letztlich gibt es keinen Beleg dafür gibt, dass eine Erweiterung des Studienangebots automatisch zu zu mehr Lehrerinnen und Lehrern in Schleswig-Holstein führt. – Nicht zu schweigen davon, dass alles dies auch Geld kostet – Geld, das aus der Sicht des SSW wesentlich sinnvoller in andere Maßnahmen zur Sicherung des Lehrerbedarfs gesteckt werden könnte. - „Wer arm ist, muss wenigsten schlau sein“, heißt es – schlau ist dieser Ansatz nicht.

Da ist es schon sehr viel schlauer zu überlegen, wie das Image des Lehramtstudiums verbessert werden kann, z.B. das Studium für Grund- und Hauptschullehrer. Denn es ist ja nicht so, dass die Studierenden Schlange stehen, um einen solchen Studienplatz zu erwerben.
Mehr als zuvor werden wir uns in den kommenden Jahren mit der Zukunft der Lehrerbildung befassen müssen, und zwar unter inhaltlichen und strukturellen Gesichtspunkten. Die neuen Prüfungsordnungen zementieren z.B. die Auffassung von dem Lehramtstudium als ein stark fachorientiertes Studium. Wer innerhalb dieses Rahmens etwas verändern will, gerät schnell an Grenzen. Es muss somit die Frage gestellt werden, ob es nicht sinnvoller wäre, statt von Fächern von Fächerbereichen auszugehen. Hinterfragt werden müsste auch, ob es eigentlich zukunftsweisend ist mit einem schulartspezifischen Lehramtstudium. Nicht zuletzt die internationalen Vergleichstests, die TIMS-Studie z.B., belegen, dass Leistung und Qualität von Schule nicht als Argument für ein nach Schularten aufgeteiltes Schulsystem eingebracht werden kann.

Für den SSW gilt somit zusammenfassend, dass folgende Grundsätze bei der Sicherung des Lehrerbedarfs eine Rolle spielen sollten:
- flexiblere Gestaltung der „Übergänge“, damit „Quereinsteiger“ bessere Möglichkeiten bekommen, sich für den Lehrerberuf zu entscheiden – während des Studiums oder später im Berufsleben;
- Maßnahmen zur Stärkung der Attraktivität des Lehramtstudiums und des Lehrerberufs;
- Änderung der schulischen Strukturen, damit Lehrer bedarfsgerechter eingesetzt werden können.

Mit diesen Grundsätzen wird es nicht möglich sein, kurzfristig Ergebnisse zu erzielen. Sie passen daher vielleicht auch besser in die Debatte, die mit den Empfehlungen der Fachkommission zur „Weiterentwicklung der Lehrerbildung und der Schul- und Unterrichtsfachberatung in Schleswig-Holstein“ in Gange gebracht worden ist. Andererseits ist es aus unserer Sicht wichtig daran fest zu halten, dass es - übergeordnet betrachtet - darauf ankommen muss, antizyklisch zu denken.

Die Bildungsministerin hebt in ihrer schon mehrfach zitierten Pressemitteilung auch hervor, dass Schleswig-Holstein im bundesweiten Wettbewerb um den Lehrernachwuchs nicht schlecht dasteht. Zu dem letzten Einstellungstermin gab es 1400 Bewerberinnen und Bewerber aus anderen Bundesländern. Vieles deutet aber darauf hin, dass sich dieser Wettbewerb in den kommenden Jahren verschärfen wird. Da wird es nicht mehr reichen, dass die Kultusministerkonferenz Erklärungen zum Thema Lehrerbildung beschließt. – Mit anderen Worten: je zügiger wir auf Landesebene Konzepte zur Sicherung des Lehrerbedarfs und des Lehrernachwuchses entwickeln, je stärker stehen wir dar.

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