Rede · 07.07.1999 Sparbeschlüsse der Bundesregierung

Das Thema der heutigen Regierungserklärung ist die aktuelle finanzpolitische Lage des Landes" . Das heißt, daß ich nicht schon heute auf den Haushalt 2000 eingehen werde. Dafür bleibt nach der Sommerpause noch genügend Zeit.
Die zukünftige Finanzpolitik Schleswig-Holsteins ist - unabhängig davon, wer dem nun nach dem 27. Februar 2000 regieren wird - im hohen Maße von den Rahmenbedingungen abhängig, die von der Bundesregierung vorgegeben werden. Ich werde mich daher in meinem Redebeitrag auf den ersten Teil des Themas: die Auswirkungen der Sparbeschlüsse der Bundesregierung auf das Land Schleswig-Holstein und seine Kommunen" konzentrieren.
Denn in der Tat gibt es bei dem sogenannten Zukunftsprogramm" der Bundesregierung eine ganze Reihe von Problemen, die aus Sicht des SSW unbedingt angesprochen werden müssen.
Dabei erkennt der SSW an, daß es angesichts der desolaten Finanzlage des Bundes mit insgesamt 1.500 Milliarden DM Schulden nach sechzehn Jahren CDU/F.D.P.-Regierung einen enormen Handlungsbedarf zur Sanierung des Bundeshaushaltes gibt.
Man kann zwar darüber streiten, ob es angesichts der lauen Konjunktur im ersten Halbjahr 1999 sinnvoll ist, so hart einzugreifen, wie es Finanzminister Eichel plant - insbesondere auch bei den Investitionen. Aber unbestreitbar ist, daß der Bund ein langfristiges Sparprogramm braucht, um überhaupt finanziell handlungsfähig zu bleiben.
Wir stimmen also in der Diagnose der Bundesregierung überein. Allerdings sind wir mit der verabreichten Medizin und mit der Stärke der Dosis nicht einverstanden, denn sie hat erhebliche Nebenwirkungen. So treffen die geplanten Kürzungen vor allem die sozial Schwächeren in unserer Gesellschaft, wie Arbeitslose und Rentner, während die Unternehmen und die leistungsstarken Bürger Aussicht auf Steuererleichterungen haben. Das Zukunftsprogramm 2000" der Bundesregierung hat also eine soziale Schlagseite.
Auch die finanziellen Belastungen für die Kommunen durch die Sparpläne der Bundesregierung sieht der SSW als problematisch an. Denn es kann nicht angehen, daß der Bund sich auf Kosten von Land und Kommunen gesundspart". In den sechzehn Jahren der Regierung Kohl haben so ein Verhalten immer wieder kritisiert. Alle Parteien des Landtages setzen sich bei Aufgabenübertragung von Bund auf Land oder Kommunen für das Konnexitätsprinzip ein. Finanzielle Verlagerungen des Bundes auf Land oder Gemeinden widersprechen diesem Prinzip.
Nach Angaben des Landkreistages werden durch die Sparpläne 4,1 Mrd. DM vom Bund auf die Kommunen verlagert. Der Löwenanteil mit 2,5 Mrd. DM entfällt auf die Verlagerung der Wohngeldzahlungen für Sozialhilfeempfänger. Die Neuregelung des Familienleistungsausgleichs mit der Anhebung des Kinderfreibetrags und Kindergelds wird voraussichtlich Einnahmeausfälle von 825 Mill. DM verursachen. Der Wegfall der originären Arbeitslosenhilfe erhöht die kommunale Sozialhilfebelastung vermutlich um 600 Mill. DM. Die kommunale Beteiligung am Unterhaltsvorschuß wird die Kommunen mehr als 200 Mill. DM kosten.
Für Schleswig-Holstein ist es absehbar, daß die Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe zu einem starken Anstieg der Sozialhilfekosten führen werden. Auch der Wegfall der staatlichen Zuschüsse für das Wohngeld belastet die kommunalen Haushalte. Allein für die Schleswig-Holsteinischen Kommunen rechnet man mit Mehrbelastungen von 150 bis 200 Millionen DM jährlich.
Starke Kommunen braucht das Land." Diesen Grundsatz können alle Parteien des Landes unterstützen. Nur passiert seit Jahren das Gegenteil: Die finanzielle Leistungsfähigkeit der Kommunen wird immer weiter ausgehöhlt. Auch die finanzielle Lage der schleswig-holsteinischen Kommunen ist äußerst angespannt. Das Sparpaket des Bundes verschärft diese Probleme weiter. Aus Sicht des SSW muß Finanzminister Eichel deshalb klarstellen, wie diese zusätzliche Kosten von den Kommunen finanziert werden sollen.
Die Länderhaushalte werden von den Konsolidierungsbemühungen des Bundes ebenfalls betroffen. Die Änderungen zum Familienrecht, aber auch die Senkung der Unternehmersteuer werden Schleswig-Holstein belasten. Allein die Nettoentlastung bei der Unternehmens-Steuerreform in Höhe von acht Milliarden Mark kostet Schleswig-Holstein ab 2001 jährlich 130 Millionen DM.
In diesem Zusammenhang muß eine Erhöhung der Erbschaftssteuer oder eine Wiedereinführung einer verfassungskonformen Vermögenssteuer weiter auf der Tagesordnung bleiben. Zum einen würden mit diesen Instrumenten die Länder zusätzliche Einnahmen bekommen. Zum anderen würde dadurch das Zukunftsprogramm 2000" bei vielen Bürgerinnen und Bürgern an Akzeptanz gewinnen, weil es damit sozial ausgewogener wäre. Sogar in den USA gibt es eine Vermögenssteuer. Deshalb ist es schwer einzusehen, warum wir nicht auch in Deutschland eine angemessene Steuer auf Vermögen haben können. Der SSW fordert die Landesregierung auf, sich im Bundesrat für höhere Steuern auf private Vermögen einzusetzen.
Die geplanten Kürzungen im Investitionsbereich des Bundeshaushaltes könnten negative Folgen für Schleswig-Holstein haben. So ist es für den SSW nicht hinnehmbar, wenn die Werftenhilfe nun doch gekürzt werden soll. Solange die Schiffbauindustrie weltweit subventioniert wird, brauchen unsere konkurrenzfähigen Werften ebenfalls eine Wettbewerbshilfe, um am internationalen Markt bestehen zu können. Für Schleswig-Holstein geht es dabei um viele hochqualifizierte Arbeitsplätze.
Etwaige Kürzungen im Bundeswegeverkehrsplan erscheinen ebenfalls sehr bedenklich für die wichtigen Infrastrukturmaßnahmen in Schleswig-Holstein. Allen voran, sind der Ausbau der A20 und die westliche Elbquerung bei Glückstadt unbedingt durchzuführen. Die Landesregierung muß sich deshalb energisch bei der Bundesregierung für Investitionen, die das Land betreffen, einsetzen. Hier geht es konkret um die Zukunftsfähigkeit des Landes.
Aus Sicht des SSW wäre es vernünftiger, die Investitionen des Bundes für den geplanten Transrapid ganz zu streichen und stattdessen die gesparten Milliarden DM für einen sinnvollen Infrastrukturausbau von Straße und Schiene einzusetzen.
Das Sparpaket ist also in der jetzigen Situation eine Roßkur, die für viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger schwer verdaulich ist und die auch erhebliche negative Folgen für das Land Schleswig-Holstein und seine Kommunen haben könnte. Allerdings hat die Bundesregierung eine schwere finanzielle Erblast von der Vorgänger- Regierung übernommen. Helmut Kohl kann von Glück sagen, daß er gerade noch rechtzeitig in den wohlverdienten Ruhestand geschickt worden ist.
Die neue Bundesregierung wurde auch gewählt, um nach der Ära Kohl" wieder für ein Stück sozialer Gerechtigkeit zu sorgen. Mit der Rücknahme der Kürzungen bei der Lohnfortzahlung und der Blümschen Rentenreform" hat man dieses Versprechen eingehalten. Mit dem Zukunftsprogramm 2000 entsteht jetzt aber - ob gerecht oder nicht - der Eindruck, daß es wieder die sogenannten kleinen Leute" sind, die die Zeche zu zahlen haben.
Dabei ist es meine Auffassung, daß die Bürgerinnen und Bürger bereit sind, Opfer zu ertragen, wenn man ihnen gleichzeitig Perspektiven bieten und Prioritäten setzt, die zukunftsweisend sind. Eine Kürzung nach dem Rasenmäher-Prinzip für alle Ministerien ist dabei nicht der optimale Weg. Wenn man beispielsweise bei der Arbeitslosenhilfe kürzt, muß man gleichzeitig den Betroffenen verstärkt Perspektiven bieten in Form von beruflichen Alternativen oder Qualifizierungsmaßnahmen. Im diesem Sinne müßte im Bundesarbeitsministerium also gleichzeitig das Budget für die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen aufgestockt werden.
Auch im Rentenbereich ist den Rentnern die Perspektive nicht vernünftig vermittelt worden. Anstatt einer zweijährigen Aussetzung der Nettolohnanpassung der Renten, die den Eindruck einer simplen Kürzung entstehen läßt, hätte man gleich viel stärker den Bedarf einer zukunftsweisenden Rentenreform herausstellen müssen. Aber darüber werden wir uns bei einem späteren Tagesordnungspunkt ja noch weiter unterhalten können.
Wir sind uns alle in klaren darüber, daß es eine gewaltige Aufgabe ist, den Riesentanker Bundesrepublik Deutschland wieder auf Kurs zu bringen. Dabei wird keiner ohne Schrammen davonkommen.
Doch dem SSW geht es darum, daß die Bundesregierung bei dem Werben um die sogenannte neue Mitte nicht die Verlierer bei der Globalisierung und der notwendigen Modernisierung des Staates vergißt. Es ist nicht tragbar für unsere Demokratie, daß sich die Regierenden allein auf die zwei Drittel der Bevölkerung konzentrieren, die leistungs- und durchsetzungsfähig sind.
In einem Zeitungsinterview hat der frühere Informationschef der britischen Labour-Party", David Hill, kürzlich sehr deutlich das Konzept von New Labour" und Tony Blair erläutert. Hills Ansicht nach reicht es nämlich, um Wahlen zu gewinnen und an der Macht zu bleiben, 60% der Bevölkerung zufriedenzustellen. Um den Rest brauche man sich nicht zu kümmern. Für die Demokratie wäre dies allerdings eine bedenkliche Entwicklung.
Es geht nicht darum, eine milimetergerechte Verteilungspolitik alten Stils wieder einzuführen. Aber wir brauchen bei der notwendigen Modernisierung des Staates und der Wirtschaft eine Chancengleichheit für alle Bürgerinnen und Bürger, und wir brauchen Gerechtigkeit zwischen den Generationen.
Für den SSW bedeutet dies, daß der Staat weiterhin eine Verpflichtung hat, sich aktiv für diese Chancengleichheit einzusetzen. Es bleibt dabei: Nur die Starken können sich einen schwachen Staat leisten.

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