Rede · 16.11.2000 Stärkung des Wirtschaftsstandortes, des Arbeitsmarktes und der sozialen Sicherungssysteme durch ausländische Mitbürger

Am Anfang der modernen Einwanderung in die Bundesrepublik stand ein ökonomisches Kalkül. In Südeuropa wurden Arbeitskräfte angeworben, weil der Arbeitsmarkt nicht ausreichte, um die brummende Wirtschaft am laufen zu halten. Der größte Teil dieser Arbeiter hat schon längst wieder das Land verlassen. Der Rest entschied sich wieder Erwarten dafür, mit ihren Familien in unserer Gesellschaft zu leben. „Man hat Arbeitskräfte gerufen und es kamen Menschen," wie Max Frisch es ausgedrückt hat. Das war auch eigentlich kein Problem. Die Schwierigkeiten entstanden erst, als aus anderen Gründen soziale Probleme entstanden und Gefühle die ökonomische Rationalität verdrängten. Heute stehen wir wieder vor einem neuen ökonomischen Problem, nämlich die Stabilisierung des Wirtschaftsstandortes, des Arbeitsmarktes und der sozialen Sicherungssysteme durch ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger. Erstmals besteht wieder Hoffnung darauf, dass das ökonomische Kalkül dazu beiträgt, die Auseinandersetzung über die Zuwanderung aus dem Ausland zu versachlichen.

Es ist erfreulich, dass sich endlich eine echte Einwanderungsdebatte abzeichnet, denn Mitbürgerinnen und Mitbürger mit ausländischem Hintergrund stellen nicht nur eine Bereicherung für unsere Gesellschaft dar, sie werden in Zukunft lebensnotwendig für unser Land sein. Um diesen Prozess aber planend zu gestalten, brauchen wir mehr Wissen über den wirtschaftlichen Effekt der Einwanderung. Dazu könnte der FDP-Antrag beitragen.

Daten über den wirtschaftlichen Beitrag der Mitbürgerinnen und Mitbürger mit ausländischem Hintergrund können aber nicht nur als Grundlage für eine rational geplante Einwanderung dienlich sein. Die Antworten auf die Fragen der FDP sind hoffentlich ebenfalls ein geeignetes Instrument, um ausländerfeindlichen Menschen zu zeigen, was diese Mitbürgerinnen und Mitbürger eigentlich für uns leisten.

Wir werden dem Antrag der FDP zustimmen. Ich kann allerdings trotzdem nicht eine gewisse Skepsis verhehlen, ob zu diesen komplexen Fragestellungen wirklich in so kurzer Zeit solide Daten besorgt werden können. Die Fragen sind so speziell, dass die entsprechenden Daten wahrscheinlich nicht unmittelbar greifbar sind. Wir werden also damit leben müssen, dass die Landesregierung möglicherweise nicht das liefern kann, was die FDP wünscht. Letztlich wird es vermutlich der zuständigen Bundesebene – vor allem der Einwanderungskommission – vorbehalten bleiben, diese komplexen Daten erheben zu lassen.

Und noch eine letzte Bemerkung: Der FDP-Antrag stellt natürlich nur einen Aspekt der Zuwanderung dar. Auch wenn ein ökonomisches Kalkül vollkommen legitim ist, müssen wir genau darauf achten, dass die Debatte über Migration nach Deutschland nicht nur unter ökonomischen Aspekten geführt wird. Wirtschaftlich begründete Einwanderung – also die sogenannte „Green Card" – ist auch weiterhin nur eine Dimension. Zur Zuwanderung gehört ebenso, dass politisch verfolgte Menschen Zuflucht bei uns finden können. Asylbewerberinnen und Asylbewerber können aber keinen wirtschaftlichen Beitrag leisten, denn sie dürfen nicht arbeiten. Gerade weil hier ganz andere Voraussetzungen vorliegen, müssen Einwanderung und Asyl auch in Zukunft klar getrennt werden.

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