Rede · Flemming Meyer (2009–2020) · 15.08.1996 Vergewaltigung in der Ehe

Mit dem vom Bundestag beschlossenen Gesetz zur Änderung des Sexualstrafrechts sind Änderungen vorgenommen worden, die längst überfällig waren. Der SSW begrüßt sowohl, daß die Vergewaltigung in der Ehe endlich zum Straftatbestand wurde, als auch, daß sexuelle Gewalt aus Sicht des Gesetzgebers nicht mehr nur Männersache ist. Das neue Gesetz trägt auch der Gewalt durch Frauen Rechnung.

Die verabschiedete Reform der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist aber nicht unumstritten. Vor allem die sogenannte Widerspruchsklausel ist in den letzten Wochen mehrfach in der Presse kritisiert worden.
Hierbei steht die Sorge im Vordergrund, die neu eingeführte Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe könnte dadurch aus den Angeln gehoben werden, daß der Ehemann nunmehr Druck auf seine Frau ausüben kann, gegen das Strafverfahren Widerspruch einzulegen.
In der Diskussion ist unumstritten, daß es höchste Zeit war, die Vergewaltigung in der Ehe endlich unter Strafe zu stellen.
Uneinigkeit besteht aber darüber, ob Ehefrauen durch die Widerspruchslösung auch künftig anders behandelt werden sollen, als alle übrigen Vergewaltigungsopfer. Das ist dadurch der Fall, daß Ehefrauen über den Widerspruch erreichen können, daß das Strafverfahren zum Erliegen kommt.

Die Befürworter der Widerspruchslösung argumentieren vor allem damit, daß ein Strafverfahren nicht gegen den Willen des Opfers durchgeführt werden soll, weil dies zur Zerstörung einer vielleicht noch zu rettenden Ehe führen könnte. Außerdem sieht das Gesetz ausnahmsweise vor, trotz Widerspruchs der Ehefrau die Tat dennoch zu verfolgen. Dies soll dann der Fall sein können, wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Aber machen wir uns doch nichts vor: das öffentliche Interesse wird in den wenigsten Fällen eine Rolle spielen, nämlich wenn die Ehefrau von ihrem Mann ganz besonders übel zugerichtet wurde.

Die Gegner der Widerspruchslösung erblicken ihr größtes Problem in einem Strafverfahren, das durch das Opfer gestoppt werden kann. Dadurch wird dem Ehemann die Ausübung von Druck auf seine von ihm vergewaltigte Ehefrau ermöglicht.
Dieses Argument ist nicht zu entkräften. Ein gewalttätiger Ehemann wird sich, wenn er die Folgen des Strafantrages absehen kann, kaum scheuen, seine Frau unter Druck zu setzen, um ihren Widerspruch zu erreichen. Die Erfahrung ist, daß Frauen Strafanträge gegen Ihre Ehemänner nie freiwillig zurücknehmen. Frauen sind leider erpreßbar.

Man sollte die Frage des Widersprechens des Ehepartners auch unter dem Aspekt der Gleichstellung nichtehelicher und ehelicher Lebensgemeinschaften betrachten. Heute lebt - gesellschaftlich akzeptiert - eine sehr große Anzahl von Partnern zusammen, ohne verheiratet zu sein. Diesen Partnern steht ein Widerspruchsrecht nicht zu. Schon im Sinne der erstrebenswerten Gleichstellung nichtehelicher mit ehelichen Lebensgemeinschaften sollte man auf die Widerspruchsmöglichkeit verzichten. Im übrigen haben Ehefrauen auch ohne Widerspruchslösung weiterhin die Möglichkeit, im Prozeß die Aussage zu verweigern.
Der SSW lehnt die Widerspruchsklausel ab und unterstützt den Antrag der Fraktion der SPD.

Der Gesetzgeber hat mit der Reform nicht das erreicht, was im Rahmen einer Überarbeitung des Sexualstrafrechts möglich und nötig gewesen wäre. Trotz wiederholter Hinweise von Seiten der Oppositionsparteien im Bundestag wurde auf eine umfassende Neuregelung des Rechts widerstandsunfähiger Opfer verzichtet. Sie sind klare Verlierer der Neuregelung, was kaum öffentliche Aufmerksamkeit erregt hat. Die Vergewaltigung einer geistig oder körperlich behinderten Person stellt im Unterschied zur Vergewaltigung einer nichtbehinderten Person kein Verbrechen dar. Das ist ein unerträglicher Zustand. Der SSW ist der Auffassung, daß wir für die geistig und körperlich Behinderten unbedingt etwas tun müssen. Deshalb haben wir einen Änderungsantrag zu dem ursprünglichen SPD-Antrag eingebracht. Wir meinen, daß endlich etwas Positives auch für diese Opfergruppe erreicht werden muß, die ohnehin ständig benachteiligt wird.
Durch die vom Bundestag beschlossene Überarbeitung der Sexualtatbestände wird die von uns beantragte Änderung möglich. Der neue § 177 Strafgesetzbuch sieht neben der Drohung und der Gewalt jetzt eine weitere Alternative vor, nämlich das „Ausnutzen einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.“ Diese Alternative deckt aus unserer Sicht die Fälle des § 179 Strafgesetzbuch mit ab. Der sexuelle Mißbrauch widerstandsunfähiger Personen braucht also gar nicht gesondert in einem Paragraphen aufgeführt zu werden.
Wenn zur Streichung des § 179 Strafgesetzbuch aber die Bereitschaft nicht besteht, sollten zumindest die Strafrahmen der beiden Vorschriften einander angeglichen werden. Wer nämlich wie in dem neuen § 177 „schutzlos ausgeliefert“ ist, der ist unserer Meinung nach „zum Widerstand unfähig“, wovon § 179 Strafgesetzbuch ja spricht.

Ich möchte Sie im Interesse der Opfergruppe der Widerstandsunfähigen deshalb alle darum bitten, unserem Änderungsantrag Ihre Zustimmung zu geben.

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