Rede · Flemming Meyer (2009–2020) · 27.05.2004 Wirtschaftsbericht 2004

Der vorliegende Wirtschaftsbericht 2004 der Landesregierung greift – nicht von ungefähr – in etwa die selben Themen auf, die der Landtag bereits in der April-Sitzung bei der Debatte zum Strategiepapier des Wirtschaftsministers „Wachstum und Beschäftigung“ diskutiert hat. Ich werde daher auch meinen Redebeitrag heute etwas anders strukturieren. Denn es macht ja keinen Sinn die gleichen Thesen und Forderungen, wie bei der letzten Debatte aufzustellen. Die Situation der Wirtschaft in Schleswig-Holstein hat sich ja nicht in einem Monat verändert. In Kern geht es doch in der wirtschaftspolitischen Diskussion um die entscheidende Frage, wie kann der Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein im internationalen Wettbewerb in Zukunft bestehen? Was kann die Wirtschaft selbst tun und was kann die Politik in Schleswig-Holstein – also die Landesregierung und der Landtag – machen, um die wirtschaftlichen Herausforderungen im Zeitalter der Globalisierung zu bewältigen?

Naturgemäß gibt der Wirtschaftsbericht 2004 einen Überblick über die wirtschaftliche Entwicklung des letzten Jahres und einen Ausblick über die Erwartungen an die nahe Zukunft. Leider müssen wir die angeführten Wachstumsprognosen, die dem Wirtschaftsbericht zu Grunde liegen, bereits jetzt schon wieder nach unten korrigieren und auch die Prognosen für die Arbeitslosenzahlen in Schleswig-Holstein müssen höher angesetzt werden.

Dennoch ist der Trend unverkennbar: Nach einigen Jahren des Nullwachstums – in Schleswig-Holstein hatten wir ja sogar in 2003 einen Rückgang des Wirtschaftswachstum von 0,6% - geht es jetzt ganz langsam wieder voran. Die Konjunktur zieht etwas wieder an und wahrscheinlich können wir für 2005 mit einem Rückgang der Arbeitslosigkeit rechnen. Deshalb ist es äußerst wichtig, dass die Landesregierung auch finanzpolitisch Kurs hält und jetzt nicht die zarte Konjunkturpflanze durch harte Sparmaßnahmen in ihrer Entwicklung bedroht. Wir müssen zum Beispiel unbedingt am 100 Mio. Euro Zukunftsinvestitionsprogramm (ZIP) des Landes festhalten.

Dabei dürfen wir uns aber nichts vormachen: Auch ein positiver Konjunkturverlauf von mehreren Jahren wird an den grundlegenden strukturellen Schwächen des Landes nichts entscheidendes ändern können. Denn wir haben geographisch bedingt einen schwierigeren Zugang zu den wichtigen europäischen Märkten als andere Länder. Das gilt im übrigen auch, wenn alle Mängel der Verkehrsinfrastruktur beseitigt sind, was sie ja bei weitem noch nicht sind. Und: wir haben eine ausgeprägt mittelständische Wirtschaft, die mit großen finanziellen und bürokratischen Hindernissen zu kämpfen hat.

In Schleswig-Holstein gehören über 99% der Unternehmen zum Mittelstand. Wir haben nur knapp 300 größere Betriebe, die allerdings mehrere tausend Arbeitsplätze umfassen Der Trend ist aber zur Zeit der, dass es gerade diese großen Betriebe sind, die massiv Arbeitsplätze abbauen - wie der Arbeitsplatzabbau von Motorola und Danfoss in Flensburg oder BAYER in Brunsbüttel zeigen, um nur einige aktuelle Beispiele zu nennen. Das liegt natürlich an den enormen Konzentrationsprozessen gerade in vielen traditionellen Industriezweigen. Die Globalisierung ist ein Fakt – ob man sie nun mag oder nicht – dem sich Wirtschaft und Politik zu stellen haben.

Und; sie hat zur Folge, dass die Unternehmen oft mit zwei Arten von Strategien versuchen, eine Antwort zu finden. Zum einen gibt es in vielen Branchen verschiedenartige Fusionen von Firmen, um durch Einsparungen und Synenergieeffekte wettbewerbsfähiger zu werden. Die jüngst angekündigte Bildung eines Werftenverbundes unter Einbeziehung der Kieler HDW ist so ein Fall. Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, dass die HDW mit anderen Werften in Nord- und Südeuropa verbunden wird. Dies ermöglicht eine sinnvolle Arbeitsteilung zwischen den unterschiedlichen spezialisierten Standorten. Entscheidend ist aber, das so ein Zusammenschluss nicht auf Kosten der regionalen Arbeitsplätze erfolgt. Dies ist natürlich schwierig zu verhindern und bei der HDW geht es dazu noch um das Know-how in der Entwicklung und Fertigung von Marineschiffen, dass vor Ort erhalten und weiterentwickelt werden muss. Mit anderen Worten solche Fusionen und Prozesse kann die Wirtschaftspolitik nur beratend begleiten. Unsere Einflussmöglichkeit sind hier leider begrenzt.

Eine andere Strategie, um in Zeiten der Globalisierung zu überleben, ist es sich mit Nischenprodukten am Weltmarkt zu platzieren. Unsere nördlichen Nachbarn in Dänemark sind dafür besonders bekannt, aber auch in der Werftindustrie in Schleswig-Holstein gibt es für diese Strategie ein positives Beispiel. Nämlich die Flensburger Schiffbaugesellschaft -FSG-, die mit ihren Ro-Ro-Schiffen zur Zeit äußerst erfolgreich ist und volle Auftragsbücher bis Ende 2006 hat. Aber diese Strategie geht oftmals nur auf, wenn es von Seitens der Politik Unterstützung gibt. So braucht die FSG auch weiterhin die Werftenhilfe vom Land, um wettbewerbsfähige Preise für ihre Schiffe anbieten zu können, solange es weltweiten Dumping in der Schiffbauindustrie gibt.

In Zukunft müssen uns allerdings darauf einstellen, dass wir nicht mehr mit Neuansiedlungen von großen Industrieunternehmen mit vielen Arbeitsplätzen rechnen können. Schleswig-Holstein ist zur Zeit sehr erfolgreich hinsichtlich der Neuansiedlung von Betrieben, aber es sind zumeist kleinere und mittlere Unternehmen. Auch deshalb sind die mittelständischen Betriebe in Schleswig-Holstein das Herzstück unserer Wirtschaft und es liegt im ureigensten Interesse des Landes, diese Betriebe in allen Bereichen zu unterstützen.

Ich glaube, der vorliegende Bericht zeigt deutlich auf, dass die Landesregierung seitens der Fördermöglichkeiten und auch im Kreditvergabebereich ein überaus gutes Angebot gerade für den Mittelstand entwickelt hat. Dabei sind die Förderprogramme des Landes gestrafft worden. So wird sich beispielsweise das Regionalprogramm in Zukunft verstärkt mit der Förderung des Tourismus und mit der Unterstützung der Cluster des Landes befassen. Diese Straffung ist auch aus Sicht des SSW sinnvoll. Die öffentlichen Kreditvergabemöglichkeiten des Landes für den Mittelstand sind sogar ausgebaut worden. Damit bildet die Landesregierung ein positives Gegengewicht zu den Privatbanken, die ja – nicht zuletzt bedingt durch Basel II – gerade in diesen konjunkturschwachen Zeiten sehr restriktiv bei der Kreditvergabe für kleinere und mittlere Unternehmen sind.

Nach eigenen Angaben sind viele Mittelständler der Auffassung, dass die vielen bürokratischen Hindernisse neues Wachstum und neue Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein verhindern. Nun wissen wir, dass die allermeisten Entscheidungen, die zu dieser großen Bürokratie geführt haben, auf Bundesebene oder in Brüssel beschlossen werden. Das heißt, die Politik in Schleswig-Holstein kann nur sehr schwer diese bürokratischen Hürden verhindern.

Allerdings scheint es jetzt in Berlin Bewegung in dieser Frage zu geben. So hat Bundeswirtschaftsminister Clement gerade 29 Vorschläge zum Bürokratieabbau durch das Kabinett bekommen und diese sollen nun bis zum Sommer im Bundestag verabschiedet werden. Die Vorschläge für diesen Bürokratieabbau wurden mit gutem Ergebnissen in einer Testphase von drei Modellregionen für den Bürokratieabbau, u.a. der Hansestadt Bremen, erprobt. In einer zweiten Testrunde will das Bundeswirtschaftsministerium neue Testpartner – sogenannte Innovationsregionen – gewinnen, die weitere Vorschläge für den Bürokratieabbau und Verwaltungsentschlackung erproben und vorlegen sollen.

Meines Wissens gibt es sowohl im Kreis Schleswig-Flensburg als auch im Kreis Nordfriesland von verschiedenen Seiten Überlegungen, sich als Innovationsregion beim Bundeswirtschaftsministerium für die zweite Testrunde zu bewerben. Gerade der Landesteil Schleswig steht vor besonderen strukturellen und wirtschaftlichen Herausforderungen – nicht zuletzt wegen des großen Truppenabbaus in unserer Region.. Daher würde es der SSW als ein besonderes positives Signal begrüßen, wenn der gesamte nördliche Landesteil als Innovationsregion Vorreiter beim Bürokratieabbau in Deutschland werden würde. Mit diesem Entbürokratisierungsprojekten könnte sich ein neuer wirtschaftlichen Schwung für den nördlichen Landesteil ergeben, den wir bitter nötig haben. Daher fordern wir die Landesregierung dazu auf, den Norden bei der Bundesregierung zu unterstützen, wenn sich die Kreise für eine Bewerbung als Innovationsregion entscheiden sollten.

Wir regen auch an, dass die Landesregierung eigene Vorschläge macht, wie man auch in den Innovationsregionen Landesregelungen auf Entbürokratisierungspotentiale überprüfen kann. So lassen sich vielleicht auch über Kurz oder Lang Landesregelungen vereinfachen.

Die Landesregierung sollte also diese positiven Vorschläge der Bundesregierung für den Bürokratieabbau offensiv aufgreifen und begleiten. Ein weiteres Problem für den Mittelstand sind die Hürden, die damit verbunden sind, ab wann Betriebe neue Beschäftigte einstellen können. Und diese liegen nicht ausschließlich an den Kündigungsschutzbedingungen. Aus Sicht des Mittelstandes sind es insbesondere, die – trotz AGENDA 2010 – viel zu hohen Lohnnebenkosten, die praktisch einer Strafsteuer für die Anstellung von Arbeitnehmern gleichkommt. Wieso ist ein deutscher Handwerker bei gleichem Nettoeinkommen fast 30% teurer für sein Unternehmen als beispielsweise ein dänischer Handwerker?

Wir brauchen also eine Senkung der Lohnnebenkosten, die die Betriebe wirklich spüren können. Hier hilft unser Meinung nach nur ein völlige Änderung der Finanzierung des Sozialstaates. Wir brauchen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zur Senkung der Lohnnebenkosten, wie wir es aus den skandinavischen Ländern kennen. Die Landesregierung hat dazu konkrete Vorschläge in den Bundesrat eingebracht. Aber leider erkennen die Bundespolitiker jedweder Couleur nicht den Kern der Idee: Es handelt sich nicht um eine Steuer- und Abgabenerhöhung, sondern um eine Umverteilung innerhalb des System, die fast unter Garantie für mehr Beschäftigung sorgen würde.

Aber oft ist es ja so: Der Prophet hat es schwer im eigenen Land. Es wird wohl noch einige Zeit dauern bis man in Berlin die Vorzüge des skandinavischen Gesellschaftsmodells auch für die Wirtschaft und gerade für den Mittelstand erkennt.

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